Innerhalb kürzester Zeit erfuhr die Opferperspektive von mehreren Angriffen. Sie alle richteten sich gegen alternative Jugendliche.
Mitte Februar gelang es, in Dresden den größten Neonaziaufmarsch in Europa erfolgreich zu blockieren. Durch das Engagement Zehntausender konnte der sogenannte Trauermarsch der rechten Szene verhindert werden, der in der sächsischen Elbmetropole seit Jahren am Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg organisiert wird. Zwei Tage später fand in Cottbus aus gleichem Anlass eine – wenngleich sehr viel kleinere – von der NPD angemeldete Demonstration statt. Rund hundert Neonazis versammelten sich am Bahnhof der Stadt.
Bereits einige Tage vor dem »Trauermarsch« in Cottbus war ein Lokalpolitiker der Partei DIE LINKE im Internet massiv bedroht worden. Er hatte während der Tagung des Stadtparlaments am 27. Januar das Verhalten der zwei NPD-Abgeordneten scharf kritisiert. Die beiden NPD-Vertreter Ronny Zasowk und Frank Hübner waren bei einer Schweigeminute für die Opfer des Holocaust demonstrativ sitzen geblieben. Nach diesem öffentlichen Protest war in Internetforen eine wüste Hetze gegen den LINKEN-Politiker gestartet worden, die bis zu Morddrohungen reichte.
Welle der Gewalt nach Neonazidemonstration im Februar
Am Abend des »Trauerzugs« der Neonazis am 15. Februar griffen etwa 15 Rechte einen jungen Mann an und schlugen mit Flaschen auf ihn ein. Am Boden liegend traktierten sie ihn mit Fußtritten. Später am Abend beobachteten Jugendliche, die sich im linken Treffpunkt Zelle 79 aufhielten, eine große Gruppe Rechter, die sich dem Haus näherten – offenbar in der Absicht, das Alternativzentrum anzugreifen. Die Polizei griff rechtzeitig in das Geschehen ein.
In der Wahrnehmung alternativer Jugendlicher treten die Neonazis seit der Demonstration am 15. Februar aggressiver und sichtbarer auf. Sie berichten von zunehmenden Einschüchterungsversuchen auf der Straße, in Schulen und Ausbildungszentren. Es gibt musternde Blicke bei Zufallsbegegnungen auf der Straße, Jugendliche werden fotografiert und mit Sätzen wie »Warst du auf der Antifa-Demo? Pass auf!« bedroht. Autos mit Rechten patrouillieren an alternativen Treffpunkten oder stoppen demonstrativ vor den Wohnhäusern ihnen bekannter linker Jugendlicher. Im Sozialen Netzwerk StudiVZ erscheinen Droheinträge gegen namentlich genannte jugendliche Antifas. Mehrmals schon rannten kleine Gruppen Rechter einzelnen Jugendlichen hinterher.
Drei Tage nach dem Neonaziaufmarsch warfen am 18. Februar in Drebkau bei Cottbus Unbekannte nachts die Scheibe eines Asia-Markts ein und zündeten das Geschäft an. Der Markt brannte komplett aus. Bereits in der Vergangenheit war das Geschäft von Rechten attackiert worden. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund nicht aus.
Am 20. Februar wurde eine junge Frau im Cottbuser Stadtzentrum von zwei jungen Männern geschlagen und getreten. Drei Tage später beschimpften Rechte in der Puschkinpromenade einen 19-Jährigen auf dem Weg zur Schule als »Zecke«. Die Angreifer, die szenetypische Kleidung trugen, schlugen mehrfach auf den Schüler ein. Der herbeigerufenen Polizei gelang es nicht, die Täter festzunehmen.
Nach einer kurzen Ruhephase wurde am Abend des 8. April in der Nähe des Puschkinparks ein Jugendlicher von einer Gruppe Rechter vom Fahrrad gerissen und mit einem Schlagstock attackiert. Wenig später bedrohte ein Rechter Jugendliche im Park und versuchte sie mit einem Schlagstock anzugreifen. Die Grünanlage wird seit Jahren insbesondere von alternativen Jugendlichen in ihrer Freizeit genutzt. Immer wieder kam es zu Bedrohungen.
Gewaltbereite Szenerie
Die Neonazistrukturen in Südbrandenburg konnten sich über lange Zeit fast ungestört entwickelt. In ihnen wachsen immer wieder neue AktivistInnen der rechten Szene heran, die ihre menschenverachtenden Ziele auch mit Gewalt verfolgen.
In Cottbus existiert eine aktive Neonaziszene. Aus dem Stadtbild sind Rechte nicht wegzudenken. Das ist nichts Neues, doch das Ausmaß von Gewalt und Einschüchterungen seit der Demonstration im Februar ist beunruhigend. Die rechte Szene selbst ist in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens präsent, die jetzige Gewalt nur eine Facette des Problems.
Im Cottbuser Stadtzentrum residiert in der Taubenstraße der Szeneladen The Devils Right Hand. Die Anfang der 1990er Jahre in Spremberg gegründete Rechtsrockband Frontalkraft ist in Cottbus gut verankert. Eine relevante Minderheit der Fans des Zweitligisten FC Energie Cottbus pflegt Verbindungen in die Neonaziszene.
Seit den Kommunalwahlen im Jahr 2008 ist die NPD mit zwei Verordneten im Cottbuser Stadtparlament vertreten. Frank Hübner war schon zu DDR-Zeiten Mitglied einer neonazistischen Wehrsportgruppe. Ronny Zasowk ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Spreewald und gilt als aufstrebender Kader der NPD. Die Partei tritt immer wieder mit Informationsständen in Cottbus und Umgebung in Erscheinung, zuletzt am 13. März in Burg, eine Woche später auf dem Vorplatz der Cottbuser Stadthalle.
Eine besondere Rolle spielt die Südbrandenburger Kameradschaftsstruktur Spreelichter. Sie ist maßgeblich in Cottbus aktiv und betreibt eine modern gestaltete Website, die mit ihren kurzen Videoclips, Aktionsberichten und anderen Veröffentlichungen weit über die Region hinausstrahlt. Eine Art Markenzeichen ist ihre ständig wiederholte Botschaft »Demokraten bringen uns den Volkstod«.
Die Parole ist in Cottbus nicht nur durch Aufkleber und Sprühereien weit verbreitet. Ende Februar prangte sie meterhoch an einem abrissfertigen Hochhaus in Cottbus-Sachsendorf. Beim Karnevalsumzug am 14. Februar führten mit Tiermasken verkleidete Kameradschaftsmitglieder ein Transparent mit der Parole mit sich. Im Herbst vergangenen Jahres störten sie eine Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei. Zu den Aktivitäten der Kameradschaft gehören regelmäßig Schulungen, Heldengedenken mit Fackeln und Sonnenwendfeiern. Dies alles soll auf die rechte Szene festigend wirken.
Nicht zum ersten Mal häufen sich Vorfälle rechter Gewalt in Cottbus. 2005 wurde eine Antifa-Veranstaltung im Jugendklub Fragezeichen überfallen, 2007 eine Party am gleichen Ort. Vor drei Jahren kam es immer wieder zu Angriffen auf ausländische Studierende, Flüchtlinge und MigrantInnen. Im Frühjahr 2007 häuften sich ebenfalls Angriffe, Bedrohungen und Pöbeleien gegen alternative Jugendliche im Puschkinpark.