Unter dem Motto “Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich” protestierten am Sonnabend knapp 100 Jugendliche gegen eine geplante Demonstration der “Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands” (IWG), die am Mittag auf dem Bahnhofsvorplatz stattfinden sollte.
Eine Chronik der Ereignisse.
Von René Wappler
Dutzende Polizisten mit weißen Helmen stehen um 10 Uhr vor der Stadthalle, dazu neun Polizeiwagen. “Darf man hier durchfahren?”, ruft ein älterer Mann auf einem Fahrrad. Er darf. Zehn Jugendliche sitzen auf den Stufen zur Stadthalle. Polizeisprecher Berndt Fleischer sagt: Wir hatten vor der Demo Kooperationsgespräche mit beiden Gruppen, den Linken und den Rechten, sie zeigten sich sehr aufgeschlossen. Die Polizei will sicherstellen, dass sich beide Gruppen nicht begegnen. Der Platz füllt sich.
Enrico D. vom Verein für ein multikulturelles Europa spricht um 10.50 Uhr ins Mikro. “Wir gehen über die Bahnhofstraße zum Busbahnhof. Wir wünschen uns eine laute, kräftige, spannende Demonstration. Die Polizei will, dass ihr nachher eure Flaschen und den Müll mitnehmt.” Den Besuchern ruft Monique H. vom Verein zu: “Wir sind hier, um gegen die IWG zu demonstrieren, einen ernst zu nehmenden Teil des rechtsextremen Spektrums, der historisch belegte Fakten leugnet.”
Polizeiwagen verlassen den Platz um 11.05 Uhr mit Blaulicht, die Demonstranten folgen zu lauter Musik von den “Dead Kennedys”. Eine Passantin hält sich die Ohren zu. Der Zug läuft durch die Bahnhofstraße. “Wieder die üblichen Verdächtigen hier”, sagt Alexandra Klei von der Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt, “ich hätte mir gewünscht, dass mehr Leute von der Stadt oder vom Cottbuser Aufbruch teilnehmen.”
In der Straße der Jugend kommt um 11.30 Uhr eine Durchsage vom Lautsprecherwagen der Demonstranten: “Es ist ein Skandal, dass die Stadt versucht, diese Demonstration zu ignorieren.” Locker lässt ein Mann seine Beine aus einem Fenster im zweiten Stock baumeln, er fotografiert die Masse. Der Zug biegt auf den Busbahnhof ab.
Auf dem Bahnhofsvorplatz an der Vetschauer Straße stehen um 11.55 Uhr fünf Männer unschlüssig herum, nebenan sitzen vier Jugendliche mit kurzen Haaren, Sonnenbrillen und Westpreußenfahne auf einer Bank. “Wir hatten mit mehr Leuten gerechnet.” Noch hofft der 78-jährige IWG-Chef Georg Paletta auf Zulauf. An seinem Arm baumelt ein Megafon. “Wir wollen die Polen umsiedeln, die nach unserer Vertreibung aus den Ostgebieten in unsere Häuser gezogen sind.”
Er sagt, ihn störe nicht, dass er mit diesem Anspruch etwas verloren vor dem Bahnhof stehe. Ihn störe auch nicht, dass ihn ein paar hundert Meter weiter Demonstranten für einen Altnazi halten. “Ich musste an der Ostfront dem Tod zehntausendmal ins Auge schauen. Ich habe vor nichts Angst. Die Polen sind doch nur neidisch auf unser arbeitsames Volk.”
Der Cottbuser Ausländerbeauftragte Michael Wegener hört ihm mit verschränkten Armen zu, schüttelt den Kopf. “Wir bemühen uns, Europa zusammenzuführen. Sie wirken dem entgegen.” Paletta widerspricht. “Ich will das auf friedliche Weise erledigen. Der Pole, der heute in meinem früheren Haus wohnt, würde sogar 10 000 Mark von mir für die Umsiedlung bekommen.” Immer noch nicht mehr als neun Leute da. Dafür aber zehn Polizeiwagen.
Um 12.10 Uhr ruft Paletta seine Männer zusammen. “Wir machen Schluss.” Er verabschiedet sie mit Handschlag. Dann steigt er in sein Auto und lenkt es über einen Bordstein. Polizeisprecher Berndt Fleischer schaut ihm hinterher: “Sieht doch etwas enttäuscht aus, der Mann.” Auch die Demo am Busbahnhof hat sich inzwischen aufgelöst. Georg Paletta fährt unterdessen allein zurück nach Bayern und bereitet sich dort auf seinen Auftritt in Zittau vor, der nächsten Station seiner Agitationstour durch Ostdeutschland.