RATHENOW Das hatten Vera Everhartz und ihre Begleiter noch nicht erlebt:
wenn der Flüchtlingsrat Brandenburg seinen “Denkzettel für strukturellen und
systeminternen Rassismus” vergibt, bemühen sich die “Preisträger” meist
intensiv um Rechtfertigungen, ja sogar rüde Zurechtweisungen — vor einigen
Jahren gab es sogar den Versuch, die Preisverleihung per einstweiliger
Verfügung vor Gericht zu stoppen. Doch am Montag überreichte der
Kreisvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt an Vera Everhartz ein Dankschreiben -
und das war ehrlich gemeint. In dem Brief lobt Matthew die Arbeit des
Flüchtlingsrates und bietet eine enge Zusammenarbeit an.
Wie bereits am Freitag berichtet, war der “Denkzettel” für den
Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Havelland, Ralf Schröder, gedacht. Zum
Ende des vergangenen Jahres hatte das Rathenower Amtsgericht in einem
Aufsehen erregenden Prozess festgestellt, dass im Asylbewerberheim Rathenow
Briefe an Asylbewerber unberechtigt geöffnet wurden. Nach dem Urteilsspruch
versuchte Geschäftsführer Schröder in einem Leserbrief erneut den gegen die
Heimleitung gerichteten Vorwurf abzustreiten.
Den Denkzettel nahm Ralf Schröder nicht persönlich entgegen. “Ich bin auch
für meinen Geschäftsführer verantwortlich” sagte Fredi Matthews zu Vera
Everhartz.
Die war erstaunt, dass sie und ihre Begleiter, darunter mehrere Bewohner des
Asylbewerberheimes, freundlich empfangen wurden. “Das ist bei uns so
Brauch”, sagte Matthews und räumte ein, dass die Arbeiterwohlfahrt Fehler
gemacht habe. Um mit den Asylbewerbern ins Gespräch zu kommen werde ein
Heimbeirat gebildet, Matthews hält regelmäßig Sprechstunden im Heim ab.
Irgendwie hatten sich die “Denkzettel”-Verleiher die Übergabe anders
vorgestellt. Kay Wendel vom Verein “Opferperspektive” setzte deshalb nach:
“Das ist alles etwas unehrlich. Erst hat die Awo in dem Asylbewerberheim ein
Spitzelsystem aufgebaut und nun soll denen, die das zu verantworten haben,
nichts passieren? Wir fordern, die Entlassung oder mindestens die Versetzung
der Heimleiterin und des Geschäftsführers .”
Das bekräftigten auch die Bewohner des Asylbewerberheimes. Sie machten
deutlich, dass das Vertrauen in die Heimleiterin durch die Ergebnisse des
Gerichtsverfahrens tief gestört sei. “Wir wollen Frau Pagel nicht”, sagte
ein Asylbewerber. Bisher hatte Matthews arbeitsrechtliche Konsequenzen
abgelehnt, da vor Gericht nicht deutlich wurde, wer die Briefe geöffnet
hatte.
Die Asylbewerber und Wendel unterstrichen, dass sowohl Geschäftsführer
Schröder und Heimleitern Bärbel Pagel Verantwortung für die Vorgänge tragen.
“Dafür müssen beide einstehen.”
Immerhin scheint sich die Awo-Spitze Gedanken zu machen, ob man Bärbel Pagel
als Leiterin des Asylbewerberheimes oder an anderer Stelle beschäftigen
will. Matthews versprach, dass diese Forderung bei der nächsten
Zusammenkunft der Flüchtlingsverbände, der Asylbewerber und der Awo ein
Hauptthema sein werde. ”