(TAZ, Beate Selders) PERLEBERG “Wer aus einem Kriegsgebiet kommt und hier untergebracht wird, der muss das Gefühl haben, der Krieg geht weiter,” stellt Simone Tetzlaff beim Besuch des Asylbewerberheimes in Perleberg erschrocken fest. Kasernenruinen, zersprungene Fenster, kaputte Fassaden, das ist der Ausblick, den die Flüchtlinge tagtäglich haben.
Simone Tetzlaff ist Vorstandsmitglied im Flüchtlingsrat Brandenburg, der sich am Mittwoch vergangener Woche mit Flüchtlingen und gesprächsuchenden Bürgern in Perleberg traf. Der Flüchtlingsrat hat die Aufgabe, die
Interessen von Asylbewerbern zu vertreten und Menschen, die in der Beratungsarbeit tätig sind, zu qualifizieren. In Potsdam unterhält die Organisation ein Büro. Die Initiativen und Institutionen, die sich regelmäßig als Rat zusammenfinden, sind über das ganze Land verteilt.
Beim Besuch in Perleberg interessierten vor allem die Wohnverhältnisse. Das Asylverfahrensgesetz sieht vor, dass Asylbewerber “in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden”. Diese Heimunterbringung ist
für Bewohner eine große Belastung. Deshalb räumt das zuständige Landesministerium Kreisverwaltungen einen Ermessensspielraum ein und fordert dazu auf, die Entscheidung über eine Unterbringung in Wohnungen “im
Interesse der Betroffenen großzügig zu treffen”. Dies scheint auch von vielen Kreisen so gehandhabt zu werden. Nur beim Landkreis Prignitz steht in der Brandenburger Belegungsstatistik vom Mai 2004 in der Rubrik “Wohnungen”
eine Null.
“Das stimmt nicht ganz”, erläutert Regina Glimm von der überregionalen Flüchtlingsberatungsstelle in Neuruppin auf Nachfrage. “In Wittenberge zum Beispiel lebt eine Frau, die vor acht Jahren als Asylbewerberin aus Uganda nach Deutschland kam, mit ihren zwei Kindern in einer normalen Wohnung. Es ist aber tatsächlich ausgesprochen schwierig, im Landkreis Prignitz Anträge auf Unterbringung in städtischen Wohnungen bewilligt zu bekommen.” Argumentiert werde damit, dass die Wohnungsunterbringung teurer sei als die in Sammelunterkünften. Das sei aber schon einmal gegengerechnet
worden und habe sich als falsch erwiesen.
Da sich das Perleberger Heim sehr weit außerhalb der Stadt befindet, sind normale Kontakte zur Bevölkerung kaum möglich; jeder Weg in die Stadt ist beschwerlich. Darunter leiden vor allem Familien mit Kindern oder Kranke,
die in regelmäßiger Behandlung sind. Aber nicht nur für die Betroffenen wäre eine Unterbringung in der Stadt eine große Erleichterung, auch für die Perleberger Bevölkerung könne dies eine Bereicherung sein, findet Simone Tetzlaff. Regina Glimm bestätigt: “Die Uganderin, die in Wittenberge wohnt,
erzählte mir, in Perleberg sei sie beim Einkaufen immer angeguckt worden, als käme sie vom Mond. Jetzt hätten sich durch das Wohnen in der Stadt viele Kontakte ergeben und der Alltag habe sich normalisiert.”
Nicht nur die Isolation und die Bedingungen im Heim kamen während des Besuchs des Flüchtlingsrates zur Sprache, sondern auch die restriktive Handhabung der so genannten Residenzpflicht durch die Ausländerbehörde. Diese gilt während des Asylverfahrens. Das heißt, die Bewerber dürfen den Landkreis, dem sie vom Land zugewiesen worden sind, nicht verlassen. Das gilt auch für die Flüchtlinge, deren Asylbegehren nach bundesdeutschem Recht
abgelehnt wurde, die aber aufgrund von internationalen Konventionen nicht
ins Herkunftsland abgeschoben werden dürfen, weil die Lebensbedingungen dort
das nicht zulassen. Sie leben oft jahrelang mit dem Status der Duldung und
unterliegen ebenfalls der Residenzpflicht.
Wollen sie zum Beispiel Freunde oder Verwandte in Berlin besuchen, so müssen
sie dafür eine Erlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragen. Die meisten
Anträge werden abgelehnt. Wer trotzdem fährt , begeht im Wiederholungsfall
eine Straftat. Beate Kern, Bewährungshelferin in Perleberg und zuständig für
die Heimbewohner, berichtete dem Flüchtlingsrat von einem Asylbewerber, der
seit sechs Jahren in Perleberg lebt und wegen wiederholten Verstoßes gegen
die Residenzpflicht zu sechs Monaten Haftstrafe auf drei Jahre Bewährung
verurteilt wurde. “Das ist manchmal schon absurd”, sagt sie. “Der größte
Teil der straffälligen Asylbewerber, die ich betreue, hat gegen Gesetze
verstoßen, die für Deutsche gar nicht existieren.”
Bei den Gesprächen mit dem Flüchtlingsrat haben sich Interessierte
zusammengefunden, die einen Initiativkreis zur Unterstützung von
Asylbewerbern gründen und mit der Kreisverwaltung ins Gespräch kommen
möchten. Im September soll die Arbeit aufgenommen werden.