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Das Buch der guten Taten

(HILTRUD MÜLLER, MAZ) FALKENSEE Da liegt es, groß und rot, doch rote Büch­er sind nicht mehr gefragt. Es ist das Ehren­buch der Stadt Falkensee. Ehren­büch­er sind offen­bar aus der Mode gekom­men. Gabriele Hel­big, die Chefin des Heimat­mu­se­ums, hütet es den­noch sorgsam. Denn es ist ein Stück Zeit­geschichte, und die muss doku­men­tiert wer­den. Auch wenn nur noch sel­ten jemand danach fragt. Dabei kön­nte man dur­chaus darüber reden, was heute eine zeit­gemäße und würdi­ge Form wäre, jene Men­schen zu ehren, die sich um diese Stadt ver­di­ent gemacht haben — jet­zt, wo sie wächst und wächst. 

Das Ehren­buch war 1986 angelegt wor­den, als Falkensee 25 Jahre Stadtrecht feierte und knapp 23 000 Ein­wohn­er zählte. Die Präam­bel zeugt vom Pathos jen­er Zeit: “In Würdi­gung ver­di­en­stvollen Wirkens zum Wohle und gedeih­lichen Nutzen unser­er sozial­is­tis­chen Garten­stadt”, ste­ht da zu lesen, “sprechen Stadtverord­neten­ver­samm­lung und Rat der Stadt ver­di­en­stvollen Bürg­ern Dank und Anerken­nung aus.” Einge­tra­gen haben sich in jenen drei Jahren bis zur Implo­sion der DDR 127 Frauen und Män­ner. Es waren keineswegs nur Falkenseer und es waren auch nicht nur Partei- und Staats­funk­tionäre. So bunt wie das Leben, so viel­far­big auch das Spek­trum der Geehrten: Schulleit­er und Lehrer, Inge­nieur und Kranken­schwest­er, Bäck­er­meis­ter und Standes­beamtin, LPG-Bauer und Feuer­wehrmann… Unter den Aus­geze­ich­neten fand sich zum Beispiel auch der Chor­leit­er Eber­hard Adelt, der Betrieb­s­di­rek­tor Klaus Wruck oder der Oberin­ge­nieur Mar­tin Baumert, welch­er für mas­sive Buswarte­hallen gesorgt hat­te — kosten­los, ver­ste­ht sich. Oder der unge­niert säch­sel­nde Enter­tain­er Man­fred Uhlig, der stel­lvertre­tend für das Team der Sendung “Alte Liebe ros­tet nicht” geehrt wurde, — eine Rund­funk-Live-Sendung von Radio DDR, deren 230. Folge am 23. Novem­ber 1984 aus der Falkenseer Stadthalle über­tra­gen wor­den war und an die man sich gerne erinnerte. 

Das Ehren­buch erhält auch Ein­träge in pol­nis­chen und franzö­sis­chen Schriftzü­gen, als Über­lebende der Außen­lager Dora und Falkensee des Konzen­tra­tionslagers Sach­sen­hausen in den späten achtziger Jahren noch ein­mal in das Land ihrer Qual zurück­gekehrt waren. 

Die Hiesi­gen tru­gen sich, wie unro­man­tisch, mit Per­so­n­enkenn­zahl und Unter­schrift ein und erhiel­ten dafür eine würdi­ge Urkunde. Im Jahre 1989, als das poli­tis­che Sys­tem schon schw­er im Koma lag, ver­merkt die Chronik, dass einige der Geehrten die Annahme der Urkunde ver­weigert hät­ten, unter ihnen Hel­ga Rieck­mann, die für die Aktion “Ret­tet die Kinder” von 1945/46 geehrt wer­den sollte und die sich um die Ein­rich­tung des Gemein­dekinder­gartens Finkenkrug ver­di­ent gemacht hat­te. Im Som­mer 1989 enden die Ein­träge. Die Ver­di­en­ste des werk­täti­gen Volkes ver­schwan­den in der Versenkung und damit auch das Wis­sen um den einzi­gen Ehren­bürg­er der Stadt Falkensee, den Kom­mu­nis­ten Karl Pioch. Der lebte als Kind in Seege­feld, absolvierte in Falkensee seine Mau­r­erlehre und schloss sich in jen­er Zeit der kom­mu­nis­tis­chen Jugend­be­we­gung an. Später kämpfte Pioch in der XI. Inter­na­tionalen Brigade im spanis­chen Bürg­erkrieg. Das Kriegsende erlebte er als KZ-Häftling in Sach­sen­hausen. In seinem Buch “Nie im Abseits” über­liefert er viele Details über das Leben vor und nach dem let­zten Krieg in Falkensee, Berlin und dem Osthavelland. 

Glaubt man dem “Havel­ländis­chen Echo” vom 21. April 1933, dann hat­te die Stadt Falkensee nicht nur diesem einen Antifaschis­ten, son­dern schon viele Jahre früher auch zwei Erzober­faschis­ten die Ehren­bürg­er­würde zuerkan­nt. Denn damals — Hitler war ger­ade zweiein­halb Monate im Amt — beschlossen die Gemein­de­verord­neten Falkensees ein­stim­mig, Her­rn Hitler und Her­rn Goebbels zu Ehren­bürg­ern ihrer Stadt zu erheben. Allerd­ings sind amtliche Doku­mente über den Vol­lzug der Beförderung nicht mehr erhal­ten. Doch Ehren­bürg­er­rechte dürften mit dem Tod des Ehren­bürg­ers enden. Insofern kann Falkensee gän­zlich unbe­lastet die Frage disku­tieren, wie man kün­ftig jene zu würdi­gen gedenkt, die diese Stadt wesentlich geprägt haben.

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