Das Ende der Toleranz
POTSDAM. Der Satz ließ aufhorchen: “Ich wollte es einfach nicht wahrhaben”, sagte Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) vor anderthalb Jahren in einem Interview. Gemeint war: Er, Stolpe, der “Landesvater”, habe über Jahre den gewalttätigen Rechtsextremismus in Brandenburg unterschätzt und verharmlost — und damit letztlich fremdenfeindliche Tendenzen gefördert. Dies sei nun jedoch vorbei, sagte Stolpe damals auf dem Höhepunkt des “Aufstands der Anständigen” im Jahr 2000, als es kaum ein deutscher Politiker versäumte, seinen Abscheu über dumpfe Neonazischläger zu formulieren.
Doch das war einmal. “Heute kommen von Stolpe wieder die ganz platten Parolen”, sagt Judith Gleitze vom Flüchtlingsrat Brandenburg, der gegen die neuen Thesen der Landesregierung im Streit um das Zuwanderungsgesetz scharf protestiert. Der Ministerpräsident sei inzwischen voll auf die unerbittliche Linie seines Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) eingeschwenkt. Erst kürzlich hatte Stolpe etwa vor einem “kaum noch zu regulierenden Zustrom” von Ausländern gewarnt — den der Gesetzentwurf allerdings in keiner Phase vorsah; dann sprach der Regierungschef von einem Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Fremdenfeindlichkeit — während gerade die Daten Brandenburgs das glatte Gegenteil zeigen: unverändert hohe Gewalt gegen Fremde bei unverändert wenigen Ausländern.
“Das sind Sprüche aus der Stammtischliga”, sagt Judith Gleitze. “Und das in einem Land, das sich selbst als tolerant bezeichnet.” Der Flüchtlingsrat ist nicht die einzige Organisation, die sich über den Rückschritt im Umgang mit Fremden empört. Es herrscht inzwischen viel Frustration bei Brandenburger Initiativen gegen den Rechtsextremismus. Sie sahen sich bisher vom Land unterstützt — und fühlen sich nun um jahrelange Arbeit betrogen. “Da versuchen wir mühsamst, Vorurteile abzubauen — und der Ministerpräsident reißt alles in drei Sätzen wieder ein”, sagt Knut Steinhoff vom Jugendbündnis “Aktion Noteingang”, das für seine Aufkleber mit Hilfsangeboten für Rassismus-Opfer den Aachener Friedenspreis bekam. Politiker hätten eine riesige Verantwortung bei diesen sensiblen Themen, sagt Steinhoff. “Sie werden gehört — und die Rechtsextremen fühlen sich bestätigt.”
Auch große Zusammenschlüsse wie das landesweite “Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit” geraten allmählich an den Rand der Resignation. Die Debatte fördere eher Ausländerfeindlichkeit als das Gegenteil, sagt der Vorsitzende Rolf Wischnath. “Frustrierend” sei das, zumal “immer klarer wird, wie begrenzt unser Einfluss ist”. Schon im Januar hatte das Bündnis von der Landesregierung eine “Härtefallregelung” für Asylbewerber in Notlagen gefordert, unterstützt von der künftigen Landesbeauftragten für ein “Tolerantes Brandenburg”, Uta Leichsenring. Auf eine Antwort wartet man seither vergeblich.
Ohnehin hat sich an dem, was das Land von sich aus zu Gunsten von Asylbewerbern tun könnte, rein gar nichts geändert: Immer noch leben sie in abgeschiedenen Waldheimen, müssen immer noch per Gutschein einkaufen, immer noch gilt das strikte Gebot, den Landkreis nicht zu verlassen. “Das Projekt ‚Tolerantes Brandenburg’ ist in wichtigen Teilen gescheitert”, sagt Judith Porath vom Potsdamer Verein “Opferperspektive”. Die Politik nähere sich alten Vorurteilen wieder an, statt sie wie angekündigt zu bekämpfen. Christopher Nsoh, Sprecher der Flüchtlingsinitiative Rathenow, sagt es noch drastischer: “Wer gegen Ausländer redet, bekommt hier mehr Wählerstimmen. So einfach ist das.”