(LR, 10.2.) Asylbewerber in der Lausitz erhalten oft statt Bargeld Warengutscheine, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine umstrittene Praxis, die in den
vergangenen Wochen in Hohenleipisch und Bahnsdorf sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen geführt hat. In Cottbus versuchen junge Leute, die ihrer Ansicht nach diskriminierende Gutscheinpraxis durch eine Tauschbörse
praktisch zu unterlaufen.
Beim Selbstversuch macht sich ein flaues Gefühl im Magen breit: Ob die Leute mir ansehen, dass ich den Discounter statt mit Geld mit einem rosafarbenen
Zettel in der Tasche betrete« Natürlich nicht, sage ich mir. Das Gefühl bleibt trotzdem.
«Man muss das selber erlebt haben» , sagt Sven Witzke. Gemeinsam mit Thomas Richter kämpft der junge Cottbuser in der Initiative «Bargeld statt Gutscheine» gegen die Zettel, die seiner Ansicht nach Asylbewerber gegenüber
anderen Mitmenschen diskriminieren. Einmal im Monat fahren sie zum «Haus für begleitetes Wohnen für Asylbewerber und ausländische Flüchtlinge» am Cottbuser Stadtrand und tauschen Gutscheine gegen Bargeld aus. Die
Flüchtlinge haben Euro in der Tasche, die Zettel werden an Cottbuser verteilt, die damit einkaufen. Da jeder Schein den Namen des Berechtigten trägt, müssen die Flüchtlinge eine Vollmacht unterschreiben, damit andere
damit ins Geschäft gehen können. Etwa 350 Euro tauscht die Initiative so im
Monat. Um mehr Gutscheine zu Geld zu machen, bräuchte es mehr Abnehmer. Doch
die zu finden ist schwer. Asylbewerber haben keine große Lobby. «Es ist eben
eine kleine Hilfe» , sagt Thomas Richter.
Mit Taschenrechner in den Markt
Für zehn Euro kann ich mit dem Gutschein einkaufen. «Dinge des täglichen Bedarfs» steht auf dem Zettel. Es gibt andere Scheine für Nahrung oder Kleidung. Höchstens zehn Prozent Wechselgeld gibt es zurück. Ich überschlage: Toilettenpapier, doppelt Duschgel, Taschentücher, macht etwa
neun Euro. Ich nehme noch Spülmaschinensalz (75 Cent). Das brauche ich zwar nicht, doch so kommt das mit dem Wechselgeld auf jeden Fall hin. Es ist
schwer, exakt zehn Euro auszugeben.
Soumaila Savadogo geht immer mit einem Taschenrechner einkaufen. Der 17-Jährige aus Burkina Faso besucht die Cottbuser Theodor-Fontane-Gesamtschule und wohnt im Wohnheim am Stadtrand. 40,90 Euro in bar bekommt er im Monat. Der Rest sind Gutscheine im Wert von 184,07
Euro, die zweimal monatlich ausgegeben werden. 30 Euro bekommt der Asyl-Anwalt, zehn Euro gibt er fürs Krafttraining aus. Da bleibt nichts für ein Eis mit Schulfreunden, für Kino oder Disko.
In Cottbus hat es Soumaila Savadogo vergleichsweise gut: In der Stadt werden nur etwa 100 Asylbewerber, die meisten leben im Haus am Stadtrand, mit Warengutscheinen versorgt, sagt Stadtsprecher Peter Lewandrowski. Das Gros
hat eigene Wohnungen und bekommt Bares. Da die dezentrale Unterbringung in Cottbus die Regel ist, kann Soumaila bei Volljährigkeit auf eine eigene Wohnung und eigenes Geld hoffen. Und wer in Cottbus Warengutscheine hat,
kann sie in relativ vielen Geschäften in der Stadt einlösen.
Anders in Hohenleipisch (Elbe-Elster) oder Bahnsdorf
(Oberspreewald-Lausitz). Größere Städte sind fern, die Bewohner unter sich. In den vergangenen Monaten kam es bei der Gutscheinausgabe zu Protesten und Ausschreitungen. In Hohenleipisch wurde eine Sozialamtsmitarbeiterin
verletzt, die Polizei musste anrücken. Während in Cottbus die Supermärkte meist um die Ecke liegen, müssen Asylbewerber in den Nachbarkreisen oft weit
zu den Märkten fahren, wo Gutscheine einlösbar sind. Gibt es dann Probleme, liegen die Nerven blank. Wie im Dezember in einem Elsterwerdaer Markt, in dem Asylbewerber mit Lebensmittelgutscheinen Kleidung kaufen wollten. Erst
die Polizei konnte damals die Lage beruhigen.
Der Puls steigt. Ich fühle mich wie ein ertappter Ladendieb, als ich die Artikel aufs Band stelle. Hinter mir wartet eine zierliche junge Frau mit einer Kuchenplatte. «9,93 Euro» , sagt die Kassiererin lächelnd. Das Lächeln gefriert, als ich den Gutschein überreiche. Eine Sekunde schaut sie unverwandt auf den rosa Zettel. Gucken die Kunden hinter mir auf den Schein», schießt es mir durch den Kopf. Ich schäme mich. Was denkt die Frau
mit der Kuchenplatte von mir? Die Kassiererin gibt mir die sieben Cent Restgeld zurück und drückt einen Knopf unter der Kasse, mit der sie wohl den Marktleiter anfordert. Ich sage hastig «Tschüss» , höre im Gehen keine Antwort, eile schnell aus dem Discounter und atme auf.
Umstrittenes Prinzip
Nicht immer geht es so glatt mit den Gutscheinen, erzählt Soumaila. In manchen Märkten darf man sie nur an bestimmten Kassen einlösen, manchmal nur an der Information. Oft gibt es Debatten zwischen Kassenpersonal und Asylbewerbern, was man mitnehmen darf. «Das ist wie ein Stempel» , sagt
Soumaila.
Das Gutscheinprinzip ist umstritten im Land: Potsdam und Brandenburg an der Havel geben inzwischen Bargeld aus. Das Ausgeben und Einsammeln der Scheine sei auch für die Ämter viel zu umständlich, heißt es dort. Das Sozialministerium rüffelte die Städte und verwies auf ein Bundesgesetz, nach
dem Barauszahlung meist untersagt sei. Nun geht das Ganze vor Gericht. So lange dort keine Entscheidung fällt, wollen vie le Städte und Landkreise in Brandenburg ihre Praxis beibehalten.
Etwa die Hälfte der brandenburgischen Landkreise reichen an Asylbewerber, die länger als drei Jahre in Deutschland leben, zumindest teilweise Bargeld aus. Dies ist nach Ansicht des Landesministeriums auch vom Gesetz gedeckt.
Bezugsberechtigt waren Ende 2002 in Brandenburg 4072 Asylbewerber und 3551 Personen mit Duldung.
Mit den Gutscheinen will das Asylgesetz Missbrauch vermeiden. Flüchtlinge sollen nicht mit Staatsmitteln Schleuserbanden bezahlen, Familienoberhäupter
nicht das Essens- und Kleidergeld für die Kinder verprassen. Soumaila erzählt, dass auch mit den Gutscheinen gehandelt wird. Allerdings gibt es
für die Zettel auf dem Schwarzmarkt nicht den vollen Gegenwert, sondern nur etwa 70 Prozent.
Zwar gebe es wirklich Leute, die mit Geld nicht umgehen könnten und die Warengutscheine bräuchten, sagt Sven Witzke. Doch «man kann nicht eine ganze Gruppe in eine Schublade stecken» . Auch wenn der Tausch immer wieder ein
logistisch aufwändiges Unterfangen ist, will die Initiative weitermachen.
Das flaue Gefühl im Magen ebbt erst ab, als ich mich mit den Einkäufen ins
Auto setze und losfahre. Ich falle endlich nicht mehr auf.
Asylbewerber trifft keine Schuld
(LR, 10.2.) Zur Diskussion über den Umgang mit Asylbewerbern in Bahnsdorf, die gegen die
Gutschein-Praxis protestierten (die RUNDSCHAU berichtete), schreibt Siegmar Bloedorn aus Lauchammer: Ja, es kommen Menschen in unser Land, «nur» weil sie Zuhause nicht gut leben, weil ihre Kinder im Heimatland durch
schmutziges Trinkwasser krank werden, keine Bildung bekommen und weil sie und ihre Familien keine medizinische Betreuung haben. Sie wollen Asyl — wie anmaßend« Viele Asylbewerber kommen aber auch nach Deutschland, weil sie in
ihrem Heimatland den Mut zum Widerstand gehabt haben, verfolgt werden und ihr Leben dort in Gefahr ist.
Herr Dr. Karl-Heinz Mehrling, in unserem Land wird nun mit juristischen Spitzfindigkeiten versucht, diesen Menschen ihr Aufenthaltsrecht zu nehmen. Diese Gerichtsprozesse kosten viel Geld, was sich alle sparen könnten, denn
wir alle wissen, wie undemokratisch und unmenschlich die politischen Verhältnisse in vielen Herkunftsländern sind.
Asyl ist in Deutschland Verfassungsrecht, und den Asy
lbewerbern steht das Geld für ihren Lebensunterhalt gesetzlich zu. Asylbewerber können in Deutschland nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, sie dürfen in
Deutschland laut Gesetz nicht arbeiten.
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Asylbewerbern Gutscheine, statt Geld
zu geben» Die Scheine müssen gedruckt werden, sie werden verteilt und müssen
auch wieder mit den Geschäften zurückverrechnet werden, das alles kostet
Geld und erscheint mir völlig sinnlos.
Gewalt ist in jedem Fall zu verurteilen. Aber erst, als die Asylbewerber die
Annahme der Gutscheine verweigerten, wurde ihre Stimme gehört. Die
Asylbewerber wollen zum Beispiel mit dem Bus fahren, Telefonkarten kaufen
und sich auch ein kleines Stück Luxus leisten. Welch unerfüllbare Forderung, Herr Georg Philipp, denn das gibt es nicht für Gutscheine.
Integration — wie denn« Im Wald bei Bahnsdorf oder in den Russenbaracken bei Hohenleipisch» Anpassung, indem man den Asylbewerbern mit den «Gutscheinen» noch ein Etikett für ihr Anderssein angeheftet. Ich kenne Asylbewerber, die in der Volkshochschule Deutsch lernen, das muss bezahlt werden, mit Euro, nicht mit Gutscheinen.
Ich weiß, die soziale Situation in unserem Land wird immer schlechter, und gerade unsere Region ist sehr stark davon betroffen. Aber warum wenden wir uns gegen die Schwächsten der Gesellschaft. Sind die Asylbewerber schuld, dass hier nur die Landschaften blühen und nicht die Wirtschaft« Es waren Politiker, die uns sichere Renten versprachen und gleichzeitig den Sozialkassen die Kosten für die Vereinigung aufbürdeten.
Wer wollte die Arbeitslosen halbieren und hat doch nur für immer weniger Arbeitsplätze gesorgt» Wer denkt Jahr für Jahr über die Erhöhung seiner Diäten nach? Ja, wir sollten uns wehren, in Deutschland, einem schönen und hoffentlich gastfreundlichen Land.