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Das kurze schöne Leben”

(silke ket­tel­hake)Ausstel­lungseröff­nung in der Lib­er­tas-Schulze-Boy­sen-Gedenkstätte in Lieben­berg, einem Gut­shof nördlich von Berlin. Hier kom­men sie alle noch ein­mal zusam­men: die Über­leben­den, die Kinder der Ermorde­ten der Roten Kapelle, die His­torik­er. Ein­ge­laden hat die Deutsche Kred­it­bank, die die Ausstel­lung sponserte. 

Kurz und schön, so sollte ihr Leben sein, dichtete die am 20. Novem­ber 1913 in Paris geborene Lib­er­tas Schulze-Boy­sen als junges Mäd­chen. Eine Betreuerin aus ihrer Schulzeit in Zürich erzählte: “Alles, was sie tat, tat sie mit Lei­den­schaft.” Vor 60 Jahren legte die Gestapo ein makabres Fotoal­bum an von den Mit­gliedern der “Roten Kapelle”, wie die Nation­al­sozial­is­ten die Sam­mel­be­we­gung von Wider­stand­skämpfern tauften. Heute sind die Auf­nah­men in der Gedenkstätte deutsch­er Wider­stand in Berlin zu sehen, 108 Dreifach­porträts, Pro­fil, voller Blick in die Kam­era, Pass­fo­to­hal­tung. Hin­ter einige der Namen haben die Gestapoleute mit krake­liger Hand ein Kreuz gemalt. Tot. 42 Porträts von Frauen, 66 von Män­nern. Eines der Fotos zeigt Lib­er­tas Schulze-Boy­sen (geb. Haas-Heye), 29jährig, ver­schreckt und ungläu­big. Über sechs Jahre aufreiben­der Wider­stand­sar­beit an der Seite ihres Mannes, zusam­men mit ihren Fre­undin­nen und Fre­un­den liegen hin­ter ihr. Auf 19 Frauen wartet das Fall­beil, 49 Män­ner wer­den ermordet, Gnadenge­suche von Hitler per­sön­lich abgelehnt. 

In ihrer abgrundtiefen Verzwei­flung ver­rät Lib­er­tas in der vier­monati­gen Haft ein­er Spitzelin entschei­dende Details: Aktio­nen, Namen und Adressen. Als eine der weni­gen Frauen weiß sie um das €paweite Spi­ona­genetz, mit dem kriegswichtige Fak­ten nach Moskau gefunkt wer­den soll­ten. Aus Berlin kam ein einziger Spruch in Moskau an, ständig war das Funkgerät kaputt, bedi­enen kon­nte es nie­mand so richtig. Stal­in ignori­erte die War­nung vom bevorste­hen­den Rus­s­land-Feldzug der Wehrma­cht. Lib­er­tas weiß, wer welch­es Flug­blatt schrieb, weiß, wer wann Juden dabei half, aus Deutsch­land zu fliehen, weiß um die Briefak­tio­nen, weiß, dass ihr Mann, der Ober­leut­nant Har­ro Schulze-Boy­sen, mil­itärisch wichtige Infor­ma­tio­nen von sein­er Arbeitsstelle, dem Reich­sluft­fahrt­min­is­teri­um, weit­ergibt. Die Jour­nal­istin war aktiv beteiligt. 

Lib­er­tas arbeit­ete unter anderem als Presseref­er­entin in der Kul­tur­filmzen­trale des Reich­spro­pa­gan­damin­is­teri­ums. Hier schaffte sie eigens eine Repro­mas­chine an, um zusam­men mit dem später in der Nachkriegszeit als Ver­fass­er leicht­füßiger Romane bekan­nt gewor­de­nen Schrift­steller Alexan­der Spo­erl eine fotografis­che Doku­men­ta­tion über die von der SS und der Wehrma­cht began­genen Gräuel an der Ost­front anzule­gen. Knapp vor ihrer Ver­haf­tung gelingt es ihr, die Samm­lung zu vernichten. 

War sie leichtsin­nig, aben­teuer­lustig, schnell zu ver­führen? Ihr heute 92jähriger Brud­er Johannes Haas-Heye, der in der Char­lot­ten­burg­er Woh­nung von Har­ro und Lib­er­tas ein- und aus­ging, erzählt. “Nein, aber sie war sehr impul­siv. Leichtsin­nig, das kam vielle­icht dann doch manch­mal vor. Ich kann aber nicht sagen, dass sie unvor­sichtig war. Klar, sie nahm an, dass viele, die sie traf, auf ihrer Seite ste­hen und wie sie dacht­en und han­del­ten.” Uner­müdlich reist Haas-Heye zu jed­er Ver­anstal­tung, die die Rote Kapelle bet­rifft. Endlich Aufk­lärung. Seine Schwest­er war wed­er eine waghal­sige Spi­onin, wie die west­deutsche Geschichtss­chrei­bung behauptete, noch eine “Kund­schaf­terin im Auf­trag Moskaus”, wie die DDR sie tit­ulierte. Johannes Haas-Heye lächelt: “Dass Lib­er­tas poli­tisch tätig ist, das habe ich immer gewusst. Ich bin mit ihr zusam­men in der Schweiz in die Schule gegan­gen, ich kenne meine Schwest­er gut. Sie war so ein Men­sch, sie war jahre­lang dabei. 1935 bis 1936 habe ich ein Jahr zusam­men mit ihr und Har­ro Schulze-Boy­sen oben in der Woh­nung im Wes­t­end gelebt. Das Poli­tis­che war von Anfang an ganz klar. Wir haben den Umschwung mit­bekom­men, während wir in der Schweiz waren, sozusagen von außen: Dann kann man nicht für die Nazisache gewe­sen sein.” 

Sie lebt ein intellek­tuelles bour­geois­es Upper Class-Leben zwis­chen rus­sis­ch­er und amerikanis­ch­er Botschaft, trifft Leute aus der Film­branche. Da ist das kos­mopoli­tis­che Großs­tadtleben in Berlin, da ist Lieben­berg, das Schloss, die Seen, der Lenné­park, da ist 1936 die Heirat mit Har­ro Schulze-Boy­sen, da ist der oppo­si­tionelle Fre­un­deskreis, da sind die Sege­laus­flüge, die Zelt­lager, die sowohl als Tre­ff von Gle­ich­gesin­nten als auch zum Besprechen von Aktio­nen dienen. 

Doch die Bedro­hung ist da, sie zieht immer näher her­an, die dun­kle Angst. Für ihren Mann zählen an erster Stelle die Wider­stand­sak­tio­nen. Für ruhige gemein­same Abende ist da keine Zeit. Bei­de Ehep­art­ner haben Geliebte, Lib­er­tas geht eine Liai­son mit dem Schrift­steller Gün­ther Weisen­born ein, arbeit­ete mit ihm zusam­men an Tex­ten und einem Hör­spiel. Als sie ihren Job in der Reichs­filmzen­trale antritt, ver­di­ent sie mit 800 RM mehr als ihr Mann. 

Das Pri­vate war poli­tisch und das Poli­tis­che pri­vat. Jede neue Bekan­ntschaft war ein Risiko und ein Gewinn. Während Har­ro Schulze-Boy­sen als der führende Kopf der Gruppe neben Arvid Har­nack men­tale Stärke an den Tag legt, plagt sie zunehmend die Unruhe. Zu ihrem Fre­un­deskreis gehören, um nur einige zu nen­nen, die Tänz­erin Oda Schottmöller, die Ökonomin Gre­ta Kuck­hoff zusam­men mit ihrem Mann, dem Dra­matik­er Adam Kuck­hoff, die Stu­dentin Eva Buch, die Ärztin Elfriede Paul, die Lit­er­atur­wis­senschaft­lerin Mil­dred Har­nack, die Keramik­erin Cato Bon­t­jes van Beeck und noch viele, viele mehr aus den unter­schiedlich­sten Gesellschaftss­chicht­en, die alle ihr Leben riskierten. 

Johannes Haas-Heye erin­nert sich: “Ende August, als ich mal wieder zu Besuch kam, da stand sie schon am Omnibus. Lib­er­tas sagte: “Es ist etwas Furcht­bares passiert. Har­ro ist ver­haftet!” Dann sind wir in die Woh­nung gegan­gen, es kam noch der junge Heil­mann (ein Fre­und von Lib­er­tas; Anm.) hinzu, der auch auf unser­er Seite arbeit­ete. Da haben die bei­den noch über­legt, soll­ten sie fliehen? Wir mussten natür­lich ein­se­hen, dass das Haus überwacht wurde und das alles keinen Sinn mehr machte. Die Span­nung wuchs und wuchs und es passierte nichts. Eine ganze Woche hat­te meine Schwest­er noch Zeit, andere zu war­nen. Natür­lich war ihr dabei die Gestapo auf den Fersen. “Jet­zt muss ich aber Gewis­sheit haben”, sagte sie. Sie hielt die Span­nung nicht mehr aus und schrieb an unsere Mut­ter eine offene Karte, sie führe dann und dann an die Mosel – in der Annahme, dass die Gestapo diese Karte abfängt und Bescheid weiß. Unsere Mut­ter kam extra aus Lieben­berg und brachte sie noch zum Zug, am Pots­damer Bahn­hof. Der Zug fährt ab. Dann ein Anruf: Sie ist nicht angekom­men. Sie ist in Pots­dam schon aus dem Zug geholt worden.” 

Aus. Ende. Lib­er­tas schreibt in einem ihrer let­zten Gedichte aus der Haft an ihre Mut­ter: “Oh Gnade statt der lan­gen Jahre/mühsames Tas­ten bis zur Bahre/das uner­messlich Wunderbare/zu leben in Sekundenklare/da gibt es nicht mehr Schuld und Triebe/ da gibt es nur noch Kraft und Liebe.” 

Johannes Haas-Heye: “Meine Mut­ter fuhr am 24. Dezem­ber 1942 von Lieben­berg nach Berlin, mit einem kleinen Päckchen unter dem Arm, einem Wei­h­nachts­geschenk für Lib­er­tas. Von Gefäng­nis zu Gefäng­nis hat man sie immer weit­er geschickt. Schließlich ist sie unver­richteter Dinge wieder nach Lieben­berg hin­aus­ge­fahren. Ich glaube, zwei Tage später rief der Roed­er, der Staat­san­walt, der Libs vor dem Reich­skriegs­gericht zum Tode verurteilte, bei meinem Onkel an und sagte, die Hin­rich­tung war schon am 22. Dezem­ber. In einem ganz, ganz üblen Ton, so in etwa, die haben es ja ver­di­ent. Im Sinne der Nazis war er ja ein fabel­hafter Men­sch. F
urchtbar.” 

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