WITTSTOCK. Das Spätaussiedlerheim liegt mitten im Wald an einer unbefestigten Straße in Alt Daber, einem Ortsteil von Wittstock (Ostprignitz-Ruppin). In dem alten dreigeschossigen Haus, in dem einst Lehrlinge untergebracht waren, leben 30 Russlanddeutsche. Der Heimleiter ist gerade im Urlaub. Und so sind die Leute unter sich. Kajrat, sagt eine ältere Frau, sei ein guter Junge gewesen. “Den haben sie einfach totgeschlagen.” Doch dann schweigt sie. Sie wolle nichts sagen. “Besser nicht.”
Ganz in der Nähe ist es passiert. Dort ist der 24-jährige Kajrat Batesow in der Nacht zum 4. Mai überfallen worden. Der Spätaussiedler wurde niedergeschlagen, mit einem Feldstein wurde ihm der Brustkorb zertrümmert. Die Staatsanwaltschaft geht von einem fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat aus, auch wenn die Tatverdächtigen bisher nicht als Rechte bekannt gewesen sind.
Seit dieser Bluttat reißt die Welle der Gewalt in Wittstock nicht ab. Rechte Schläger überfallen Spätaussiedler. Die wiederum rächen sich und verprügeln vermeintliche Rechte. “Die Stadt hätte der Spirale der Gewalt nicht aus eigener Kraft Einhalt gebieten können”, sagt Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP) am Donnerstagabend. Und so ist er “dankbar dafür”, dass die Landesregierung ein Krisentreffen initiiert hat. Denn bisher sei die Stadt alleine gelassen worden. “Außer ein paar guten Ratschlägen kam da nichts”, sagt Scheidemann.
An diesem Abend sind Vereine gekommen, die Ausländerbeauftragte ist da und die Toleranzbeauftragte. Ein Vertreter der rund 400 in Wittstock lebenden Russlanddeutschen fehlt. “Es ist schwer, an sie heranzukommen”, sagt Scheidemann. Daher soll demnächst eine Selbstvertretergruppe der Spätaussiedler ins Leben gerufen werden.
Innenstaatssekretär Eike Lancelle macht an diesem Abend deutlich, was das Problem dieser Stadt ist. “Die NPD spielt in Wittstock die verhängnisvolle Rolle des Brandstifters”, sagt er. Die Wittstocker dürften dies nicht länger tolerieren. Immerhin gebe es schon ein Menschenleben zu beklagen.
In Wittstock gibt es nach Ansicht Lancelles eine gut organisierte rechte Szene. 25 Rechte sind bekannt, 17 davon werden als gewaltbereit eingeschätzt. “Der Verfassungsschutz wird diese Leute weiter stark beobachten”, sagt er. Zudem werde die Polizeipräsenz verstärkt, solange es notwendig sei, versichert Lancelle. Der Schutzbereich müsse nicht fürchten, dass Beamte im Zuge der Polizeireform für den Aufbau der Autobahnpolizei abgezogen werden. Die 15-köpfige Soko Tomeg Nord (Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt), die sich um potenzielle Täter der rechtsextremen Szene in Wittstock und Umgebung kümmert, bleibt in der gleichen Stärke erhalten. “Vielleicht wird sie sogar aufgestockt”, sagt Lancelle.
Bürgemeister Scheidemann, der seine Stadt nicht in der rechten Ecke sehen will, sagt, er wolle versuchen, sowohl mit den Spätaussiedlern als auch mit den Rechten ins Gespräch zu kommen. “Damit wir hier erst einmal einen Burgfrieden haben”, sagt er.
Erste Gespräche mit den Russlanddeutschen sind bereits geplant. “Sie öffnen sich langsam und berichten über den Rassismus, den sie täglich erleben”, sagt Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almut Berger. Die Repressalien fingen schon in der Schule an. “Kinder drangsalieren dort Kinder. Das darf nicht sein”, sagt Berger.
Für die Familie von Kajrat kommen alle Vorschläge, die Situation der Russlanddeutschen zu verbessern, zu spät. Sie will weg aus Brandenburg und zu Verwandten nach Baden-Württemberg ziehen. Dort ist auch Kajrat begraben worden.