Berliner Morgenpost: Herr Schönbohm, in Brandenburg sind erstmals
Rechtsextremisten in einem Terrorismusprozeß zu Haftstrafen verurteilt
worden. Halten Sie die viereinhalb Jahre Haft für den 20jährigen
Rädelsführer und die Jugendstrafen zur Bewährung für elf weitere Angeklagte
für ausreichend?
Jörg Schönbohm: Es ist ein Urteil mit Augenmaß und Perspektive, von dem ein
klares Signal ausgeht. Der Rädelsführer erhält die höchste Strafe, die
anderen auf Bewährung verurteilten Jugendlichen bekommen die Chance, sich in
die Gesellschaft zu integrieren. Der Rechtsstaat hat damit nicht nur Härte
gezeigt, er reicht denen die Hand, die Einsehen zeigen.
Befragungen Ihres Ministeriums ergaben, daß Mitwisser tatenlos blieben, als
die Jugendlichen Brandanschläge auf Asia-Imbisse und Dönerbuden verübten.
Wie erklären Sie sich die Mauer des Schweigens?
Die Sozialkontrolle hat offensichtlich versagt. Viele haben von den
rechtsextremen Gedanken der jungen Menschen gewußt, keiner hat etwas
unternommen. Darunter ein Bürgermeister, eine Kommunalpolitikerin, eine
Lehrerin und ehemalige Mitschüler. Die Liste ließe sich fortsetzen. Erst der
Revierförster ist tätig geworden. Dieses Maß an Feigheit und
Gleichgültigkeit ist schockierend und eine Schande. Das Urteil trägt
hoffentlich dazu bei, daß die Menschen aufwachen.
Nirgendwo in Deutschland ist das Risiko, Opfer einer rechtsextrem
motivierten Gewalttat zu werden höher als in Brandenburg. Weshalb greift
ihre Law-and-Order-Politik nicht?
Die Polizei steht am Ende und nicht am Anfang der Entwicklung. Nach einer
leichten Abnahme stieg die Zahl rechtsextremer Gewalttaten voriges Jahr um
18 auf 105 Fälle erneut. Mit den Mitteln des Rechtsstaates durch den Einsatz
der Polizei sind wir am Anschlag. Brandenburg ist mit der mobilen
Einsatzeinheit gegen Ausländerfeindlichkeit vorbildlich aufgestellt. Ein
anderes gesellschaftliches Klima zu entwickeln ist ein langwieriger Prozeß.
Wir brauchen praktisch eine geistige Bürgerwehr für Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit.
Kein anderes Bundesland hat in den Kampf gegen den Rechtsextremismus so viel
investiert wie Brandenburg. Ist das Konzept gescheitert?
Nein. Ich habe aber den Eindruck, daß wir in Brandenburg sehr viel über
Ausländerfeindlichkeit reden, aber immer noch zu wenig tun. Es gibt sehr
engagierte Bürger, zu viele sind jedoch mit der Verbreitung von
Hochglanzbroschüren beschäftigt. In der Regierung haben wir ein abgestimmtes
Konzept, das aufgrund der Erfahrungen weiterentwickelt werden muß.
Besteht nicht die Gefahr, daß der Rechtsextremismus im Osten angesichts der
weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zunimmt?
Daß die Arbeitslosigkeit den Rechtsextremismus begünstigt und damit auch die
Regierung Schröder indirekt viel Verantwortung trägt, steht für mich fest.
Rechtsextremes Gedankengut darf aber nicht mit fehlender sozialer
Perspektive entschuldigt werden. Wir müssen eine Brücke zu den jungen
Menschen schlagen. Ich höre immer wieder, mit welcher Art und Weise in der
DDR Intoleranz und auch Antisemitismus geübt wurde. Einige schreiben dies
fort. Manchen Erwachsenen fehlt das Unrechtsbewußtsein, sie sind keine
Vorbilder. Das ist eine Erblast, mit der wir umgehen müssen.