Kerstin Kaiser-Nicht zum Umgang mit braunem Gedankengut — Die 44-jährige Diplomslawistin ist stellvertretende Vorsitzende der brandenburgischen PDS-Landtagsfraktion.
ND: Am Montag wurden in Potsdam die Mitglieder der Neonazigruppe »Freikorps« als terroristische Vereinigung verurteilt. Mit dem Ziel, die Region »von Ausländern zu säubern«, hatten die Jugendlichen Döner- und Asia-Imbisse in der Region um Nauen niedergebrannt. Der Anführer der Gruppe erhielt eine viereinhalbjährige Haftstrafe, die elf anderen Angeklagten Bewährungsstrafen. Wie beurteilen Sie den Richterspruch gegen das »Freikorps«?
Kaiser-Nicht: Das Urteil geht in die richtige Richtung. Es ist eine klare und notwendige Reaktion des Rechtsstaates. Jedoch bleiben etliche Fragen offen, was den weiteren Umgang mit dem Rechtsextremismus angeht.
Wie und warum können sich solche Gruppen bilden? Warum wird weggesehen, wenn man hätte hinsehen müssen?
Zum Beispiel wussten nicht beteiligte Mitschüler des »Freikorps«-Anführers, dass dieser hinter den Anschlägen steckt. Offenbar hat niemand etwas unternommen, das Treiben der jungen Neonazis wurde akzeptiert. Die Sensibilitätsgrenze für Unrecht ist hier völlig verschoben. Es ist erschreckend, was unter vielen Brandenburger Jugendlichen als normal und akzeptabel gilt. Ich fühle mich in der Einschätzung bestätigt, dass Rassismus und Rechtsextremismus keine Randphänomene sind, sondern aus der Gesellschaftsmitte kommen. Das gesellschaftliche Frühwarnsystem hat in Nauen versagt. Es versagt auch anderswo im Land.
Wo sehen Sie die Gründe?
Wir müssen uns mit den Grundwerten unserer Gesellschaft auseinander setzen. Alle sozialen Prozesse werden wie die Wirtschaft vom Konkurrenzprinzip beherrscht, was durch den Sozialabbau noch verstärkt wird.
Da liegt es auf der Hand, dass auch Jugendliche beginnen, um ihre Privilegien und ihre Zukunft zu fürchten und als vermeintlich Stärkere gegen vermeintlich Schwächere vorgehen. Hinzu kommt ein klar rassistisches Weltbild, das sich aus weit verbreiteten Ressentiments nährt. Und Ausgrenzung führt in die Katastrophe. Das wurde beim »Freikorps« deutlich. Zudem gehen von der Politik falsche Signale aus, wie in dem Hickhack um die Einsetzung einer Härtefallkommission für abgelehnte Asylbewerber zu sehen war.
Ähnlich wie Sie sagt auch Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), dass in Nauen die Sozialkontrolle durch Eltern, Schule und Vereine versagt hat.
Damit hat er Recht, doch die Regierungspolitik, die er mit betreibt, geht in eine andere Richtung. Die Verfolgung der Rechtsextremisten durch Polizei und Justiz ist richtig, darf aber nicht die alleinige Antwort sein. Es muss in die Infrastruktur im Kampf gegen Rechtsextremismus investiert werden. Die Regierung streicht hingegen massiv Mittel. Dem Verein Opferperspektive, der Betroffene rechter Gewalt betreut, sollen die Mittel gestrichen werden. Auch das landesweite Aktionsbündnis für ein Tolerantes Brandenburg braucht mehr politische Unterstützung, also auch mehr Geld. Vor allem vernachlässigt die Regierung die Prävention – nötige Strukturen, die es teils schon gab, brechen dadurch teilweise weg. Ein Beispiel: Den Jugendklub meiner Heimatstadt Strausberg, in dem sich auch rechtsorientierte Jugendliche treffen, betreuen keine Fachkräfte mehr, sondern dafür nicht qualifizierte Ein-Euro-Jobberinnen. So kann es nicht gehen.