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Antifaschismus

Das ‘tolerante Brandenburg’ stelle ich mir anders vor”

Sehr geehrter Herr Speer,

zunächst möchte ich der Bran­den­burg­er Polizei danken, dass sie so rasch den Bran­dan­schlag auf das Haus der Demokratie in Zossen aufk­lären kon­nte. Ich hoffe, dass im Rah­men der weit­eren Ermit­tlun­gen auch die angezeigten, aber bish­er nicht aufgek­lärten Straftat­en, so der Anschlag auf das Haus der Demokratie 14 Tage nach sein­er Eröff­nung im März 2009, die Farb­schmier­ereien, zer­störte Fen­ster­scheiben und Mord­dro­hun­gen gegenüber Mit­be­grün­dern des Haus­es der Demokratie mit ein­be­zo­gen werden. 

Auf der Web­site des Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­ums las ich in Ihrer Stel­lung­nahme, dass der schnelle Fes­t­nah­meer­folg der recht­sex­trem­istis­chen Szene sig­nal­isiert, dass ihr kein Spiel­raum gelassen wird. Dies habe ich jedoch am 27. Jan­u­ar anders erlebt, als ich an der Gedenk­feier für die Opfer des Nation­al­sozial­is­mus in Zossen teil­nahm. Die Bürg­erini­tia­tive „Zossen zeigt Gesicht“ hat­te aufgerufen und über 150 Bürg­erin­nen und Bürg­er, auch Mit­glieder der Vere­ini­gung der Ver­fol­gten des Naziregimes – Bund der Antifaschis­ten (VVN-BdA), ver­sam­melten sich um 18 Uhr vor dem Rathaus auf dem Mark­t­platz. Frauen und Män­ner der Bürg­erini­tia­tive ver­lasen Kurzbi­ografien von 76 Antifaschis­ten, Juden und anderen Ver­fol­gten des Naziregimes aus Zossen, darunter Frauen und Män­ner, die in Konzen­tra­tions- und Ver­nich­tungslager, in Bran­den­burg-Gör­den und in Plötzensee ermordet wur­den. Ihre Namen hall­ten über den Mark­t­platz. Ein für mich völ­lig uner­wartetes Echo kam von der anderen Seite des Mark­t­platzes. Dort hat­ten sich etwa 20 Neon­azis ver­sam­melt und störten das Gedenken mit Trillerpfeifen, Sprechchören wie „nieder mit der roten Pest“, „hoch der nationale Wider­stand“ und anderen Parolen, auch das Wort „Lügen“ wurde skandiert. Die Ein­satzkräfte der Polizei schirmten die Nazis ab, sie schrit­ten aber gegen diese Störung nicht ein und ließen die Neon­azis gewähren.

Als ich den Ein­sat­zleit­er sprechen wollte, erk­lärten die von mir ange­sproch­enen Polizis­ten, dass sie nicht wüssten, wer es ist und wie er zu erre­ichen sei. Als ich ihnen sagte, es könne doch nicht sein, dass die hier geehrten Opfer des Naziregimes von den Neon­azis ver­höh­nt wer­den, zuck­ten sie mit den Schul­tern. Meine Frage, warum sie die Nazis gewähren ließen, blieb unbeant­wortet. Ein Polizist aus Zossen erk­lärte mir, dass dies eine öffentliche Ver­anstal­tung sei und Bürg­er, die eine andere Mei­n­ung haben, dies auch kund­tun kön­nten. Auch er sah keinen Grund, dage­gen einzuschre­it­en. Das „tol­er­ante Bran­den­burg“ stelle ich mir anders vor.

Am 27. Jan­u­ar war ich zu der Gedenk­feier im Reich­stag ein­ge­laden. Dort erneuerte der Präsi­dent des Deutschen Bun­destages das Ver­sprechen, „dass wir das, was in der Ver­gan­gen­heit geschehen ist, nicht vergessen. Wir wis­sen um die Verpflich­tung, jede Form von Hass, Intol­er­anz, Diskri­m­inierung, Aus­gren­zung und Anti­semitismus entsch­ieden zu bekämpfen.“ In Zossen habe ich erlebt, dass Bürg­er dieser Stadt Gesicht gegen Recht­sex­trem­is­mus gezeigt haben, aber die dort anwe­sende Polizei ein­fach wegge­hört hat. Die Bürg­er­meis­terin nahm erst gar nicht an der Gedenkver­anstal­tung nicht teil und ver­weigerte der Bürg­erini­tia­tive Strom aus dem Rathaus für Licht und Lautsprecher.

Als Bürg­er und auch als Vor­sitzen­der der Berlin­er Lan­desvere­ini­gung der VVN-BdA bitte ich, nein erwarte ich, dass dieses Fehlver­hal­ten der Polizei aus­gew­ertet und Schlussfol­gerun­gen gezo­gen wer­den. Dazu gehört auch die Beant­wor­tung solch­er Fra­gen, warum keine Platzver­weise aus­ge­sprochen und die Per­son­alien der Stören­friede nicht aufgenom­men wor­den sind? Ich behalte mir eine Anzeige wegen Ver­leum­dung von Opfern des Naziregimes vor.

In Ihrer Stel­lung­nahme zu dem Fah­n­dungser­folg in Zossen lese ich mit großer Ver­wun­derung: „Jed­er kann sich auch kün­ftig darauf ver­lassen, dass in Bran­den­burg mit aller Kon­se­quenz gegen extrem­istis­che Gewalt vorge­gan­gen wird”.

Zossen und viele andere Beispiele in Bran­den­burg zeigen indes, dass nicht von einem dif­fusen „Extrem­is­mus“ Gefahren aus­ge­hen, son­dern von Anschlä­gen, Über­grif­f­en, Mord­dro­hun­gen und Ein­schüchterun­gen aus einem weit gefächerten neo­faschis­tis­chen Spek­trum. In Zossen wer­den Men­schen, die sich in der Bürg­erini­tia­tive „Zossen zeigt Gesicht“ engagieren bere­its als „Link­sex­trem­is­ten“ beschimpft. 

Der Recht­sex­trem­is­mus mit seinen vie­len Facetten ist und bleibt das eigentliche Prob­lem, das mit aller Entsch­ieden­heit zu bekämpfen ist. Dazu bedarf es ein­deutiger Posi­tio­nen und klar­er Begriffe, auch für die Polizis­ten, die Zuständi­gen und die Anständigen. 

Am 29. Juni 1933 wur­den 29 Zossen­er Antifaschis­ten festgenom­men, mis­shan­delt und anschließend in das Konzen­tra­tionslager Oranien­burg ver­bracht. Dort war auch mein Vater im Alter von 18 Jahren inhaftiert. Meine Eltern wur­den neun Jahre später wegen ihres Wider­stands gegen das Nazi-Regime in Plötzensee ermordet. 

Ich habe mir nicht vorstellen kön­nen, dass Opfer des Faschis­mus öffentlich in Gegen­wart der Polizei ver­höh­nt wer­den kön­nen. Dies bewegt mich sehr, auch deshalb wende ich mich an Sie.

Mit fre­undlichen Grüßen

Dr. Hans Cop­pi

 

 

 

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