Julia S. sitzt seit mehr als drei Monaten in Haft, ihr wird versuchter Mord vorgeworfen. Nach einem Überfall im Juni gemeinsam mit anderen Antifaschisten auf einen rechtsgerichteten Jugendlichen in der Innenstadt sitzt die 22-Jährige in Duben in Untersuchungshaft. Selbst Strafrechtler bezeichnen diese Art der Unfreiheit, bei der Beschuldigte ohne rechtskräftiges Urteil festgehalten werden, als größten Eingriff in die Grundrechte eines Menschen.
Wie lange die Haft noch dauert, hängt von der Staatsanwaltschaft Potsdam ab, die ermittelnde Behörde in diesem Fall. Eine Anklage sei in Vorbereitung, hieß es zuletzt. Zwei Haftbeschwerden ihres Anwalts Steffen Sauer blieben bislang erfolglos. Als Begründung diente ein nicht gefestigtes soziales Umfeld und Fluchtgefahr. Eine Gefahr, die es nach Aussage von Strafrechtlern in solchen Fällen nicht gebe, da es Abkommen mit dem Großteil der Staaten gibt, die an Deutschland ausliefern. Julia S. vom Verein Chamäleon darf seit drei Monaten nicht telefonieren, erhielt am Geburtstag keine Sonderbesuchsrecht für ihre Familie und darf nur alle zwei Wochen drei ihrer Freunde und Angehörigen für eine halbe Stunde sehen. Unüblich für Fälle wie diesen, sagt ein Strafrechtler dieser Zeitung.
Julia S. ist die einzige der fünf Beschuldigten des Überfalls, die rechtlich als erwachsen gilt. Sie sei aber keine, die mit Kapuze über dem Kopf durch die Straßen rennt und rumprügelt, sagt ihre Freundin Chora. Sie war am Abend des mutmaßlichen Überfalls noch gemeinsam mit ihr vor dem Blauhaus, in dem die Absolventen des Helmholtz-Gymnasiums Abi-Ball feierte. Während Chora feierte, legte Julia S. ihre Hochschulreife bereits vor drei Jahren am privaten Evangelischen Gymnasium ab. Danach begann sie, Jüdische Studien in Potsdam zu studieren. Sie wird als Bücherwurm beschrieben. Nach dem Vorfall wurde sie aus einem Erste-Hilfe-Kurs heraus verhaftet, den sie für ihre Tätigkeit als Betreuerin von Kinderferienlagern besuchte. Von einem nicht gefestigten sozialen Umfeld, wie es die Behörden mitteilen, wollen ihre Freunde und Eltern nichts wissen. Mutter Heike und Vater Andreas leben mit Julias Bruder Eric in Caputh. Alle gemeinsam sind sie vor einigen Jahren aus Potsdam weg gezogen. Anfangs sei Julia noch mit Fahrrad zwischen den Orten gependelt, doch das Engagement im Verein Chamäleon und viele Veranstaltungen am Abend hätten dies nicht mehr zugelassen. Daher sei sie ausgezogen, sagt Mutter Heike. Zerrüttet sei das Familienverhältnis nicht, dafür spräche auch der Antrag, dass Julia S. aus der Haftanstalt heraus Telefonkontakt zur Mutter aufnehmen wolle. Er wurde abgelehnt.
Heike S. hat Arbeit – und war acht Jahre lang Jugendschöffin am Amtsgericht Potsdam. Recht studiert hat sie nicht, aber was Gerechtigkeit sei, wisse sie. Der Umgang mit ihrer Tochter sei jedenfalls nicht gerecht.