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Demos in Belzig und Teltow

Erin­nerung und Protest

150 Teil­nehmer der Jugend-Antifa-Demon­stra­tion “rock­en Belzig”

(MAZ) BELZIG — Rund 150 Teil­nehmer haben am Sonnabend­nach­mit­tag in der Kur- und Kreis­stadt “Für eine pro­gres­sive Jugend­kul­tur” und “nie wieder Faschis­mus” demon­stri­ert. Sie waren vom Bahn­hof in das Wohnge­bi­et Klinken­grund und schließlich durch die Innen­stadt gezogen. 

An der Post fand die Abschlusskundge­bung statt. Dort befind­en sich bekan­ntlich der Gedenkstein für die Opfer des Faschis­mus sowie für den markokkanis­chen Asyl­be­wer­ber Belaid Bay­lal. Er war im Jahr 2000 an den Spät­fol­gen eines ras­sis­tis­chen Über­falls von 1993 in Belzig gestorben. 

“Belzig rock­en — Preußis­che Aktions­front zer­schla­gen” stand auf dem Trans­par­ent an der Spitze des Zuges. Bekan­ntlich hat­te die Jugend-Antifa Belzig als Organ­isatorin ein­er ein­wöchi­gen Ver­anstal­tungskam­pagne einerseits
an den Beginn des Todes­marsches für 600 Häftlinge aus dem KZ-Außen­lager Roeder­hof vor 59 Jahren erin­nern wollen. Ander­er­seits sollte der Protest gegen die zulet­zt mas­siv­en Aktiv­itäten der neon­azis­tis­chen Szene in der Kur-
und Kreis­stadt man­i­festiert werden. 

Dem Umzug, in dem auch zahlre­iche Aktivis­ten aus Berlin, Pots­dam und Dessau mit­marschierten, schlossen sich auch Eltern von Jugendlichen und sym­pa­thisierende Bürg­er an, “weil wir gegen Nazis in unser­er Stadt sind.” Deut­lich dis­tanzierten sie sich jedoch von Parolen wie “Nie wieder
Deutsch­land!” oder “Wider­stand mit allen Mitteln!” 

Ins­ge­samt ist die Aktion jedoch — abge­se­hen von kleineren Zwis­chen­fällen — nach Ein­schätzung von Alfons Ste­fa­ni­ak, Leit­er der Polizei­wache Belzig, friedlich ver­laufen. Rund 60 Beamte waren mit zahlre­ichen Einsatzfahrzeugen
zur Absicherung der knapp zweistündi­gen Ver­anstal­tung im Einsatz. 

In der Nacht zum Sonnabend waren in der Kur- und Kreis­stadt ein­mal mehr rechts­gerichtete Kle­bezettel verteilt wor­den. Außer­dem war von unbekan­nten Tätern ver­sucht wor­den, die Fen­ster­scheibe des Info­cafés “Der Winkel” einzuschlagen. 

Heftige Wort­ge­fechte in Teltow-Seehof

Demon­stra­tion der autonomen Antifa blieb aber friedlich / Schmidt von “Redein­hal­ten zutief­st enttäuscht”

(MAZ) TELTOW Es flo­gen Worte, die aus der unter­sten Schublade stammten, aber es
blieb friedlich. Insofern kon­nte zumin­d­est Ralf Marschall, Ein­sat­zleit­er der
Polizei, am Sam­stag abend eine erfreuliche Bilanz ziehen. Aus Polizeisicht
hieß es: “Wir haben gehofft, dass sie friedlich bleiben, und das haben sie
getan.” Den Ord­nung­shütern, die mit 70 Ein­satzkräften in Teltow-Seehof
waren, sei es darum gegan­gen, “die Parteien auseinan­der zu halten”. 

Wie nötig dies war, zeigte sich am Ende der Demon­stra­tion, die die “Autonome
Antifa Nor­dost” nach See­hof führte, um “den Anti­semiten den Boden zu
entziehen”. In ähn­lich der­ber Sprache kam es nach der Abschlusskundgebung
über die Köpfe der Polizis­ten hin­weg zu hefti­gen Wort­ge­fecht­en zwischen
See­hofern und den 50 bis 70 Demon­stran­ten der Autonomen Antifa. Die hatten
keinen Hehl daraus gemacht, dass sie nicht gekom­men waren, um zu
disku­tieren. Sie woll­ten den See­hofern “nach besten Kräften auf die Nerven
gehen”. Und das hörte sich u.a. so an: “Tel­tow-See­hof wird bald weichen,
Deutsch­land von der Karte stre­ichen.” Und: Der “Dorf­mob” hätte es nicht
anders ver­di­ent, wenn “ein paar Panz­er mit Stern die Entschädigungen
ein­treiben wür­den”. Ein­er der Demon­stran­ten, die auch zur Sol­i­dar­ität mit
Israel auf­forderten, meinte, ihr Protest sei bewusst polemisch. Ziel: Die
See­hofer soll­ten das Min­deste tun — Entschädi­gun­gen an die jüdis­chen Erben
zahlen. Aus dem Antifa-Laut­sprecher­wa­gen hörte es sich mar­tialis­ch­er an. Bei
den See­hofern kam diese “Polemik” als has­ser­füllte Beschimp­fung an. Er sei
über die Redein­halte “zutief­st ent­täuscht”, so Tel­tows Bürg­er­meis­ter Thomas
Schmidt. Laut Schmidt laufen derzeit Ver­hand­lun­gen zwis­chen dem Bundesamt
für offene Ver­mö­gens­fra­gen und den Anwäl­ten der jüdis­chen Erben. Ziel sei
eine “Lösung, die so wenig wie möglich soziale Prob­leme schafft”. Zuvor
hat­te das Bun­desver­wal­tungs­gericht im Novem­ber 2003 den verfolgungsbedingten
Verkauf des Saber­sky-Besitzes in der Nazi-Zeit anerkan­nt und die
Rück­über­tra­gung eines Grund­stück­es ange­ord­net. Jet­zt geht man davon aus,
dass auch ein Großteil der restlichen 700 Grund­stücke in Teltow-Seehof
rück­über­tra­gen wird. Die See­hofer hal­ten den Richter­spruch für falsch,
ver­weisen auf redlichen Erwerb, was die Antifa als Weigerung wertet,
“wenig­stens ein Teil des Unrechts wieder gut zu machen”. 

Demon­stri­ertes Unverständnis

Die Autonome Antifa marschierte in Tel­tow-See­hof gegen Antisemitismus

(Tagesspiegel, Peter Kön­nicke) Tel­tow. Arg­wöh­nisch betra­cht­en die See­hofer, was da auf sie zukommt: 50
junge Leute mit Base­caps, Turn­schuhen und roten Fah­nen. “Sol­i­dar­ität mit
Israel” ste­ht auf einem Trans­par­ent. Es ist ein frühlingshafter
Sam­stagabend, See­hof ist in ein kräftiges Grün getaucht, die Straßen sind
leer. Um den “Dorf­frieden” zu stören, will die Autonome Antifa durch den
Ort­steil marschieren, weil hier, so meinen die jun­gen Demon­stran­ten, der
“Anti­semitismus” hin­ter den Fen­stern lebe. Wo ließe sich trefflicher
“Sol­i­dar­ität mit Israel” bekun­den, als an einem Ort, an dem es einen
Kon­flikt zwis­chen Deutschen und Juden gibt? 

Seit die Erben der jüdis­chen Saber­sky-Fam­i­lie die Rück­gabe ihres Eigentums
ver­lan­gen, das sie unter dem Druck der NS-Herrschaft verkauft oder verloren
haben, wird sich gestrit­ten: Die heuti­gen Haus- und Grundstückseigentümer
ver­weisen auf ihren rechtsmäßi­gen Erwerb. Die Ämter, die offene
Ver­mö­gens­fra­gen zu klären haben, bezweifeln die Gültigkeit aller Ansprüche
auf die einst 1000 Parzellen. Und selb­st in den Instanzen deutsch­er Gerichte
ist man sich nicht einig, ob die jüdis­chen Erben Recht haben. Die einfache
Formel der Autonomen hinge­gen: “Wer Unrecht infrage stellt, ist Antisemit.” 

Als Ende des ver­gan­genen Jahres das Bun­desver­wal­tungs­gericht in Leipzig ein
exem­plar­isches Urteil fasste, dass zwei ehe­ma­lige Saber­sky-Grund­stücke den
Erben zurück­zugeben sind, bere­it­ete die ungewisse Zukun­ft um Haus und Hof
nicht weni­gen See­hofern schlaflose Nächte. Als die autonomen Antifaschisten
in der Vor­woche ihre Demon­stra­tion ankündigten, um den “Anti­semiten auf die
Pelle zu rück­en”, schlief Ingrid Ger­hardt wieder schlecht. “Wir sind doch
unbescholtene Bürg­er,” sagt Ger­hardt, die nach der Wende nach See­hof zog und
Anfang diesen Jahres in einem Brief an die Erben schrieb: “Was ihrer Familie
und der ganzen jüdis­chen Bevölkerung ange­tan wurde, ist nicht entschuldbar,
es ist auch heute, nach so vie­len Jahren nicht zu begreifen.” Dass der
Reflex, Haus und Hof zu behal­ten, mit Anti­semitismus gle­ichge­set­zt wird,
macht nicht wenige See­hofer betrof­fen. “Viele waren selb­st Ver­fol­gte der
Nazis”, sagt Jür­gen Schmelz (41). Ange­hörige sein­er eige­nen Fam­i­lie saßen im
KZ. Das habe zwangsläu­fig zur Auseinan­der­set­zung mit dem Schick­sal der
jüdis­chen Saber­sky-Fam­i­lie geführt. 

In den 90er Jahren zitierten diverse Zeitun­gen und auch der SPIEGEL die
Vor­sitzende der See­hofer Bürg­erini­tia­tive: “Hier geht es nicht um Juden,
son­dern um Geld”. Es sind diese Äußerun­gen, die die Antifa Tel­tow als
passenden Ort für ihre pro­vokan­ten Parolen erken­nen ließ. Dass sich die
Saber­sky-Erben schützend vor die See­hofer stell­ten und die pauschalen
Angriffe kri­tisierten, kon­nte nicht ver­hin­dern, dass einem ganzen Ortsteil
fehlen­des Unrechts­be­wusst­sein und “Gedächt­nisver­lust” vorge­wor­fen wurde.
Ganz See­hof wurde in einem linksau­tonomen Gesin­nungsmix zu ein­er Siedlung
“ehren­wert­er DDR-Bürg­er” zusammengerührt,
“die sich Scheiße gefühlt haben
müssen, als die Mauer fiel” und Boden käu­flich sowie Resti­tu­tion möglich
wurde. “Das ist ein wenig krass”, räumte ein Demon­strant leise ein, “aber
Pro­voka­tion muss sein.” 

“Pro­voka­tion muss sein”

Einige See­hofer fühlten sich provoziert. Dass die Demon­stran­ten mit Sprüchen
wie “Ins Arbeit­slager mit euch” begleit­et wur­den, verdeut­licht der
Sprecherin der Autonomen Antifa, Christi­na DeClerq, ein “ras­sis­tis­ches und
anti­semi­tis­ches Weltbild”. 

Die meis­ten See­hofer schüt­tel­ten den Kopf über “so viel Kenntnislosigkeit”.
Die Geschichte um Tel­tow-See­hof sei viel zu kom­plex und verzwickt, um sie
mit ein­er Sol­i­dar­itäts­bekun­dung zu Israel zu beschreiben oder gar zu lösen.
Für Tel­tows Bürg­er­meis­ter Thomas Schmidt (SPD) bedeutete die Demonstration
die Auf­forderung an alle Beteiligten — Erben, Anwälte, Gerichte, Ämter und
See­hofer -, die Frage um die Zukun­ft des Ort­steils endlich zu klären. Die
Antifa demon­stri­erte ihr Unver­ständ­nis, dass die See­hofer nicht bereit
seien, dafür ihren Anteil zu leis­ten und mit Ver­gle­ich­szahlung “deutsche
Geschichte wieder gut zu machen”. 

Für zahlre­iche See­hofer war die Aktion hinge­gen demon­stri­ertes Unverständnis
der See­hofer Geschichte.

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