(21.03.05) (BM) Potsdam — Der Brandenburger Flüchtlingsrat wird heute seinen diesjährigen
“Denkzettel” an eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Rathenow
(Kreis Havelland) vergeben. Die Auszeichnung “für systeminternen und
strukturellen Rassismus” gehe an den Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes
Havelland für seinen Versuch, “Flüchtlingen einen Maulkorb zu verleihen”,
teilte der Flüchtlingsrat in Potsdam mit.
Die kritische Auszeichnung soll anläßlich des Anti-Rassismus-Tages der
Vereinten Nationen in Rathenow (Havelland) übergeben werden. Zur Begründung
hieß es, der Geschäftsführer habe das Briefgeheimnis und die Privatsphäre
der Bewohner des Flüchtlingsheimes mißachtet.
Als sich einige Bewohner daraufhin im Sommer 2002 hilfesuchend an die
Öffentlichkeit wandten, seien sie wegen Verleumdung von der Geschäftsführung
angezeigt worden. Im vergangenen Jahr wurden zwei Heimbewohner vom Vorwurf
der Verleumdung freigesprochen. Bis heute habe der Geschäftsführer sich
nicht für die illegalen Kontrollen im Heim entschuldigt, betonte dazu der
Flüchtlingsrat.
Denkzettel für Umgang mit Asylbewerbern
AWO-Chef im Havelland erhält Rassismus-Preis
(22.03.05) (Berliner Zeitung) RATHENOW. Wie jedes Jahr am 21. März — dem Anti-Rassismus-Tag der Vereinten
Nationen — übergeben die Aktivisten des Brandenburger Flüchtlingsrates an
einen Amtsträger ihren “Denkzettel” — einen Negativ-Preis für
“systeminternen und strukturellen Rassismus”. Das geschieht seit 1998, in
diesem Jahr ging der Preis am Montag in Rathenow an Ralf Schröder,
Geschäftsführer des Kreisverbandes Havelland der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Begründung: Er habe versucht, Bewohnern des Asylbewerberheims Rathenow einen
“Maulkorb” zu verpassen, als die sich in einem offenen Brief über
“unhaltbare Zustände” im Heim beschwert hatten. Schröder nahm den
“Denkzettel” nicht entgegen, sondern ein anderes AWO-Vorstandsmitglied.
“Nicht mehr tragbar”
“Selten wurden wir so freundlich empfangen”, sagte Vera Everhartz vom
Flüchtlingsrat. “Doch unsere Kritik an Herrn Schröder bleibt. Er ist nicht
mehr tragbar und das Vertrauen der Flüchtlinge ist komplett zerstört.”
Hintergrund ist ein Vorgang, der auch das Gericht beschäftigte. Mehrere
Flüchtlinge hatten im Sommer 2002 die Verletzung ihrer Privatsphäre im Heim
mit einem offenen Brief angeprangert. So sollen die Mitarbeiter des Heims
nicht nur illegal Briefe der Bewohner geöffnet haben, sondern auch deren
Zimmer ohne Anmeldung betreten haben. “Alle Gesprächsversuche mit der
Heimleitung wegen der Schikanen waren gescheitert”, sagte Everhartz. “Und
nach dem offenen Brief wurden die Flüchtlinge von Schröder wegen Verleumdung
angezeigt.”
In dem Prozess ging es auch um den Vorwurf, dass das Heim von einer
Wachschutzfirma betreut wurde, die vier Neonazis beschäftigt haben soll.
Nach Angaben eines Verteidigers der Asylbewerber wurden diese vom
Verfassungsschutz dem “Kern der rechtsextremistischen Szene” von Rathenow
und der Neonazi-Gruppierung “Kameradschaft Hauptvolk” zugerechnet. Den
Verleumdungsprozess verlor die AWO.
Im Verfahren sei die illegale Öffnung der Briefe nachgewiesen worden, sagte
Everhartz. Weil sich Schröder trotzdem nicht entschuldigt hat, wurde ihm der
“Denkzettel” verliehen. “Die Flüchtlinge sind völlig verängstigt und trauen
sich nicht mehr über die Zustände im Heim zu sprechen aus Angst vor einer
erneuten Anzeige”, sage Everhartz. Die AWO wollte an Montag keine
Stellungnahme abgeben.
Gegen die Verleihung des “Denkzettels 2004” hatten die Preisträger — zwei
Mitarbeiter der Kreisverwaltung Elbe-Elster — geklagt. Der Flüchtlingsrat
hatte ihnen besondere Härte und “Unmenschlichkeit” bei der Abschiebung einer
kurdischen Familie vorgeworfen. Das Gericht urteilte, dass die Arbeit von
Behörden von öffentlichem Interesse sei und sie damit auch die öffentliche
Kritik akzeptieren müssen.