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Und dann mussten wir raus…”

(21.03.05) Reitwein — His­torik­er gehen von 12 bis 14 Mil­lio­nen Deutschen aus, die
in Folge des Krieges ihre Heimat ver­lassen mussten. Ein Drit­tel der Familien
im Oder­bruch haben ihre Wurzeln jen­seits der Oder. Etwa zwei Millionen
über­lebten den lan­gen Weg der Flucht nicht. Angesichts des unsag­baren Leids,
das Men­schen damit wider­fuhr, ist bis heute vie­len Deutschen nicht bewusst,
dass auch Mil­lio­nen Polen das Schick­sal der Vertrei­bung ereilte. Ein nicht
geringer Teil wurde in den Ost­ge­bi­eten erst von den Russen verschleppt,
kehrte 1945 zurück in die Heimat, um sie umge­hend wieder zu ver­lassen. Der
Vertrei­bung von Deutschen und Polen ist eine Wan­der­ausstel­lung “Und dann
mussten wir raus…” gewid­met, die am Sonnabend in Reitwein eröffnet wurde. 

“Es war der 13. Juni 1945. Inner­halb von fünf Minuten mussten wir raus”,
wird Frau K., die heute in Eisen­hüt­ten­stadt lebt, in der Ausstellung
zitiert. Mit ihrer Mut­ter und dem kleinen Brud­er musste sie Hals über Kopf
Lands­berg ver­lassen. Die Berichte der Zeitzeu­gen lesen sich ähn­lich. Alle
lassen sie ahnen, was die Men­schen erlebt haben. In Folge des Krieges waren
Mil­lio­nen unen­twegt auf der Flucht. Nicht nur Deutsche. Am 17. September
1939 war die Roten Armee in die Ost­ge­bi­ete Polens ein­marschiert. Es begannen
die Ver­schlep­pun­gen der pol­nis­chen Zivil­bevölkerung. Man ver­suchte zu
fliehen. 

In der anderen Rich­tung warteten deutsche Häsch­er auf die Fliehenden,
bracht­en sie in Arbeits- und Konzen­tra­tionslager. Als die Fronten
wech­sel­ten, flo­hen die Deutschen. Auf Schritt und Tritt begeg­nete ihnen der
Tod. Eine Frau berichtet, dass sie seit dem immer den Geruch von Leichen in
der Nase habe. Die Auss­chnitte an den Wän­den — unter­legt mit großformativen
Bildern, die Szenen der Vertrei­bung zeigen — sind Bruchteile langer
Gespräch­spro­tokolle. 1992 hat­te die Regionale Arbeitsstelle für
Aus­län­der­fra­gen, Jugen­dar­beit und Schule Bran­den­burg (RAA) das Projekt
“Erzählrun­den” ins Leben gerufen. Es ging darum, auf deutsch­er und
pol­nis­ch­er Seite mit Ver­triebe­nen zusam­men zu kom­men, ihre Geschicht­en zu
hören und daraus eine Doku­men­ta­tion zu fertigen. 

“Mar­i­anne Schmidt aus dem Amt Lebus rief mich damals an und fragte, ob ich
Leute wüssten, die da mitwirken wür­den”, erin­nert sich Fer­di­nand Pfeiffer.
Im Amt wusste man, dass er aus Bielawe (heute Bielawy) kommt. Der Lebuser
fand Inter­essierte und so traf man sich. Nicht nur ein­mal. “Zu Anfang war es
für manchen schw­er”, erin­nert sich Edith Dölves. “Wir haben dieses Thema
Jahrzehnte ver­drängt. Jet­zt soll­ten wir erzählen, was wir erlebt haben.” Die
bei­den Lebuser erin­nern sich an manche Träne, die in den Run­den floss. “Für
einige war es aber auch eine Befreiung”, sieht es Fer­di­nand Pfeiffer
rück­blick­end. “Sie waren froh, es sich endlich von der Seele gere­det zu
haben.” 

Dr. Mar­ti­na Pietsch, Ewa Czer­wiakows­ki und Dr. Wan­ja Ronge mod­erierten die
Run­den, sichteten das Mate­r­i­al, stell­ten die Auf­stel­lung auf die Beine. Das
war von sechs Jahren. Seit dem ist sie in 26 Orten dies- und jen­seits der
Oder zu sehen gewe­sen. Der Lebuser Amts­di­rek­tor Heiko Friede­mann dankte
Ini­tia­toren und Mach­ern für diese etwas andere Sicht auf 60 Jahre
Kriegsende. Über­al­ll fän­den sich bis heute Spuren des Krieges. Man müsse nur
auch immer wieder darauf aufmerk­sam machen. Dies sei zweifel­los auch
Anspruch der Ausstel­lung. “Wir müssen deut­lich machen, wass auch die Polen
auf der anderen Seite der Oder erlebt haben. Das wis­sen viele doch gar
nicht”, sah es Reitweins Bürg­er­meis­ter Karl-Friedrich Tietz 

Die Wan­der­ausstel­lung wird ergänzt mit inter­es­san­ten Fotos, die von der
Zer­störung und dem Wieder­auf­bau im Amts­bere­ich nach 1945 bericht­en. “Damit
woll­ten wir den lokalen Aspekt mit ein­flecht­en”, so Her­mann Kaiser, der mit
Fer­di­nand Pfeif­fer, Her­bert Radtke, Mitar­beit­ern des Amtes und des
Info-Punk­tes die Ausstel­lung vor­bere­it­et hatte. 

Es ist eine Ausstel­lung ohne Kom­mentare, wie Wan­ja Ronge erläuterte. Man
habe nur die Men­schen erzählen lassen wollen. Ihre Berichte erübrigten jeden
Kom­men­tar. Den deutschen Titel hät­ten die Erzäh­len­den fak­tisch selbst
vorgegeben. Alle hät­ten irgend­wann in ihren Bericht­en den Satz zitiert “und
dann mussten wir raus”. Der pol­nis­che Titel seit nicht über­set­zbar, heiße
aber so viel wie “Sie haben uns hin­aus gefahren”. Die Ansied­lung der Polen
in den ein­sti­gen deutschen Gebi­eten erlebten die Polen leichter als die
deutschen Ver­triebe­nen. Die kamen als “Habenichtse”, waren unerwünscht.
Polen und Deutsche eine jedoch der Ver­lust der Heimat und das Lei­den auf
Flucht. Zitat eines Herr P. aus Lebus in der Ausstel­lung: “Die Polen, die in
unserem Haus wohnen, sind auch Ver­jagte. Die haben genau­so geschwäm­rt von
ihrer Hiemat wie wir. Sie mussten sich auch damit abfind­en, dass sie nie
wieder hinkom­men. Jet­zt kaufen Deutsche alles auf. Wenn ich mir vorstelle,
dass ein Deutsch­er mein Eltern­haus kaufen kön­nte, dann frage ich mich,
wessen Eigen­tum das eigentlich ist. Die Polen, die drin sind, das ist in
ord­nung, aber wenn ein­er mit Geld kommt…?” 

Ausstel­lung “Und dann mussten wir raus”, bis 3. April, Gasthaus “Zum
Heirats­markt” Reitwein, 9. bis 30. April Kul­turhaus Mallnow

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