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Der 60. Jahrestag in Oranienburg

(Hagalil) Am 23. April 2005 ver­anstal­tete die Antifaschis­tis­che Gruppe Oranien­burg [A.G.O.] anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzen­tra­tionslagers Sach­sen­hausen, am 22.
April 1945, eine Gedenkver­anstal­tung. Mit dieser woll­ten sie nach eige­nen Angaben den Opfern des Nation­al­sozial­is­mus gedenken und den Alli­ierten danken. Anna Blume sprach einen
Tag zuvor mit Judith Schäfer, der Press­esprecherin der AGO

Blume: Bere­its vom 14 bis 18. April 2005 fan­den die offiziellen Feier­lichkeit­en der 

Stiftung bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten statt, an denen Hun­derte Über­lebende teilnahmen. 

Warum habt ihr euch als Gruppe an diesen nicht beteiligt, son­dern stattdessen ein eigenes 

Gedenken organ­isiert?

Schäfer: Die Gründe dafür sind viel­seit­ig. Sie reichen von den aktuellen Ereignis­sen um 

NPD und DVU über die Ver­anstal­tun­gen der Stadt Oranien­burg und des Bürg­er­meis­ters zum 60. 

Jahrestag der Bom­bardierung bis hin zu dem, was all­ge­mein unter “Bran­den­bur­gis­chen

Gedenkpoli­tik” sub­sum­miert wird. 

Blume: In eur­er Presseerk­lärung berichtet ihr kurz von einem Eklat im Kreistag, als sich 

ein NPD Abge­ord­neter zu Wort meldete. Was genau geschah damals? 

Schäfer: Am 25. Feb­ru­ar diesen Jahres meldete sich der NPD Abge­ord­nete Mario Popiela 

erst­mals seit 2 jähriger Amt­szeit im Kreistag zu Wort. Damals ging es um die 

Feier­lichkeit­en zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzen­tra­tionslagers Sachsenhausen. 

Sein­er Mei­n­ung nach kön­nen man nicht den Opfern des Konzen­tra­tionslagers ohne denen des 

Spezial­lagers gedenken. Damit wer­den Täter zu Opfern gemacht, der Nation­al­sozial­is­mus als 

eine Dik­tatur unter vie­len rel­a­tiviert und die Opfer verhöhnt. 

Blume: Wie reagierten die restlichen Abge­ord­neten beziehungsweise das Pub­likum auf diese 

Äußerun­gen?

Schäfer: Viele Abge­ord­nete ver­ließen, ähn­lich wie im säch­sis­chen Land­tag, den Saal. 

Lediglich der sich im Pub­likum befind­liche stel­lvertre­tende Lan­desvor­sitzende der NPD

Detlef Appel, applaudierte. Die restlichen Anwe­senden nah­men dies mehr oder weniger 

schweigend zur Ken­nt­nis. Das Ganze wurde zwar medi­al nach­bere­it­et, aber zu einer 

inhaltlichen Auseinan­der­set­zung kam es nicht. Damit haben wir allerd­ings auch nicht 

gerech­net, schließlich passen die Worte Popielas inhaltlich gut in den aktuellen deutschen 

Erin­nerungs­diskurs. An sich hat Popiela nichts anderes gesagt, als viele der Men­schen in 

Oranien­burg, zu denen nun ein­mal auch Abge­ord­nete gehören, denken. 

Blume: Kannst du diese doch etwas gewagte These mit Beispie­len aus Oranien­burg und 

Umge­bung belegen? 

Schäfer: Im Rah­men der Feier­lichkeit­en der Stadt zum 60. Jahrestag der Bombardierung 

Oranien­burgs kam dies beson­ders deut­lich zum Aus­druck. Auf dem Städtis­chen Fried­hof wurde 

den Opfern des KZ Sach­sen­hausen auf ein­er Ebene mit den gefall­en Wehrmachtssoldaten 

gedacht. Und bei der Enthül­lung ein­er entschärften Fliegerbombe als Mah­n­mal gegen Krieg 

einen Tag zuvor wurde betont, dass wir als Oranien­burg­er durch die andauernden 

Bombe­nentschär­fun­gen noch heute unter dem II. Weltkrieg Lei­den wür­den. Das viele 

Zwangsar­beit­er und Häftlinge der Konzen­tra­tions- und Arbeit­slager, sofern sie noch leben, 

unter den Fol­gen ihrer Internierung noch heute lei­den und nicht ein­mal annähernd 

Entschädi­gung erfahren haben fand keine Erwähnung. 

Blume: Du hast vorhin auch “Bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten­poli­tik” als Grund für die 

Nicht­teil­nahme und Organ­i­sa­tion eines eige­nen Erin­nerns genan­nt. Kannst du vielle­icht kurz 

erk­lären, was ihr unter dem Begriff “Bran­den­bur­gis­ch­er Gedenkpoli­tik” ver­ste­ht und was 

eure Kri­tik daran ist. 

Schäfer: Die Stiftung bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten ver­sucht auf dem Gelände des 

ehe­ma­li­gen Konzen­tra­tionslagers Sach­sen­hausen sowohl den Opfer dieses als auch den 

Inhaftierten des Spezial­lagers Sach­sen­hausen zu gedenken. So zum Beispiel ste­ht auf dem 

Gelände des ehe­ma­li­gen Konzen­tra­tionslagers eine Gedenk­tafel für die Inhaftierten des 

Spezial­lagers Sach­sen­hausen. In diesem Spezial­lager waren 60000 Men­schen inhaftiert. Von 

ihnen waren 80% ohne Zweifel mit­tlere und höhere Naz­i­funk­tionäre. Durch die schlechte 

Ver­sorgungslage nach dem Krieg star­ben dort 12.000 Men­schen. Von ein­er Vernichtungsabsicht 

und der Internierung von haupt­säch­lich Unschuldigen, wie dies oft­mals behauptet wird, kann 

nicht die Rede sein. 

Blume: Wurde bei den offiziellen Feier­lichkeit­en zum 60. Jahrestag ver­sucht den Opfern des 

Konzen­tra­tionslagers Sach­sen­hausen als auch den Inhaftierten des Spezial­lagers zu 

gedenken?

Schäfer: Nicht direkt. Es wurde, wie auch im let­zten Jahr, der “Union der Opfer 

kom­mu­nis­tis­ch­er Gewaltherrschaft” trotz Ein­wände einiger Grup­pen ges­tat­tet einen Kranz 

nieder­legen. Im let­zten Jahr stand darauf: “Die Opfer der kom­mu­nis­tis­chen Gewaltherrschaft 

gedenken den Opfern aller Dik­taturen”, damit negierten sie die Sin­gu­lar­ität der Shoa und 

lassen den Nation­al­sozial­is­mus als eine schlimme Dik­tatur unter vie­len erscheinen. 

Ähn­lich­es tat Joseph Fis­ch­er 1999, als er auf dem Balkan eine zweites Auschwitz verhindern 

wollte. Er durfte dieses Jahr beim zen­tralen Gedenken an der Sta­tion Z reden. 

Blume: Gab es noch weit­ere neg­a­tive Höhep­unk­te bei den Feierlichkeiten? 

Schäfer: Ja. 2 Mit­glieder der Kam­er­ad­schaft “Märkisch­er Heimatschutz” mussten durch den 

Sicher­heits­di­enst ent­fer­nt wer­den. An dieser Stelle müssen wir diesem beziehungsweise den 

Ver­ant­wortlichen ein Lob aussprechen. Nach­dem sie darauf aufmerk­sam gemacht wur­den, dass 

sich Neon­azis auf dem Gelände aufhiel­ten, nah­men sie die Per­son­alien von diesen auf und 

ver­wiesen sie umge­hend des Geländes. 

Blume: Eure Ver­anstal­tung find­et nun eine Woche nach den offiziellen Feierlichkeiten 

statt. Wie wird diese ablaufen? 

Schäfer: Wir tre­f­fen uns am 23. April um 12 Uhr an der Lager­mauer der Sta­tion Z. Zunächst 

wer­den wir 3 Rede­beiträge vor­lesen, anschließend Kränze und Blu­men nieder­legen. In den 

Rede­beiträ­gen wird zum einen noch mal kurz erk­lärt, warum wir eine eigene 

Gedenkver­anstal­tung für notwendig erachteten und was wir an der Stiftung brandenburgische 

Gedenkstät­ten kri­tisieren. Zum anderen wer­den die Geschichte des Konzentrationslagers 

Sach­sen­hausen kurz dargestellt und Gedichte von ehe­ma­li­gen Häftlin­gen vorgelesen. 

Blume: Bere­its im Vor­feld eur­er Ver­anstal­tung habt ihr an ver­schieden­sten Orten in 

Oranien­burg Trans­par­ente aufge­hangen. Was war die Inten­tion dieser Aktion? 

Schäfer: Heute in den frühen Mor­gen­stun­den haben wir an drei Orten Transparente 

aufge­hangen um diese his­torischen Orte wenig­stens für einen Tag wieder in das Bewusstsein 

der Oranien­burg­er zu holen. Der Jüdis­che Fried­hof war ein­er dieser Orte. Auf ihm fand vor 

68 Jahren die let­zte Beiset­zung statt. Im Nation­al­sozial­is­mus wurde er mehrfach 

geschän­det. Ein weit­er­er Ort war das sow­jetis­che Ehren­mal. Dort bedank­ten wir uns bei der 

Roten Armee für die Befreiung des Konzen­tra­tionslagers Sach­sen­hausen vor 60 Jahren. Der 

Dritte war der LIDL Super­markt in der Berlin­er Straße. Auf ihm standen bis zum Bau des 

Super­mark­tes die Über­reste des ehe­ma­li­gen Konzen­tra­tionslagers Oranien­burg. Die 

Trans­par­ente hin­gen größ­ten­teils noch viele Stun­den später, weswe­gen wir von einer 

pos­i­tiv­en Res­o­nanz aus­ge­hen. Gle­ich­es gilt auch für unsere Ver­anstal­tung am Samstag. 

Blume: Ich wün­sche euch dafür viel Erfolg und bedanke mich für das Interview.

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