(MAZ, Frank Schauka) HIRSCHFELD Vor 15 Jahren, als “der Westen am Ende” war, “haben sie
unsere Ostmark entwertet”. Bernd hinterm Hoftor erregt sich, der Enkel
auf dem Arm ist still. Umtauschverhältnis eins zu zwei. Wenn das kein
Beleg ist. Noch Fragen? Nur durch den “Zusammenschluss” habe sich der
Westen noch mal “herausgemauschelt”. Und nun? — Zieht der Westen den
Osten mit sich ins Verderben. Klar?
Vor drei Jahren, sagt Bernd, hatte er noch einen Fleischverkauf.
“Zugemacht.” In Hirschfeld und Umgebung, im Südzipfel Brandenburgs, das
früher sächsisch war, ist jeder dritte ohne Arbeit. “Wir sind der Arsch
von Brandenburg, wir wären der Arsch von Sachsen, wir sind der Arsch von
alles. Das ist amtlich.” Fast so amtlich wie die 25,8 Prozent, mit denen
die rechtsextreme DVU in Hirschfeld bei der Landtagswahl ihren besten
Wert in Brandenburg erzielte. “Klasse Ergebnis”, frohlockt Bernd, “das
ist Protest, damit die da oben mal was ändern.” Vielleicht würden ja
sogar die jungen Leute aus dem Osten, die im Westen Arbeit fanden, am
Sonntag bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen NPD wählen. “Hoffe
ich doch”, sagt Bernd. “Wer unter den Kommunisten arbeiten wollte, der
konnte.” Sein Nachname, beharrt er, tue nichts zur Sache.
Ein Hirschfelder mittleren Alters zieht im Handwagen einen Kasten Bier
über die Straße hinter sich her, vorbei an “Waffen Müller”. Bernd
verkauft heute Bier. Der 52-Jährige öffnet einer Nachbarin das Tor.
“DVU”, hört sie und fragt, “was heißt das überhaupt?” Sie habe nicht DVU
gewählt, ihr Mann habe Arbeit, sie ebenfalls, das Haus sei abbezahlt.
200 Meter entfernt an der größten Kreuzung im Dorf, gegenüber dem
einzigen Dönerimbiss, tuscheln drei ältere Frauen in dunkelgrauen
Kitteln über einen Lattenzaun hinweg. “DVU? Ist das was Linkes oder
Rechtes?”, wundert sich die Älteste. Die kleine Frau trägt ein
schlichtes Kopftuch. So viele in Hirschfeld sollen der rechtsextremen
Partei ihre Stimme gegeben haben? “Hier sind alle sprachlos, dass sie
die gewählt haben”, sagt eine zweite Frau. Ne, ne, sie verrate ihren
Namen doch nicht, und huscht kichernd ins Haus. Man hat wohl die
Schlägerei vor fünf Jahren vergessen, meint eine andere. Leute aus
Sachsen hätten damals eine Familienfeier in der “Gaststätte zum Hirsch”
angemeldet. Zu der Familie gehörten dann vor allem junge Männer mit sehr
kurzen Haaren. Nachdem die Polizei das Treffen der Neonazis aufgelöst
hatte, entwickelte sich vor der Wirtschaft eine wüste Schlägerei. Und
nun habe jeder vierte Hirschfelder die rechtsextreme Deutsche Volksunion
gewählt. “Wir staunen alle. Das war die Jugend.” Und irgendwie
vielleicht auch ein ehemaliger Lehrer, der bei den Jugendlichen
geschickt für die rechtsextreme Partei geworben habe, wie man hört.
Zahlreiche Zäune, viele Pforten, kurzer Rasenschnitt vor kleinen
Häusern, Ein- und Zweifamilienhäusern. Gepflegte Idylle. Hier und da ein
Bäcker, der Gemischtwarenladen mitten im Ort gegenüber der
Bushaltestelle vor der “Gaststätte zum Hirsch”. Hunderte Kronkorken
haben sich vor der Schänke, wo die Jugendlichen sich abends verabreden,
in den Asphalt gedrückt. Der Grund weicht bei Hitze auf und gibt nach.
Auch das mit der DVU sei eine schleichende Entwicklung, die sich im
verborgenen vollziehe, befürchtet eine Verkäuferin.
Das schlimmste steht womöglich noch bevor. Die heute 13- bis
15-Jährigen, die bei der nächsten Landtagswahl 2009 erstmals ihre Stimme
abgeben dürfen, seien überwiegend rechtsextrem eingestellt, räsonnieren
Jens und Silvio bei einem Glas Bier im “Hirsch”. Und “wenn die Politiker
den Karren weiter in den Dreck fahren, wird hier das nächste Mal noch
mehr DVU gewählt, weil die jungen Leute die Schnauze voll haben. Die
Stimmung unter den jungen Leuten tendiert zur DVU.” Die rechtsextreme
Partei des Münchener Multimillionärs Gerhard Frey werde von vielen als
“cool” empfunden, meinen Jens und Silvio. “Schnauze voll” — so wie die
DVU plakatiert, drücken sich viele aus.
Der 25 Jahre alte Jens und sein 21-jähriger Kumpel Silvio, die beide
Arbeit haben und, wie sie sagen, nicht rechtsextrem wählten, haben ihre
Erklärung, warum die DVU ihre besten Resultate im Schradenland erzielte:
15,6 Prozent in Großthiemig, 25,8 Prozent in Hirschfeld, 22,4 Prozent in
Gröden und 22,1 Prozent in Merzdorf. Zwischen 859 und 1394
Wahlberechtigte wohnen dort. Im Schradenland seien die Sachsen verhasst
— auch eine Form des Fremdenhasses. Außerdem: “Auf dem Dorf ist es so,
dass man erhalten will, was die Eltern aufbauten und vererben. Man
bleibt hier, egal was kommt”, sagt Jens. Wer trotz der
Perspektivlosigkeit der Arbeit nicht hinterherziehe, reagiere
irgendwann, falls sich nichts ändere, frustriert. “Die Leute denken,
etwas muss besser werden, und wählen DVU” — aus Protest, nicht weil sie
die DVU für besser halten. “Aber von der DVU hat man noch keine
Schlechtigkeit gehört, weil sie nirgendwo regiert.”
Von manchen Wahlhelfern lässt sich das wohl nicht behaupten. Ein Pfarrer
wurde von ihnen, wie sich herumsprach, bedroht. Als zwei junge Männer
den Priester am Straßenrand bemerkten, beschimpften sie ihn im
Vorbeifahren. Dann stoppten sie ihren weißen Kastenwagen, gingen auf den
Gottesmann zu und sagten: “Dich bringen wir um. Deine Kirche fackeln wir
auch ab.” Zufällig traten Menschen aus dem Haus.