«Das unterschreibe ich nicht» , sagte Landrat Dieter Friese (SPD) in einer
Sitzung des Spree-Neiße-Kreistages. Seine Weigerung zielte auf den Entwurf
eines Briefes von Kreistagschef Michael Haidan (CDU) an Frieses polnischen
Kollegen Krzysztof Romankiewicz in Zielona Gora.
Der polnische Landrat hatte mit Beunruhigung auf die Affäre um ein Treffen
des CDU-Fraktionschefs und Spremberger Altbürgermeisters Egon Wochatz mit
Veteranen der Waffen-SS reagiert. Weil ein Antwortbrief nach Zielona Gora
keine Aufgabe des laufenden Geschäftes sei, hatte Friese sich damit an
Kreistagschef Haidan gewandt. Der wollte gestern dazu nicht viel sagen. Der
Brief sei ein Schreiben der CDU gewesen. Er müsse erst noch mal mit Friese
darüber reden, so Haidan.
Die Auffassungen über die Kontakte von Wochatz zu Veteranen der Waffen-SS,
die bei Spremberg kämpften, gehen im Kreistag weit auseinander. Die SPD
forderte den 67-jährigen Wochatz erneut zum Rücktritt auf. Die PDS wollte
eine prinzipielle Debatte über die Person Wochatz hinaus, ohne jedoch dazu
einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Wochatz hatte vorher eine
Erklärung verlesen. Darin rechtfertigte er diese Kontakte als Teil seiner
Arbeit im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, versicherte aber
gleichzeitig, nicht mehr daran teilzunehmen. Die CDU-Fraktion wiederholte
ihre scharfe Missbilligung für Wochatz, aber auch das Festhalten an ihm als
Fraktionschef.
In der polnischen Nachbarregion berichten inzwischen Zeitungen und
Rundfunksender über die Wochatz-Affäre und den Brief des Landrates von
Zielona Gora nach Forst. «Schwarze Folklore» titelte die «Gazeta Lubuska» .
Die Kreise Zielona Gora und Spree-Neiße verbindet seit zwei Jahren eine
Partnerschaft.
Cezary Galek, Chefreporter beim polnischen Sender Radio Zachod, verfolgte
die Debatte im Spree-Neiße-Kreistag. Er arbeitet an einer
Halbstundenreportage für seinen Sender. «Da kam etwas hoch, was bisher unter
der Decke war» , sagt er über die Wochatz-Affäre. Offensichtlich hätten
einige Deutsche auch heute noch Probleme mit ihrer eigenen Geschichte. Galek
interviewte verschiedene Spree-Neiße-Abgeordnete. Ein Gespräch mit Egon
Wochatz gab es nicht.
“Heimatgeschichte gehört immer in historischen Kontext”
Hamburger Rechtsextremismusforscher im RUNDSCHAU-Interview
Die Kontakte des Spremberger Altbürgermeisters und CDU-Fraktionschefs im
Spree-Neiße-Kreistag, Egon Wochatz, zu Veteranen der Waffen-SS haben in den
vergangenen Wochen zu Diskussionen in der Region geführt. Die Meinungen
darüber gingen weit auseinander, viele Lausitzer stärkten Wochatz den
Rücken. Die RUNDSCHAU sprach dazu mit Professor Wolfgang Gessenharter,
Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusexperte von der
Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Bei rechtsradikalen Demonstrationen wird immer wieder gerufen “Ruhm und Ehre
der Waffen-SS”. Welche Rolle spielt die Verehrung der Waffen-SS in der
rechtsradikalen Szene?
Trotz aller längst und immer wieder nachgewiesenen Verbrechen der Waffen-SS
während des Zweiten Weltkrieges gibt es leider noch genügend
Unverbesserliche oder Unwissende, insbesondere unter den Älteren, die der
Selbsteinschätzung der Waffen-SS als “Soldaten wie andere auch” anhängen.
Solche Menschen müssen nicht unbedingt rechtsextrem sein, manchmal wollen
sie sich einfach wehren dagegen, dass vermeintlich die Verbrechen anderer
nicht gesehen würden. Damit werden solche Menschen und Gruppen gewollt oder
ungewollt zu “nützlichen Idioten” von Rechtsradikalen und verschaffen deren
Argumenten Reputierlichkeit in konservativen Kreisen. Für die rechtsradikale
Szene selbst ist die Distanzierung von der Waffen-SS nichts anderes als ein
Umfallen gegenüber der “Siegerideologie”, wo es doch darauf ankäme, endlich
wieder die deutsche Geschichte “als Ganzes” zu sehen und hinter ihr zu
stehen, sich nicht einengen zu lassen auf die Nazi-Zeit.
Mit der Begründung, es handele sich nur um “Heimatgeschichte” sind zwei
Publikationen über eine Kesselschlacht bei Spremberg erschienen, die kaum
oder gar keine historischen Bezüge zur deutschen Verantwortung für den
Zweiten Weltkrieg und zu den deutschen Verbrechen in den überfallenen
Ländern herstellen. Wohin führt eine solche isolierte Betrachtung?
Auch wenn es von solchen Autoren nicht gewollt sein mag, arbeiten sie der
rechten Szene in die Hände. Abgesehen davon argumentiert solches Vorgehen
meist dahingehend, die Menschen vor Ort hätten gar nicht gewusst, in welchem
weiter gesteckten Rahmen sie eigentlich agiert hätten. Hier greift offenbar
nach wie vor eine Befehls-Gehorsams-Haltung, die die eigene Verantwortung
bei Aktionen nicht sehen möchte. Gerade diese Gehorsamshaltung hat
weitgehend die NS-Diktatur ermöglicht. Heute käme es vor allem darauf an, in
einer historischen Arbeit auch jenen Möglichkeiten nachzuspüren, die damals
überall — natürlich mehr oder weniger umfangreich — bestanden.
“Heimatgeschichte” konnte und kann sich niemals aus dem größeren
historischen Kontext einfach verabschieden.
Der Spremberger Altbürgermeister Egon Wochatz bezeichnet sich selbst als
Konservativen. Wo endet eine konservative Haltung und wo beginnt
rechtsextremistisches Denken in der Bewertung des Zweiten Weltkrieges«?
Welche Rolle spielen dabei die Deutschen als Opfer von Krieg und
Vertreibung?
Eine konservative Haltung wird sich niemals darauf einlassen können, das
grundsätzlich Verbrecherische an den NS-Zielen und NS-Handlungen zu
verneinen oder auch nur zu relativieren. Wenn deshalb die Opferzahlen des
Zweiten Weltkrieges dazu dienen sollen, eine solche Relativierung zu
betreiben, muss ein Konservativer, wenn er die Menschenwürde im Zentrum
seines Denkens stehen hat, laut aufschreien.
Zur Rolle der CDU im Parteienspektrum gehört es, die demokratische
Gesellschaft am rechten Rand zu stabilisieren und ein Abgleiten in
rechtsradikale Organisationen zu verhindern. Wo muss die Partei dabei eine
Grenze ziehen?
Die CDU hat mit dem Fall Hohmann eine deutliche, wenn für sie auch durchaus
nicht schmerzlose Grenze gezogen. Die von Hohmann vorgenommene Relativierung
geschichtlicher Ereignisse und sein laxes Umgehen mit dem Grundgesetz, indem
er den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel drei eigentlich nur für Deutsche
gelten lassen mochte, mussten für eine selbstbewusste CDU zu viel sein — und
sie waren es auch.
Welche Rolle spielen Publikationen wie die “Junge Freiheit” in dieser
Grauzone zwischen konservativen und rechtsextremen Haltungen?
Eine sehr verhängnisvolle Rolle, weil diese Zeitschrift einerseits viel zu
diesen Relativierungen beiträgt — und zwar intellektuell auf einem durchaus
anspruchsvollen Niveau -, andererseits es immer wieder vermag, gestandene
Konservative, übrigens nicht nur aus den christlichen Parteien, für sich
einzunehmen. Ich frage mich oft, ob diese Leute die Zeitung nicht lesen,
sich aber ihr für Interviews zur Verfügung stellen oder ob ihnen diese
Relativierungen sogar sympathisch sind. Wenn letzteres durchgängig gelte,
hätte der deutsche Konservatismus ein riesiges Problem.
Was bedeutet das für Fälle wie Egon Wochatz, reicht eine kurze Erklärung
aus, um Klarheit zu schaffen«? Haben Kommunalpolitiker eine besondere
Verantwortung auch in Hinblick auf eine Vorbildwirkung für Jugendliche?
Ich kenne den örtlichen Fall zu wenig. Ein ideologisches Herumeiern ohne
klare Grundsätze, die auch zu benennen sind, ist genau das, wovon viele
Menschen zu Recht die Nase voll haben, gottseidank auch viele Jugendliche.
Parteien- und Politikerverdrossenheit wird nicht d
adurch geschürt, dass
einer auch mal etwas Falsches sagt, sondern dadurch, dass Sprechblasen, die
inhaltlich zu allem taugen, mehr verdunkeln als klären.