Dreimal quälten rechte Schläger einen Mann. Er überlebte. Seine Peiniger stehen nun vor Gericht.
(Tagesspiegel, Frank Jansen) Neuruppin. Es geht Schlag auf Schlag. Am Dienstag hat das Landgericht Neuruppin einen Neonazi zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er in
Hennigsdorf einen Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss verübt hatte. Gestern standen die nächsten Figuren aus der rechten Szene und ihrem Umfeld vor einer Strafkammer: Fünf junge Männer und eine Frau müssen sich wegen einer Prügelorgie verantworten, die beinahe einen Menschen das Leben gekostet hätte. Am Rande einer Feier im August, für die ein NPD-Funktionär zehn Kästen Bier spendiert haben soll.
Im Saal 2 des Landgerichts sitzen der vollbärtige Thomas W. (25), der sich auch im November an Brandanschlägen auf zwei ausländische Imbisse in Pritzwalk beteiligt haben soll, der stiernackige Glatzkopf Ronny M. (18), die blondierte Nicole K. (19), der straff gescheitelte Jörg E. (19), der
kurzgeschorene Jens K. (18) und der kahlrasierte Enrico B. (21). Er ist der Einzige, der eine Regung erkennen lässt, als Staatsanwalt Kai-Uwe Scholz den Anklagesatz vorträgt. Die anderen blicken ungerührt. Obwohl Scholz einen
Exzess mit drei Eskalationsstufen beschreibt.
Aus Sicht der Anklage ist Folgendes passiert: In der Nacht zum 16. August fahren Thomas W. und Nicole K. eine Straße bei Glöwen entlang, einem kleinen Ort in der Prignitz. Auf der Fahrbahn torkelt Karsten B., ziemlich betrunken. Thomas W. muss ausweichen — und bekommt Wut. Er stoppt, steigt
aus und greift an. Doch Karsten B. wehrt sich, ringt W. zu Boden. Nicole K. eilt herbei und tritt B. ins Gesicht. Thomas W. kann sich befreien, das erste Scharmützel ist vorbei.
W. und Nicole K. fahren nach Glöwen zu einer Party. Dort wird gefeiert, dass die NPD die nötigen Unterschriften zusammenbekommen hat, um an der Kommunalwahl im Oktober teilzunehmen. Partygäste haben der Partei beim
Sammeln geholfen, zum Dank hat ein NPD-Mann das Bier spendiert. Doch Thomas W., der bei dem Angriff eine Kopfwunde abbekommen hat, will nicht Suff, sondern Rache. Er beordert die Glatzköpfe Enrico B. und Ronny M. zu sich.
Die drei Männer und Nicole K. fahren los und suchen den alkoholisierten Karsten B. Der schwankt immer noch die Straße entlang. Enrico B. und Ronny M. fallen sofort über ihn her, treten mit ihren schweren Schuhen auf ihn
ein. B. rappelt sich hoch und rennt in einen Wald. Nicole K. entdeckt das Opfer, wieder traktieren die beiden Skinheads den schreienden und stark blutenden Mann. Dann lassen sie von ihm ab. Als die vier zur NPD-Sympathisanten-Feier zurückkehren, will der bislang unbeteiligte Jens K.
auch mal prügeln. Jörg E. schließt sich an. Gemeinsam fahren sie mit Thomas W., Enrico B. und einem weiteren Kumpan zum alten Tatort. Da liegt das Opfer. Bis auf den Kumpan treten alle auf den Verletzten ein. Enrico B. holt
mit seinen Stahlkappenschuhen aus und trifft mehrmals den Kopf. Und zerschlägt darauf eine Bierflasche. Als ein Polizeiwagen kommt, verzieht sich die Meute.
Dass Karsten B. überlebt hat, ist ein Wunder. Der 40 Jahre alte Arbeitslose erlitt eine Mittelgesichtsfraktur, Platzwunden am Kopf, ein Schädel-Hirn-Trauma und Blutergüsse am ganzen Körper. „Aufgrund der Schwere
der Verletzungen lag eine temporäre Lebensgefahr vor”, sagt der Staatsanwalt. Er wirft allen Angeklagten gefährliche Körperverletzung vor, Enrico K. auch versuchte Tötung.
Die Angeklagten äußern sich erstmal zur Person. Da ist von abgebrochenen Lehren die Rede, von prügelnden und saufenden Eltern, aber auch von netten. Dann sagt Nicole K., vor kurzem Mutter geworden, aus. Nuschelig gesteht sie,
dem Opfer ins Gesicht getreten zu haben, „aber nich mehrfach”. Schließlich belastet sie ihren Freund Enrico B.: Als der zutrat, habe bei dem Verletzten die Nase „eigenartig” ausgesehen. Die Frau fasst sich an die eigene Nase und drückt sie nach rechts.
Dieser Prozess wird am 23. Februar fortgesetzt. Wann der nächste wegen der Brandanschläge in Pritzwalk anfängt, ist noch unklar.