NEURUPPIN Das Landeskriminalamt (LKA) hat für die Ermittlungen gegen die Neuruppiner XY-Bande von 2000 bis 2003 insgesamt 114 000 Telefonate abgehört. Das sagte Gert Wegner, der Vorsitzende Richter der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht Neuruppin, am gestrigen Verhandlungstag im XY-Prozess. Die Verteidiger mussten ganz schön schlucken: Mit einer so hohen Zahl hatten sie nicht gerechnet. Schließlich hatten sie noch am Montag darauf bestanden, dass sie sämtliche abgehörte Telefonate mit eigenen Ohren hören dürfen, bevor diese im Gerichtssaal verlesen werden. Gerichtssprecher Frank Jüttner hat schon mal ausgerechnet, wie lange die Anwälte damit beschäftigt wären, alle Mitschnitte anzuhören, wenn jedes Telefonat nur eine Minute gedauert hat: 160 Tage, acht Stunden täglich.
Jedes Gespräch abgehört
Das LKA hat sich diese Mühe bereits gemacht. “Man muss nicht jedes Mal dabei sitzen, aber hinterher jedes aufgezeichnete Gespräch abhören. Das ist ein erheblicher Aufwand”, sagt LKA-Sprecher Toralf Reinhardt. Die Mitglieder der XY-Bande hätten “schon mehr telefoniert als der normale Bürger”. Die Zahl der abgehörten Gespräche sei aber auch deshalb so hoch, weil gegen bis zu 100 Leute ermittelt wurde, so Reinhardt. Wie hoch der Personalaufwand für so umfangreiche Ermittlungen war, wollte der LKA-Sprecher “aus ermittlungstaktischen Gründen” nicht sagen.
Ein Teil der abgehörten Telefonate sollte am kommenden Dienstag im XY-Prozess öffentlich gemacht werden. Einige Protokolle hat Richter Wegner schon an früheren Verhandlungstagen verlesen — mit mäßigem Erkenntnisgewinn.
Prahlereien am Telefon
Bisher erfuhren die Prozessbeteiligten und ‑beobachter vor allem, dass die XY-Leute am Telefon einen rauen Umgangston pflegten (“Na, du Stinktiert!”) und dass sie gern prahlten (“Na, den hab´ ick vielleicht zusammengefaltet”).
Gestern wurden keine Gesprächsprotokolle, sondern zwei weitere Zeugen angehört. Einer der Zeugen war Taxifahrer Jürgen H., ein Kumpel des Kronzeugen Mario L. Der berichtete, dass Mario L. ihm gegenüber selbst einmal von einem “Deal” mit der Staatsanwaltschaft gesprochen habe. Gemeint war offensichtlich eine Aussage gegen die XY-Bande gegen ein mildes Urteil im eigenen Drogenprozess. Auf Nachfragen des Kamrath-Verteidigers Hendrik König sagte Jürgen H., er habe in dem Zusammenhang auch das Wort “Halbstrafe” gehört, damit aber nichts anfangen können. Die Verteidiger hingegen schon: Von einer Halbstrafe spricht man, wenn ein Verurteilter die Hälfte seiner Haftzeit verbüßt hat und der Rest dann zur Bewährung ausgesetzt wird.
Darüber würde aber ohnehin nicht die Staatsanwaltschaft entscheiden, sondern ein Gericht. Die Neuruppiner Staatsanwaltschaft hat Berichte von einem “Deal” mit Mario L. auch schon mehrfach als “völligen Quatsch” zurückgewiesen.