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Der oder ein anderer

Mar­i­nus Schöberl wurde von recht­sex­tremen Jugendlichen ermordet, weil er die falsche Hose trug. Das bran­den­bur­gis­che Pot­zlow will ein Ort sein wie jed­er andere. Von Astrid Geiermann


Es war Dorffest in Pot­zlow (Nord­bran­den­burg), als der 16jährige Mar­i­nus Schöberl grausam ermordet wurde; zu Tode geprügelt und gequält, im Juli dieses Jahres. Mar­i­nus soll die falsche Klei­dung getra­gen haben, Bag­gy­pants, die seinen Mördern nicht gefie­len. Die Haare blond gefärbt, wurde er als Jude beschimpft, »auch wenn blonde Juden eher untyp­isch sind«, wie die Märkische All­ge­meine ihre Leser aufk­lärte. Auf die Frage, warum es ger­ade Mar­i­nus war, den sie töteten, antworteten die Täter, das spiele »keine Rolle, wenn es ein ander­er gewe­sen wäre, dann der«. 

 

Die Leiche wurde nach mehr als vier Monat­en in der Jauchegrube ein­er still gelegten LPG in Pot­zlow gefun­den. Mar­cel S., ein­er der Täter, hat­te sich »im Suff verquatscht« (Berlin­er Kuri­er) und Fre­unde zum Tatort mit der ver­steck­ten Leiche geführt. 

 

Bes­tialisch soll die Tat gewe­sen sein, mit Werkzeu­gen sei über Stun­den auf den Jun­gen eingeschla­gen wor­den. Will der lei­t­ende Neu­rup­pin­er Staat­san­walt Gerd Schnittch­er die bru­tale Tat aus Grün­den der Pietät nicht weit­er beschreiben, so macht sich Peter Gärt­ner für ver­schiedene Lokalzeitun­gen auf die Suche nach der ver­lore­nen Moral: »Zwei auf einen ist feige. Früher wurde dieses ungeschriebene Gesetz von den Eltern an die Kinder weit­ergegeben. Denn nicht von unge­fähr ist diese Regel Bestandteil christlich­er Gebote.« Bere­its in zwei Pri­vat­woh­nun­gen schlu­gen seine Mörder, die Brüder Mar­cel und Mar­co S. (17 bzw. 23 Jahre) und Sebas­t­ian F. (17 Jahre), auf Mar­i­nus Schöberl ein. Drei bis vier weit­ere Jugendliche waren zu dieser Zeit anwe­send, schrit­ten aber nicht ein. 

 

Mar­co S., der älteste der drei Täter, war erst drei Tage vor dem Mord aus dem Gefäng­nis ent­lassen wor­den, wo er eine Strafe wegen Kör­per­ver­let­zung, Autodieb­stahls und der Ver­wen­dung ver­fas­sungs­feindlich­er Sym­bole absaß. Einen Monat nach dem Mord schlug er gemein­sam mit Fre­un­den im nahe gele­ge­nen Neu­rup­pin einen Asyl­be­wer­ber aus Sier­ra Leone mit einem Schla­gring, einem Knüp­pel und Ket­ten auf der Straße zusammen. 

 

Sein jün­ger­er Brud­er Mar­cel wird als ruhiger und schüchtern­er Junge beschrieben. Die Sozialar­bei­t­erin Petra Freiberg, die im benach­barten Strehlow das Jugendzen­trum leit­et, »hat ihn nicht als recht­en Jugendlichen erlebt, er hat sog­ar Hip-Hop-Musik gehört«. Mar­cel gilt inzwis­chen als der Haupt­täter. Über Sebas­t­ian F. erfährt man wenig. 

 

Petra Freiberg ist tief getrof­fen. Alles sei »zunichte gemacht«. Die Ergeb­nisse von fünf Jahren Jugen­dar­beit sind für sie nun hin­fäl­lig gewor­den. Sie weint, ringt um Fas­sung. Das Strehlow­er Jugendzen­trum ist dank der seit Jahren prak­tizierten akzep­tieren­den Jugen­dar­beit ein Tre­ff­punkt für viele »ganz nor­male« Rechte. Recht­sex­treme Kad­er, denen die staatliche Unter­stützung zuwider ist und die ihre nationale Jugen­dar­beit selb­st gestal­ten wollen, beschimpfen dieses Zen­trum auch als »Juden­haus«. Freiberg gab sich alle Mühe, den Jugendlichen ent­ge­gen­zukom­men. Sog­ar ein rechter Sozialar­beit­er wurde eingestellt. 

 

Es wun­dert kaum, dass sie nicht in der Lage ist, rechte Jugendliche als solche wahrzunehmen. Bag­gy­pants und Hip-Hop sind seit län­gerem schw­er ange­sagt in der örtlichen recht­en Szene. Hol­ger Zschoge von der anti­ras­sis­tis­chen Ini­tia­tive Pfef­fer und Salz beschreibt den Wan­del, der in modis­chen Fra­gen inner­halb weniger Monate stattge­fun­den hat: »Heute tra­gen sie auch Hip-Hop-Hosen und Pali-Tüch­er, aber in den Köpfen hat sich nichts verän­dert.« Zschoge betont immer wieder die Bedeu­tung des »gesellschaftlichen Wertege­füges, aus dem sich die recht­sex­treme Jugend­kul­tur, wenn man von Kul­tur über­haupt sprechen will, speist«. 

 

In den Lokalpos­tillen wird lieber die Fas­sungslosigkeit zele­bri­ert. Alle sind erschüt­tert, schock­iert. Aber vom nationalen Kon­sens in der Region spricht nie­mand. »Wir sind ein nor­males Dorf«, sagen die Bürg­er von Pot­zlow. Wie Recht sie haben. Pot­zlow unter­schei­det sich durch nichts von Ger­swalde, Fli­eth, Suck­ow, Pin­now und wie die Dör­fer der Region alle heißen. Auch Zschoge ist der Mei­n­ung, »es hätte über­all passieren kön­nen. Den Dorf­na­men kann man beliebig auswechseln.« 

 

Peter Freike, der Bürg­er­meis­ter der Großge­meinde Oberuck­ersee, ist der Mei­n­ung: »Eine aus­geprägte rechte Szene hat Pot­zlow nicht.« Dabei ertappte er im vorigen Jahr sechs Jugendliche, als sie ein großes Hak­enkreuz an eine Bushal­testelle mal­ten. Und Schüler aus Ger­swalde hiel­ten auf ein­er Klassen­fahrt ein selb­st gemaltes Plakat an die Heckscheibe ihres Busses: »Ihr Juden sollt ver­gasen, ab in euer Land.« An »Sieg Heil« grölende Kids hat man sich sowieso längst gewöhnt. 

 

Kay Wen­del vom Vere­in Opfer­per­spek­tive ver­mutet bei den Jugendlichen einen »Abgrund an Abges­tumpftheit«. Sie lang­weil­ten sich, schlü­gen die Zeit tot und bewun­derten Stärke. Und wenn es ger­ade passt, schla­gen sie Men­schen, oft unter Alko­hole­in­fluss. »Der Alko­hol enthemmt. Er bringt raus, was drin steckt.« Und das sei der ganz nor­male ras­sis­tis­che und chau­vin­is­tis­che Wahnsinn. 

 

Gewalt­tätige und bru­tale Aktio­nen von Recht­en gab es in den ver­gan­genen Jahren in Stern­hagen, Lin­den­hagen, Suck­ow, War­nitz und Pin­now, alle­samt nicht weit ent­fer­nt von Pot­zlow. Man ist nicht wäh­lerisch, wenn es um die Opfer geht, man nimmt, was kommt. Ange­grif­f­en wur­den neben Aus­län­dern und »ander­s­denk­enden« Jugendlichen auch Polizis­ten oder zuge­zo­gene Berlin­er. Doch Bürg­er­meis­ter Freike spricht wie von einem Einzelfall: »Dass sich so etwas Schreck­lich­es ereignet, hätte nie­mand für möglich gehal­ten. Hier ken­nt doch jed­er jeden.« Alle, die da jeden ken­nen, scheinen vergessen zu haben, dass bere­its 1997 in Pot­zlow ein­er, den sie auch gekan­nt haben müssen, von Recht­en ermordet wurde. 

 

In Pot­zlow find­et nun eine ganz eigene Art des trauern­den Gedenkens statt. Das Lan­despro­jekt Tol­er­antes Bran­den­burg sorgt für die psy­chol­o­gis­che Betreu­ung der Jugendlichen, und der Pot­zlow­er Bürg­er­meis­ter will die Gebäude der LPG abreißen. Man legt großen Wert darauf, unter sich zu bleiben. Ein Bürg­er spricht es aus: »Wir wollen die hier nicht.« Gemeint ist die Antifa. 

 

Aber sie kommt trotz­dem, am näch­sten Sam­stag. Nach Pot­zlow, Strehlow und Neu­rup­pin, unter dem Mot­to: »Pot­zlow ist überall!« 

 

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