Potsdam: 25-jähriger Alkoholiker erpresst
Geld von Arbeitslosem / Landgericht Potsdam bestätigt Verurteilung
POTSDAM Frank R. fühlt sich unwohl. Er lässt die Schultern hängen, sein
Kopf dreht sich kaum nach links oder rechts, die Arme liegen unbeweglich
auf den Oberschenkeln. Mit den Händen hält er sich an einem Stoffbeutel
fest. Am liebsten wäre er gar nicht da. Nicht in diesem Saal des
Potsdamer Landgerichtes. Links sitzt der Staatsanwalt, vor ihm drei
Richter. Nach rechts mag er schon gar nicht sehen. Dort sitzt Michael
P., der ihm das hier eingebracht hat. Der 42-Jährige Frank R. ist als
Geschädigter vor die Strafkammer des Landgerichtes geladen worden. “Sie
sind Zeuge und müssen hier die Wahrheit sagen”, belehrt ihn der Richter.
Es geht um den 28. Februar 2003. Damals hatte der heute 25-Jährige
Michael P. an seiner Tür geklingelt. Frank R. ließ ihn herein. Warum
auch nicht? Schließlich hatten sie schon früher immer mal zusammen
getrunken. Diesmal aber war der Jüngere nicht auf ein paar Bier
gekommen. Er wollte Geld, 450 Euro um Schulden bei anderen zu bezahlen.
Nach einem Gespräch auf dem Balkon gingen die beiden Männer zusammen zum
nächsten Geldautomaten und R. hob die Summe ab. Dem alkoholkranken
Sozialhilfeempfänger blieben danach noch knapp 50 Euro für den nächsten
Monat zum Leben. Zurück in der Wohnung wurde ein Schuldschein
ausgefüllt, den ein anwesender Trinkkumpan unterschrieb.
Frank R., so betont der Angeklagte, habe ihm das Geld freiwillig
überlassen. Genauso wie die Stereoanlage wenige Tage später. Die hätte
er nur als Pfand aus R.s Wohnung geholt. Weil der einigen Kumpels Geld
schuldete. Welchen, das wisse Michael P. nicht mehr. Aber eine
Gewaltdrohung gegen den schmächtigen, stillen Mann habe es nie gegeben.
Das Urteil, das das Amtsgericht Potsdam im März diesen Jahres gegen ihn
gefällt hat, sei falsch. Zumindest in diesem Fall. Dreieinhalb Jahre
wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung,
Beleidigung und Volkverhetzung waren vom Amtsrichter verhängt worden;
Michael P. hatte dagegen Berufung eingelegt.
Den größten Teil der Anklagepunkte räumt er ein: Dass er zwei Afrikaner
in der Straßenbahn beleidigt und geschlagen hat. Dass er einen Mann auf
der Straße ins Gesicht schlug, weil er ihn mit jemandem verwechselt
hatte, dass er mit einem Schlagring in der Tasche unterwegs war. Dass er
aggressiv wird, wenn er getrunken hat. Er sei schwerer Alkoholiker,
lässt er über seinen Anwalt mitteilen. Er brauche dringend eine
Entziehungskur.
Für Frank R. ist das nichts Neues. Als Geschädigter musste er schon zur
ersten Gerichtsverhandlung kommen. Jetzt soll er den Richtern erneut
erzählen, wie Michael P. es erreichte, dass er sein letztes Geld abhob,
seine Stereoanlage herausgab. “Irgendwat war da …”, beginnt er ein
Ausweichmanöver. Seine Angst ist für jeden im Saal spürbar. Mit immer
leiserer Stimme fügt er hinzu: “Als er kam, waren noch vier, fünf andere
Männer dabei.” Gekannt habe er keinen. Aber er muss wohl die Gewissheit
gehabt haben, dass die immer wieder kommen würden. “Der Angeklagte hat
sich einen schwachen, armen, verängstigten Mann ausgesucht”, erklärt der
vorsitzende Richter schließlich in seiner Urteilsbegründung. Hätte Frank
R. damals nicht allen Mut zusammen genommen, wäre er nicht zur Polizei
gegangen — für Michael P. wäre er ein ideales Opfer gewesen.
“Der sollte regelmäßig ‚gemolken′ werden”, erklärt der Richter. Und
verhängt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Die
allerdings tritt der Angeklagte erst an, wenn er eine erfolgreiche
Entziehungskur im Maßregelvollzug hinter sich gebracht hat. Und so kann
es eine Weile dauern, bis er wieder auf freien Fuß ist. Wenigstens diese
eine Sorge muss Frank R. nicht haben: Dass der junge Mann bald wieder
vor seiner Tür stehen wird.