(LR) Der Georgenberg in Spremberg ist Umbettungsfriedhof für Soldaten der
Kesselschlacht bei Kausche im April 1945. Am vorigen Wochenende wurden
dort erneut Kriegstote beigesetzt. Mit dabei: Rechtsradikale, die Blumen
niederlegten. Der Umgang mit der Erinnerung an die Kesselschlacht hatte
erst vor wenigen Wochen wegen Kontakten des Spremberger
Altbürgermeisters Egon Wochatz zu Waffen-SS-Veteranen für Schlagzeilen
gesorgt.
Fünfzehn frische Gräber waren auf dem Soldatenfriedhof Georgenberg
ausgehoben. Darin lagen am Samstagvormittag die sterblichen Überresten
von Soldaten, die im April 1945 in der Kesselschlacht bei Kausche im
Spree-Neiße-Kreis gefallen waren. Wie schon oft zuvor waren sie beim
Vorrücken des Tagebaus Welzow-Süd und bei Bauarbeiten in der Region
gefunden worden.
Mit einer ökumenischen Feierstunde werden diese sterblichen Überreste
deutscher Soldaten einmal im Jahr auf dem Georgenberg in Spremberg
beigesetzt. Organisator ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge,
der sich um die ewige Ruhe von Kriegstoten kümmert. In Spremberg gerät
diese Arbeit ins Zwielicht, denn nicht zum ersten Mal waren am vorigen
Samstag auch etwa ein Dutzend Rechtsradikale anwesend, darunter Frank
Hübner aus Cottbus.
Mehrere hundert Mitglieder
Er war bis zum Verbot durch den Bundesinnenminister im Dezember 1992
Vorsitzender der “Deutschen Alternative” (DA). Die war eine der damals
wichtigsten Neonaziorganisationen in den neuen Bundesländern und
besonders in der Lausitz aktiv. Kurz vor ihrem Verbot hatte die
Organisation mehrere hundert Mitglieder. Ex-DA-Chef Frank Hübner legte
am Samstag an den Soldatengräbern auf dem Spremberger Georgenberg einen
Blumenstrauß nieder. Die Stängel waren in eine breite schwarz-weiß-rote
Schleife gewickelt, die Farben der Reichskriegsflagge, die der
rechtsextremistischen Szene als wichtiges Symbol dient.
Der Umgang mit dem Erinnern an die Kesselschlacht bei Kausche, die in
Spremberg ihren militärischen Anfang genommen hatte, sorgte vor wenigen
Wochen erst in der Region für Schlagzeilen. An den Kämpfen mit mehreren
tausend Toten, die den Vorstoß der Roten Armee auf Berlin aufhalten
sollte, waren auch die Waffen-SS-Division “Frundsberg” und die
“Führerbegleitdivision” beteiligt. Befehlshaber der
“Führerbegleitdivision” war Ernst-Otto Rehmer, der nach 1945 als
unbelehrbarer Altnazi in der rechtsextremen Szene der Bundesrepublik
eine Rolle spielte.
Wegen jahrelanger Kontakte zu Veteranenkreisen der “Frundsberg”
‑Division, die sich jedes Jahr in Spremberg treffen, war der
Altbürgermeister der Stadt und jetzige CDU-Fraktionschef im
Spree-Neiße-Kreistag, Egon Wochatz, scharf kritisiert worden. Er ist
auch einer der Mitbegründer des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge in Spremberg, wo es einen eigenen Stadtverband gibt.
Doch Fraktion und Spree-Neiße-Kreisvorstand der Christdemokraten hielten
an Wochatz fest, der versprach, sich künftig von Veteranentreffen der
Waffen-SS fern zu halten. Eine Diskussion, wie Spremberg mit dem
Erinnern an die Kesselschlacht umgehen will, fand nicht statt. In einer
Chronik, die zur 700-Jahrfeier der Stadt vor drei Jahren herausgegeben
wurde, fehlt die Nazizeit völlig. Der Leser erfährt nur, dass 1934 der
Marktplatz neu gepflastert wurde. Danach folgt übergangslos das Ende der
Kampfhandlungen im April 1945 bei Kausche und der Hinweis, dass das
Stadtzentrum von Spremberg zu 85 Prozent zerstört war.
Egon Wochatz war bei der Umbettung am Samstag auf dem Georgenberg dabei.
Angesprochen auf die anwesenden Rechtsradikalen sagte er, dass er diese
Leute nicht kenne. Ein aus Sachsen angereister junger Mann mit
tarnfarbener Feldmütze und Jacke, schwarzer Hose und derben schwarzen
Schuhen kam zielgerichtet auf Wochatz zu, um sich mit Handschlag von ihm
zu verabschieden. Der Altbürgermeister von Spremberg versicherte
anschließend, auch ihn nicht zu kennen: “Den habe ich vorhin zum ersten
Mal gesehen.”
Auf ein weitergehendes Gespräch mit der RUNDSCHAU will er sich am
Samstag nicht einlassen. Auch Andreas Kott-witz, Spremberger
CDU-Kandidat zur Landtagswahl, der jedoch den Einzug ins Landesparlament
verpasste, lehnt ein Gespräch mit der RUNDSCHAU ab. Kottwitz hatte als
Gymnasiast begonnen, ein Buch über die Kauscher Schlacht zu schreiben.
Eine historische Einordnung des Zweiten Weltkrieges, die Deutschland als
Angreifer und den in Russland geführten Vernichtungskrieg klar benennt,
fehlte darin. In Auszügen daraus, die im Spremberger Heimatkalender
gedruckt wurden, gab es erst später eine kleine Fußnote, die auf die
Rolle Hans-Otto Rehmers als unverbesserlichen Altnazi hinwies.
Pfarrer Johann-Jakob Werdin, der an der Beisetzungsfeier am Samstag
mitwirkte, sieht die alljährliche Anwesenheit von Rechtsradikalen mit
Sorge. “Das ist eine öffentliche Veranstaltung, man kann nur verhindern,
dass solche Leute dort zu Wort kommen” , sagt er. Eine öffentliche
Auseinandersetzung darüber in Spremberg würde sich der evangelische
Geistliche jedoch wünschen.
Thema im Hauptausschuss
Klaus-Peter Schulze (CDU), seit Mai 2002 Bürgermeister der Stadt, will
die Ereignisse vom Samstag auf dem Georgenberg in der nächsten Sitzung
des Hauptausschusses zur Sprache bringen. Durch den vor der Stadt vor
Jahren gefassten Beschluss, den Georgenberg zum zentralen
Umbettungsfriedhof der Region zu machen, müsse die Friedhofsverwaltung
organisatorisch mitwirken. “Wir machen, was wir machen müssen, mehr
nicht” , versichert Schulze.
Er sieht die Gefahr, dass dieser Friedhof, auf dem schon 400 Soldaten
begraben sind, eine ähnliche Anziehungskraft für Rechtsradikale
entwickeln könnte, wie der Soldatenfriedhof bei der Kesselschlacht von
Halbe. Dort verhindert ein Großaufgebot der Polizei alljährlich
Neonaziaufmärsche zum Volkstrauertag. Der Vorsitzende des Volksbundes
Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Spremberg und ein Vertreter des
Landesvorstandes waren gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
“Ich hatte noch einen Koffer in Spremberg”
Holländischer Fremdarbeiter
kam nach 59 Jahren zurück in die Spreestadt
(LR) In den letzten Kriegsjahren musste der Holländer Johan Frederick
Tiemejer in Spremberg in der Tuchfabrik in der Heinrichstraße arbeiten.
Nach fast sechs Jahrzehnten kehrte der mittlerweile 81 Jahre alte Mann
jetzt zurück, um noch einmal den Ort zu sehen, wo er als junger Mann
anderthalb Jahre gezwungenermaßen verbracht hat.
Auf Spurensuche in Spremberg war der 81-jährige Holländer Johan
Frederick Tiemejer und seine Frau Johanna Anneke Tiemejer (63). In
jungen Jahren hatte es den Mann aus Harlem zur Arbeit nach Spremberg
verschlagen.Auf Spurensuche in Spremberg war der 81-jährige Holländer
Johan Frederick Tiemejer und seine Frau Johanna Anneke Tiemejer (63). In
jungen Jahren hatte es den Mann aus Harlem zur Arbeit nach Spremberg
verschlagen.
Es sei ihm nie richtig schlecht gegangen, erzählt Johan Fredrick
Tiemejer. Zusammen mit seiner Frau Johanna Anneke ist der rüstige Mann
aus Holland jetzt noch einmal zurück nach Spremberg gekommen. Er hat
sich in eine Ferienwohnung einquartiert und hat etwas Zeit mitgebracht
für seine Reise in die Vergangenheit.
Von September 1943 bis zum Januar 1945 war er in der Lausitz
“arbeitsverpflichtet” , wie es in der Amtssprache der
Nationalsozialisten hieß. Die Behörden in Holland kollaborierten mit den
Deutschen wie kein zweites Land in Europa. Junge Menschen wurden
gezwungen, sich bei den
Arbeitsämtern zu melden und wurden zur Arbeit
nach Deutschland vermittelt. “Man konnte nicht viel dagegen tun” , sagt
der 81-jährige Tiemejer. Er selbst sei noch in die Schule gegangen, als
er zwangsverpflichtet wurde. Der Bürgermeister seines Heimatortes Harlem
sei ein glühender Nationalsozialist gewesen und habe direkt in der
Nachbarschaft gewohnt. “Es gab schon Leute, die untergetaucht sind. Aber
ich hatte keine Chance dazu.”
Kein Geld für Arbeit bekommen
Über Berlin Weißensee, wo er unter der Kontrolle der SS in einer
Bekleidungskammer eingesetzt war, kam er schon knapp zwei Monate später
nach Spremberg. Er habe keine richtig schlechten Erinnerungen an die
Spreestadt, sagt Tiemejer. “Wir konnten uns frei bewegen und sogar ins
Kino gehen.” Lediglich einmal habe ihn ein SS-Mann als Juden beschimpft
und mit Wasser nassgespritzt. In der Heinrichstraße 6 habe er zusammen
mit anderen Holländern im Bekleidungslager der Tuchfabrik C. Richard
arbeiten müssen. “Wir mussten Uniformen stapeln.” Geld gab es dafür
nicht. Eine Entschädigung hat Tiemejer für die Arbeit nie erhalten. “Mir
wurden einmal 50 Mark ausgezahlt, das war alles.”
Durch eine Blinddarmentzündung gelangte der damals 20-jährige Holländer
für nahezu sieben Wochen ins Spremberger Krankenhaus. Dort sei er die
ersten Schritte in seinem späteren Beruf als Krankenpfleger gegangen.
Seinerzeit habe sogar die Tochter von Adolf Hitlers Sekretär Martin
Bormann in dem Krankenhaus gearbeitet, wie sich der alte Mann erinnert.
“Ich hatte noch einen Koffer in Spremberg” , sagt Tiemejer. Als er im
Januar 1945 die Stadt verlassen hatte, habe er einer Frau Knappe, die
ebenfalls in der Fabrik gearbeitet hatte einige persönliche Sachen
überlassen. “Da wollte ich jetzt mal gucken, ob der noch da ist.” Nach
einigen Recherchen konnte er die Tochter Hannelore Wolf, die damals
gerade mal drei Jahre war, jetzt wieder finden. “Sie hat mich natürlich
nicht erkannt, wusste aber aus Erzählungen von mir” , sagt Tiemejer. Der
Koffer, in der unter anderem eine Biografie über Mozart gesteckt hatte,
war allerdings nicht mehr aufzufinden. Auch die Fabrik in der
Heinrichstraße sei nicht mehr vorhanden, wie er beim Rumspazieren
festgestellt habe. “Es hat sich hier alles geändert.”
Egon Wochatz getroffen
Bei seinem Besuch in Spremberg war Tiemejer auch zufällig mit
Altbürgermeister Egon Wochatz im Ratskeller zusammengetroffen. “Der hat
sich sehr nett um uns gekümmert” , sagt Tiemejer. Dass es eine
Diskussion in der Stadt um dessen Beteiligung an SS-Veteranentreffen
gab, hatte der Holländer indes nicht mitbekommen. “Das ist mir auch
egal” , sagt Tiemejer. Er habe seinerzeit sogar einem SS-Mann in
Spremberg das Schwimmen beigebracht. Es liege einfach in seinem
Charakter, postiv nach vorne zu sehen. Er sei nicht nach Spremberg
gekommen, um alte Wunden aufzureißen. Er wollte seiner Frau, mit der er
seit 42 Jahren verheiratet ist und mit der er zwei Söhne hat, nochmal
den Ort zeigen. “Schon als die Wende kam, habe ich das gesagt” , so
Tiemejer. Er habe jedoch immer zu viel zu tun gehabt, so dass das
Vorhaben erst jetzt verwirklicht wurde.
Beim Erzählen aus der früheren Zeit hört seine Frau Anneke geduldig zu.
Sie kennt die Geschichten. Einige Male fordert sie ihn auf, doch noch
die eine und die andere Episode zu erzählen. Zweimal gibt Tiemejer in
Holländisch zurück, dass er dies eben nicht tun werde. Es läßt sich
dabei erahnen, dass es vielleicht doch Erlebnisse aus der Kreigszeit
gibt, die ungesagt bleiben und sich nicht für anekdotenhafte Geschichte
eignen.