SPREMBERG. Seit mehr als zwei Wochen wird diskutiert, wie mit dem Vermächtnis des 1994 gestorbenen Schriftstellers Erwin Strittmatter — Autor der berühmten Trilogien “Der Laden” und “Der Wundertäter” — umgegangen werden soll. Denn vor zwei Wochen wurde enthüllt, dass der berühmte Heimatdichter der Lausitz und einer der Großen der DDR-Literatur seine Verstrickungen in der Nazi-Zeit verschwiegen hat: Er soll ab 1943 als Schreiber beim Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 gedient haben, das der SS unterstellt und auch für Massaker verantwortlich war. Seit Montagabend nun ist klar, dass seine Geburtsstadt Spremberg (Spree-Neiße) nicht mit ihrem Ehrenbürger brechen will. “Der Name Erwin Strittmatter soll nicht aus dem Stadtbild verschwinden”, sagte gestern Alexander Adam, Sprecher der Stadtverwaltung.
Wusste er von Massakern?
Der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung hatte sich mit den Vorwürfen gegen den ins Zwielicht geratenen Autor von “Ole Bienkopp” und “Tinko” beschäftigt. Im Vorfeld hatte es geheißen, Bürgermeister Klaus-Peter Schulze (CDU) werde empfehlen, dass sowohl die Erwin-Strittmatter-Promenade im Stadtzentrum als auch das Strittmatter-Gymnasium ihren Namen verlieren soll. “Er hatte aber nur gesagt, wenn die Stadtverordneten dies wollen, werde es gemacht.” Lange sei diskutiert worden. “Über alle Parteigrenzen hinweg habe man sich einhellig dafür ausgesprochen, dass die Straße nicht umgenannt wird”, so Adam. Auch der für die Schule zuständigen Kreisverwaltung werden die Namensänderungen nicht empfohlen. “Aber die Diskussion ist noch nicht vorbei.”
Bei der Stadt haben sich etwa 35 Bürger zum Thema geäußert, nur fünf waren für eine Umbenennung. Bei der Kreisverwaltung haben bislang drei ehemalige Schüler die Umbenennung der Schule gefordert. “Über das Thema wird am Mittwoch im Kreisausschuss diskutiert”, sagte Kreissprecherin Jana Weber.
Allerdings ist damit die Namens-Debatte nicht beendet. Denn es gibt auch noch den Erwin-Strittmatter-Preis des Potsdamer Umweltministeriums. Und der könnte noch in diesem Jahr den Namen des Autors verlieren. Der mit 5 000 Euro dotierte Literaturpreis wird alle zwei Jahre vergeben. “Es ist vor allem ein Umwelt-Literaturpreis”, sagte Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade der Berliner Zeitung. “Es spricht einiges dafür, dass wir uns von dem Zweit-Namen ‚Erwin-Strittmatter-Preis´ verabschieden.” Allerdings soll erst einmal in der Lausitz über die “gebrochene Biografie” des Autors diskutiert werden. “Geschichte kann nicht mit Umbenennungen einfach entsorgt oder geglättet werden.” Deshalb soll die Diskussion nicht etwa mit einer eiligen Umbenennung abgebrochen werden. “Die Debatte bietet die Chance, sich intensiv mit der Geschichte auseinander zu setzen”, sagte er.
Der Erwin-Strittmatter-Verein trifft sich am Sonnabend zur alljährigen Mitgliederversammlung. “Eigentlich kommen immer etwa 40 der 150 Mitglieder”, sagte Vereinschef Manfred Schemel (Linke). “Diesmal werden es wohl deutlich mehr sein.” Auch der Historiker Werner Liersch, der den SS-Bezug bei Strittmatter aufgedeckt hatte, sei ausdrücklich eingeladen. “Wir müssen Strittmatters SS-Vergangenheit ernsthaft aufarbeiten”, sagte Schemel. “Strittmatter ist für mich auch vorher kein Halbgott gewesen.” Wichtig sei aber, dass dem Autor keine Beteiligung an Verbrechen vorgeworfen werde. Seine Kriegszeit müsse differenziert gesehen werden. “Er hat berichtet, dass er vor Kriegsende desertiert ist”, sagte Schemel. “Dafür wäre er glatt erschossen worden.”
Hendrik Röder von der Jury für den Strittmatter-Preis hält die Aufarbeitung für dringend notwendig. Denn es sei schon vor der aktuellen Debatte bekannt gewesen, dass Strittmatters Biografie “sehr gebrochen” war. So sei er nach seinem Tod als Stasi-IM geoutet worden. “Jetzt muss geklärt werden, ob er als Schreiber bei jener Polizeieinheit auch Verbrechen dokumentiert hat und ob er an der Vernichtung von Dokumenten beteiligt war”, sagte er. “Das wäre bedenklich.”