Am Samstag den 14.4 um 16.00 Uhr wird auf dem Potsdamer Luisenplatz, eine Kundgebung
zum Jahrestag der Bombardierung Potsdams stattfinden.
In der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 wurden Teile der Potsdamer Innenstadt durch
britische Bomberverbände zerstört. Nachdem gutes Zureden und der Abwurf von
Flugblättern nicht halfen, versuchten die Alliierten, mit sogenannten “moral
bombings” die deutsche Durchhaltegesellschaft zu demoralisieren. “Moral bombing” -
in kleineren Rahmen – führte nach Ansicht der britischen Luftwaffe u.a. zuvor in
Italien zu einem Aufbegehren der Bevölkerung gegen das faschistische Regime. Der
Versuch, dies in Deutschland zu wiederholen, trug keine Früchte. Ziel der Alliierten
war es, wichtige Industrieanlagen und die Infrastruktur für den Nachschub an die
Front zu zerstören. Sämtliche Betriebe in Potsdam dienten zu dieser Zeit der
Kriegsmaschinerie. Ihre Arbeitskräfte rekrutierten sie aus den 50 kleineren
ZwangsarbeiterInnenlagern, die in und um Potsdam geschaffen wurden.
Hauptziel der 4.000 innerhalb von 20 Minuten abgeworfenen Bomben war der Potsdamer
Hauptbahnhof als Verkehrsknotenpunkt für Berlin. Die Bombardierung sollte den
sowjetischen Bodentruppen ermöglichen, Berlin mit geringeren Verlusten zu befreien.
Der britische Bombenangriff ließ, wie alle anderen Schläge gegen den NS-Staat,
Menschen, gegen die sich die Deutsche Barbarei richtete, auf eine baldige Niederlage
des Nationalsozialismus und auf Befreiung durch die Alliierten hoffen.
Der 14. April wird in Potsdam seit der Wiedervereinigung als Anlass genommen, die
deutschen Gräueltaten zu relativieren, indem die Opfer des Nationalsozialismus in
eine Reihe mit denen der alliierten Bomben gestellt werden. Die Geschichtspolitik
der Berliner Republik machte es möglich: Die Shoah wird als Teil deutscher Identität
benutzt, um Deutschland als geläuterte Nation darzustellen, die eine besondere
Verantwortung zu tragen habe. Das durch den Krieg verursachte Leid wird allen
Beteiligten attestiert, zu allererst den Deutschen. Doch wo es nur noch Leidende
gibt, gibt es keine TäterInnen. Ursache und Wirkung werden auf den Kopf gestellt und
der Opfermythos salonfähig gemacht.
Dieser Akt des Selbstmitleids schlägt sich auch in der langjährigen Debatte über den
Wiederaufbau preussischer Herrschafts- und Repräsentationsbauten in der Potsdamer
Innenstadt nieder. So ist die Garnisonkirche bereits seit den 80er Jahren besonderes
Anliegen einer traditionell-faschistischen Soldatenorganisation aus Westdeutschland.
Evangelische Kirche und Sozialdemokratie setzen mittlerweile das Projekt fort, indem
sie aus der Militärkirche ein Versöhnungszentrum basteln wollen. Man würde wohl
nicht einmal in einer Dorfstampe einen derart dreisten Versuch erwarten, Opfer und
Täter gleichzusetzen, als ausgerechnet am Tag der Reichspogromnacht die Potsdamer
Versöhnungskapelle einzuweihen und der Bombardierung deutscher Städte zu gedenken.
Von der bürgerlichen Einopferung profitierten auch Neonazis. Seit Ende der Neunziger
wird vor allem am 13. Februar in Dresden den dortigen Bombenopfern gedacht. Deren
zunächst kümmerliche Aktivitäten entwickelten sich in den letzten Jahren zu einem
Anziehungspunkt für mehrere Tausende FaschistInnen. Den bisherigen Höhepunkt bildete
der Naziaufmarsch 2005, der mit ca. 6000 TeilnehmerInnen der größte seit 1945 war.
Auch Potsdamer Neonazis waren regelmäßig zugegen.
Im Gegensatz zu Dresden spielte der Geschichtsrevisionismus bei den Potsdamer Nazis
keine große Rolle, was zum Einen an ihrer fehlenden theoretischen Arbeit und zum
anderen an ihrem dummplumpen Gebaren liegen dürfte. Erste Anzeichen einer Änderung
hinsichtlich der politischen Schwerpunkte gab es am 13. Februar diesen Jahres. In
den Abendstunden marschierten circa 30 vornehmlich junge Neonazis unter der Führung
von Sebastian Glaser (Ex-Mitglied der verbotenen Berliner Kameradschaft Tor) und
Robert Meier (Freie Kräfte Potsdam) durch Potsdam. Es ist durchaus zu erwarten, dass
Sie weiterhin versuchen werden andere geschichtsträchtige Daten zu besetzen.
Wie in Dresden, wurde auch in Potsdam das Themenfeld des Geschichtsrevisionismus und
der Einopferung deutscher Täter von der bürgerlichen Mitte aus betrieben und dem so
ein fruchtbarer Boden geliefert. So wäre es nicht verwunderlich, wenn sich die
Garnisonkirche zu einem neonazistischen Wallfahrtsort entwickeln würde. Die frühere
Funktion als preussische Militärkirche, in der sich Hindenburg und Hitler die Hand
gaben, dürfte als Grund genügen. Diese friedliche Machtübergabe an Hitler gilt als
die konsequente Überführung Preussens in die Moderne.
Im Gegenzug verblüfft es, dass es neben der Renaissance preussischer Architektur und
einem Gedenkstein für die Vertriebenen, keine Kennzeichnung der ehemaligen
ZwangsarbeiterInnenlager in Potsdam gibt — waren doch die 10.000 zum Zeitpunkt der
Bombardierung in Potsdam inhaftierten ZwangsarbeiterInnen die einzigen unschuldigen
Opfer. Auch die von den “Freundinnen des Sachsenhausenkomitees”, des Bündnis
“MadstoP” und mit Unterstützung des AStA sowie der Universitätsleitung der
Universität Potsdam am 19. April 2005 errichtete Gedenktafel für die Häftlinge des
KZ Sachsenhausen, die im Außenkommando Griebnitzsee Zwangsarbeit für das Deutsche
Rote Kreuz leisten mussten, wurde nach ihrer Beschädigung nicht wieder ersetzt.
Den deutschen Opfermythos angreifen! Gegen jeden Geschichtsrevisionismus!