Deutschlands Vormarsch stoppen! Kein Stolz! Keine Nation!
Am 3. Oktober 2005 wird in Potsdam der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Wir wollen nicht
mitfeiern, sondern den Tag nutzen, um unsere Kritik an dem Konstrukt der Deutschen Nation ein
weiteres Mal öffentlich zu formulieren.
Vor 15 Jahren wurde das beschlossen, worauf die deutsche Politik so lange hingearbeitet hatte, das
„Deutsche Vaterland“ wieder ein Stück näher an seine historische Größe heranzubringen. Um dies zu
verwirklichen, war viel Vergessen deutscher Geschichte notwendig und ein Wandel der deutschen
Außenpolitik Programm. „Wir sind wieder wer“ ist von denen, die deutsche Schlussstrichmentalität
forcieren, wieder an jeder Strassenecke zu hören. Die Jugend trägt neuerdings Bundeswehrjacken mit
deutscher Fahne auf dem Oberarm. Da verwundert es nicht, dass die Band Mia eben noch am 1. Mai
aufspielte und wenig später schon in schwarz-rot-goldenen Kostümen auf MTV und VIVA.
Deutschland ist hip.
Von dem „Wir sind ein Volk“-Gebrülle des 9. November 1989 führte der direkte Weg zu den
rassistischen Pogromen von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda Anfang der neunziger Jahre. Die
Morde an MigrantInnen, Obdachlosen, Homosexuellen und allen, welche nicht in das deutsche
Wahnbild passen, haben seitdem nicht aufgehört. Der rassistische Konsens dieser Gesellschaft ist in
allen Teilen Deutschlands ungebrochen. An der deutschen Ostgrenze machen hochtechnisierte
Menschenjäger Jagd auf diejenigen, die nicht nach Deutschland kommen sollen. Dabei starben seit
1993 mindestens 121 Menschen über 250 wurden verletzt. Und die Schändung von jüdischen
Friedhöfen hat sich seit 1990 auf ein wöchentliches Maß eingependelt. Die politische Rechte zeigt
Präsenz auf den Straßen und in den Parlamenten.
Das „Deutsche Volk“ und die Kontinuität seiner Geschichte
Als in Europa das Bürgertum gegen den Feudalismus revoltierte, vollzog sich die Staatsgründung zum
Deutschen Reich von oben, um eine solche Revolution zu verhindern.
Der Zweck jeder Nation ist die Herstellung von Identität zwischen Staat und Bevölkerung. Im
Unterschied zu anderen Nationen galt in Deutschland: „Deutsch ist, wer deutsches Blut hat“ – damit
wird eine Volksgemeinschaft konstruiert, die nur in Abgrenzung zu inneren und äußeren Feinden
bestehen kann. Einer dieser Feinde war das Judentum, da es als Sinnbild für die moderne,
kapitalistische und damit die romantische Blutseinheit der deutschen bedrohende Gefahr umgedeutet
wurde. Eine Folge der Reichsgründung 1871 war somit die Entstehung des Antisemitismus, neben
dem religiösen gab es nun auch einen politisch motivierten Judenhass.
Dieser Judenhass bestimmte zwischen 1933 und 1945 die völkische Gemeinschaft. Die halbe Welt
wurde mit Krieg überzogen und die Shoa organisiert. Der Antisemitismus geriet zur dominierenden
Logik einer ganzen Gesellschaft. Denn bis in die letzten Kriegstage hinein wurde die systematische
Vernichtung von €päischen Jüdinnen und Juden organisiert und durchgeführt.
Die Blockkonfrontation und die damit einhergehende Teilung Deutschlands nach Kriegsende ließen
eine gründliche Entnazifizierung scheitern. Im Westen sabotierte die Adenauer-Regierung eine
Entnazifizierung von Militär und Beamtenschaft, was von den Westalliierten im Zuge der
Notwendigkeit eines funktionierenden westdeutschen Staats- und Militärwesens als Bollwerk gegen
sowjetische Ansprüche hingenommen wurde. Die Prozesse gegen NazitäterInnen zogen ebenfalls
keine breite öffentliche Auseinandersetzung mit der Schuldfrage nach sich, vorherrschend war die
Auffassung, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Erinnerung wurde als Zumutung empfunden.
In der DDR wurden alte Nazis zwar zum größten Teil aus leitenden Positionen entfernt, eine
Auseinandersetzung mit der Mittäterschaft der Normalbevölkerung fand jedoch auch hier nicht statt:
verordnet war ein staatlicher Antifaschismus mit seinem verklärten Geschichtsbild vom breiten
kommunistischen Widerstand.
In der BRD und DDR standen der Wiederaufbau im Vordergrund: Alles war wichtiger als die
Auseinandersetzung mit den eigenen Vernichtungstaten. Mit dem aufkommenden Wohlstand im
Westen wurde es wieder möglich, Stolz auf die eigenen Leistungen auch öffentlich zu zeigen ohne die
Frage zu stellen, welcher Zusammenhang zwischen der Vernichtung und dem „Wirtschaftswunder“-
Mythos bestünde. Das „Wirtschaftswunder“ war eben kein Ergebnis sogenannter „ehrlicher deutscher
Arbeit“ sondern begründete sich auf Arisierung, Enteignung und Zwangsarbeit im
Nationalsozialismus auf der einen und dem antibolschewistischen Marshall-Plan auf der anderen Seite.
Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation begann ein neues Kapitel nationaler Identität und deutschen
Großmachtstrebens. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands war ein Zwischenziel erreicht, nun
musste noch die „unschöne“ deutsche Geschichte bereinigt werden.
Eine neue Qualität deutscher Vergangenheitsbewältigung stellte der dritte Jugoslawienkrieg innerhalb
eines Jahrhunderts dar. In deren Folge wurde der Kosovo nicht zuletzt unter Aufsicht deutscher Kfor-
Einheiten von SerbInnen, JüdInnen, Sinti und Roma, TürkInnen, sprich: „Nicht-AlbanerInnen“,
gesäubert. Im Zuge der Militarisierung und Europäisierung verfolgt deutsche Außenpolitik zunehmend
auch das Ziel, jene Konsequenzen rückgängig zu machen, die von den Siegermächten und ihren
Verbündeten aus dem deutschen Vernichtungsfeldzug gezogen wurden. Man denke nur an die
Initiative, Tschechiens EU-Beitritt von der Rücknahme der Beneš-Dekrete abhängig zu machen.
Damit begründet, dass die Serben Konzentrationslager hätten, war dieser Krieg ein weiteres Mittel zur
Relativierung der deutschen Vergangenheit. Gleichzeitig wurde dieser Krieg aber auch damit
begründet, dass gerade die Deutschen eine besondere Verantwortung hätten, einen neuen Holocaust zu
verhindern. Damit fand ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik statt. Deutschland
durfte wieder Krieg führen und das vor allem nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Deutschland trat
von nun an als geläutert auf und hat scheinbar aus seiner Geschichte gelernt.
Wenn öffentlich überhaupt noch von den deutschen Taten die Rede ist, wird nicht mehr von Schuld
sondern von Verantwortung geredet. Dies öffnet deutscher Politik Tür und Tor zu zahlreichen
Interventionen in der Weltpolitik bis hin zu einer Forderung eines ständigen Sitzes im
Weltsicherheitsrat. Es ist zu beobachten, dass die deutschen Verbrechen aus ihrem Kontext gerissen
und zunehmend in eine allgemeine, €päische und damit gemeinsame Leidensgeschichte eingereiht
werden.
Was alle HolocaustleugnerInnen und RevanchistInnen der letzten 60 Jahre nicht geschafft hatten,
vollbrachte die rot-grüne Bundesregierung während des Kosovokrieges in nur knapp acht Wochen:
Die Entsorgung der deutschen Vergangenheit. Vorbereitet und flankiert über die Jahre mit
Goldhagendebatte, Wehrmachtsausstellung, und Walsers nationaler Enthemmung für das ganze
Deutschland.
„Wieder“-Vereinigung, Abzug der Alliierten und der rot-grüne Regierungswechsel bewirkten eine
grundsätzliche Neugestaltung der deutschen Außenpolitik. Konnten sich vorherige Bundesregierungen
nicht erlauben, dass deutsche Soldaten dort einzusetzen, wo einst die Wehrmacht wütete, so gilt unter
Rot-Grün, dass gerade Auschwitz die Deutschen mit einer Erfahrung ausstattet, die sie auf
„humanistische“ Interventionen überall auf der Welt verpflichtet.
Deutschland sollte seine Geschichte nicht feiern, sondern beginnen, sie aufzuarbeiten.
Ohne deutschen Tätern zu vergeben.
Lasst uns feiern, wenn w
ir das Konstrukt der Deutschen Nation überwunden haben.
Wir fordern euch auf, mit vielen bunten Aktionen das Fest zu bereichern!
Aktuelle Treffpunkte werden noch bekannt gegeben! Achtet auf Ankündigungen!