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Die Angst ist real”

(Ulla Jelpke)Der Über­fall auf einen schwarzen Deutschen in der Nacht zu Oster­son­ntag beleuchtet schlaglichtar­tig, wie sehr sich die Neon­aziszene in der bran­den­bur­gis­chen Haupt­stadt in den let­zten Jahren bre­it­gemacht hat. Während in den ver­gan­genen Jahren die Zahl rechter Über­fälle in Bran­den­burg gle­ich hoch geblieben ist, gibt es in Pots­dam ein­deutig eine Zunahme. Rund 300 rechte Gewalt­tat­en erfaßt der Vere­in »Opfer­per­spek­tive« jährlich in ganz Bran­den­burg, einige Dutzend davon alleine in Pots­dam. »Jede zweite Gewalt­tat war von Ras­sis­mus motiviert«, erläutert der Verein. 

Neue Qual­ität der Gewalt

Antifa-Grup­pen haben bere­its im ver­gan­genen Jahr darauf hingewiesen, daß sich in der bran­den­bur­gis­chen Haupt­stadt »eine neue Qual­ität neon­azis­tis­ch­er Gewalt« etabliert hat – Polizei und Poli­tik haben das bis­lang ignori­ert. In der Antifa-Broschüre »Nazi-Aktiv­itäten in Pots­dam« heißt es, zwis­chen Kam­er­ad­schaften in Pots­dam und Berlin habe sich eine regel­rechte Aktion­sein­heit entwick­elt. Nach dem Ver­bot zweier Berlin­er Grup­pen – der Kam­er­ad­schaft »Tor« und der »Berlin­er Alter­na­tive Süd-Ost« (BASO) – scheine sich Pots­dam »als neues Hand­lungs­feld für diese Szene her­auszukristallisieren.« Sebas­t­ian Lorenz von der Antifaschis­tis­chen Linken Berlin sieht die zunehmende rechte Gewalt in Pots­dam als Ergeb­nis dieser »Auf­bauar­beit« durch die Berlin­er Naziszene. Diese unter­stütze nicht nur die Nazi­ak­tiv­itäten in der Nach­barstadt, son­dern sei häu­fig auch deren Drahtzieher. Der Neon­azi-Experte Bernd Wag­n­er ver­mutete in einem Inter­view mit der Frank­furter Rund­schau, die Neon­azis woll­ten ger­ade im »geschicht­strächti­gen und promi­nen­ten« Pots­dam »die zivilen Ver­hält­nisse umkrempeln«. 

Im Visi­er der recht­en Schlägertrup­pen sind sowohl Men­schen mit der »falschen« Haut­farbe als auch Jugendliche mit linkem Erschei­n­ungs­bild. Nach Fußball­spie­len, bei Straßen­festen und Musik­fes­ti­vals machen Nazi-Grup­pen immer wieder gezielt Jagd auf Linke. Die Opfer verzicht­en häu­fig darauf, die Straftat­en bei der Polizei anzuzeigen. Der Grund dafür: Zu den Gerichtsver­hand­lun­gen rück­en mitunter bis zu 50 Nazis an, bedro­hen linke Prozeßbeobachter und ver­fol­gen sie nach der Ver­hand­lung. Im Juni 2005 kam es im Amts­gericht Pots­dam gar zu direk­ten Angrif­f­en von Neo­faschis­ten. Dabei wur­den Linke fotografiert, und die Fotos kur­sierten anschließend in so genan­nten Anti-Antifa-Lis­ten. »Die Angst vor Anzeigen ist real«, heißt es bei der Antifa. Zu den­jeni­gen Nazis­chlägern, die in Kam­er­ad­schaften organ­isiert sind, gesellt sich noch ein Umfeld nich­tor­gan­isiert­er Rechter, die sich durch ihre stram­men Kam­er­aden ermutigt fühlen. Antifaschis­ten bericht­en, daß es immer wieder zu spon­ta­nen recht­en Über­grif­f­en komme. 

Vor diesem Hin­ter­grund erscheint die anfängliche Darstel­lung der Staat­san­waltschaft, es han­dle sich bei dem Angriff in der Oster­nacht um einen »Einzelfall«, ver­harm­losend. Paula Schmidt vom ak Antifa Pots­dam erk­lärte gegenüber junge Welt: »Dieser Angriff ist zwar außeror­dentlich bru­tal ver­laufen, schlußendlich ist er aber für uns keine allzu große Über­raschung, weil es schon seit län­gerem eine ganze Rei­he rechter Über­fälle gibt.« Schon in der Ver­gan­gen­heit seien mehrfach gefährliche Waf­fen, auch Schußwaf­fen, einge­set­zt worden. 

Der Staat steckt zurück 

Die Über­nahme der Ermit­tlun­gen durch den Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm kön­nte ein pos­i­tives Zeichen sein, daß der Staat nun Ernst macht mit der Bekämp­fung des Neo­faschis­mus. Tat­säch­lich hat sich drei Tage nach der Tat Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel (CDU) dazu geäußert und sie als »abscheulich und men­schen­ver­ach­t­end« beze­ich­net. Die Bun­desregierung werde, so Merkel, eine »angemessene Antwort« auf die recht­sex­trem­istis­che Her­aus­forderung find­en. Wie diese Antwort aussieht, kon­nte man am sel­ben Tag einem Entwurf des Bun­des­fam­i­lien­min­is­teri­ums ent­nehmen: Die beste­hen­den Pro­gramme gegen Recht­sex­trem­is­mus sollen in Pro­gramme gegen »Extrem­is­mus« umgewid­met wer­den. Das Finanzvol­u­men soll zwar mit 18 Mil­lio­nen Euro sta­bil bleiben, aber nicht mehr nur der Abwehr von Neo­faschis­ten dienen, son­dern auch von linken und islamistis­chen »Extrem­is­ten«. Fak­tisch steckt der Staat im Kampf gegen rechts zurück. Noch ist dieser Plan in der großen Koali­tion umstrit­ten, SPD-Vor­standsmit­glied Niels Annen fordert, auf die Umwid­mung der Mit­tel zu verzicht­en, die Links­frak­tion tritt für ihre Auf­s­tock­ung ein. 

Das Opfer des jüng­sten Nazi-Angriffes, ein 37jähriger deutsch-äthiopis­ch­er Inge­nieur, liegt unter­dessen weit­er­hin im Koma. Bis Redak­tion­ss­chluß hat­te die Polizei nach eige­nen Angaben noch keine heiße Spur zu den Tätern.

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