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(Anti-)Rassismus Law & Order

Die Binde trägt Justitia, wann sie will

Wie kon­nte es passieren, dass die Justi­tia mit der Augen­binde, Ende des 15. Jahrhun­derts einst als Verspot­tung der Blind­heit der Jus­tiz ent­standen, später zum Sym­bol ihrer Unparteilichkeit wurde? Die Binde trägt Justi­tia, wann sie will. In deutsch­er Tra­di­tion legt sie die Binde beson­ders gerne an, wenn es um Fehlver­hal­ten von Staats­be­di­en­steten geht.

So etwa aktuell beim Amts­gericht Pots­dam. Das verurteilte zwei Mit­glieder des Flüchtlingsrates Bran­den­burg wegen übler Nachrede zu Geld­strafen. Sie hat­ten den Neg­a­tivpreis „Denkzettel für struk­turellen und sys­temim­ma­nen­ten Ras­sis­mus“ an das Recht­samt der Stadt Bran­den­burg ver­liehen, aber auch die beson­dere Fehlleis­tung ein­er Mitar­bei­t­erin dieses Recht­samts mit Namen­snen­nung ken­ntlich gemacht.

Diese hat­te, offen­bar den struk­turellen Ras­sis­mus der Behörde inter­nal­isierend, einem afrikanis­chen Flüchtling in einem Rechtsgutacht­en unter­stellt, seine Gehör­losigkeit nur vorzutäuschen — obwohl ihr fachärztliche Bescheini­gun­gen vor­la­gen, die seine Gehör­losigkeit belegten.

Das Amts­gericht Pots­dam urteilte jedoch, die per­son­al­isierte Kri­tik des Flüchtlingsrates an der Mitar­bei­t­erin sei unberechtigt. Der Flüchtlingsrat habe den Wahrheits­be­weis für die Behaup­tung nicht führen kön­nen, die Mitar­bei­t­erin des Recht­samtes habe „absichtlich und bewusst vor­liegende Fak­ten ignori­ert, um Gründe für eine Ablehnung der Aufen­thalt­ser­laub­nis vor­brin­gen zu kön­nen“. Die Beamtin hat­te sich nach ihren Angaben darauf ver­lassen, dass sie sich auf Ein­schätzun­gen ander­er Kol­le­gen der Aus­län­der­be­hörde und der Bun­de­spolizei­di­rek­tion stützen kön­nte. Die Gesam­tak­te habe ihr ohne­hin nicht zur Ver­fü­gung gestanden.

So etwas genügt in Deutsch­land alle­mal: Teilzuständigkeit, blindes Ver­trauen auf andere, Akte nicht da – die gute alte organ­isierte Ver­ant­wor­tungslosigkeit, üblich­es Ver­wal­tung­shan­deln, dessen Auswirkun­gen im Ern­st­fall als Naturkatas­tro­phe darstellt wer­den. Und wenn eine Mitar­bei­t­erin des Recht­samtes auf die Idee kommt, ein Afrikan­er täusche Gehör­losigkeit nur vor – wie kommt man da bloß auf struk­turellen Rassismus?

Genau so funk­tion­iert struk­tureller Ras­sis­mus, sagt der Flüchtlingsrat Bran­den­burg: „Wenn Flüchtlin­gen in Behör­den mit einem grundle­gen­den Mis­strauen begeg­net und vor­ab unter­stellt wird, sie wür­den lügen. Wenn auf Basis dieser Vor­ein­genom­men­heit ver­meintliche Indizien für ver­mutete Falschbe­haup­tun­gen gesam­melt und – sobald sie Bestandteil der Akte sind – unhin­ter­fragt als Fak­ten kol­portiert wer­den, während andere Infor­ma­tio­nen und Belege, die die Angaben der Flüchtlinge bestäti­gen, ignori­ert wer­den. Wenn schließlich auf solchen Grund­la­gen Entschei­dun­gen getrof­fen wer­den, die für Flüchtlinge von exis­ten­zieller Bedeu­tung sind – wie hier die Ver­weigerung des Aufen­thalt­srecht­es und damit die Möglichkeit, ein nor­males Leben zu führen.“

Das Urteil des Amts­gerichts lautete auch, der Ras­sis­musvor­wurf sei „ehrab­schnei­dend“. Und der Behör­den­mi­tar­bei­t­erin liegt viel an ihrer Ehre und der des Staates. Laut Pots­damer neuester Nachricht­en vom 27.3.2012 mah­nte sie sog­ar an, der vom Flüchtlingsrat vergebene Denkzettel­preis müsse generell strafrechtlich über­prüft wer­den. Er sei ein Angriff auf die frei­heitlich demokratis­che Grun­dord­nung und Ver­wal­tungsmi­tar­beit­er kön­nten auf diese Weise bee­in­flusst werden.

Da kön­nte ja jemand auf die Idee kom­men, dass behördliche Monopol an intern­er Bee­in­flus­sung und Lenkung von Behör­den­han­deln öffentlich in Frage zu stellen. Genau das aber will der Flüchtlingsrat weit­er tun. Rechtsmit­tel gegen das Urteil sind bere­its eingelegt.

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