(MAZ, 4.3.) KREMMEN Es ist ihnen Schlimmes widerfahren in Kremmen. Und doch wollen drei
Frauen aus der Ukraine noch einmal an den Ort zurückkehren, an dem sie ihre
Jugend gelassen haben. Anna Kolenko, Lidija Sernova und Maria Slominskaja
waren Zwangsarbeiterinnen in der Munitionsfabrik in Orion.
In mehreren Briefen schildert Anna Kolenko ihre Erinnerungen, erzählt über
ihre schwere Kindheit. Als sie neun Jahre alt war, starb ihr Vater in der
Ukraine. Zwei Jahre später ihre Mutter. Zusammen mit ihrer Schwester hauste
sie in einer Erdhöhle, immer von Hunger geplagt. 1941 wurde ihr Heimatort
Saporosche von den Deutschen okkupiert. Die Menschen wurden aus ihren
Häusern vertrieben, vor allem Jugendliche wurden verschleppt. Anna Kolenko
war 17 und versuchte, sich vor den Deutschen zu verstecken, lief sich die
Füße blutig. Aber es half nichts. Zusammen mit 40 Landsleuten wurde sie in
einen Viehwaggon gepfercht, der nach Deutschland fuhr. Anna Kolenko und die
beiden anderen Frauen landeten in Orion nahe Kremmen. 60 Menschen teilten
sich drei Räume in einer Holzbaracke. Das gesamte Werksgelände war mit
Stacheldraht eingezäunt. Egal ob Sommer oder Winter, abends um sechs wurden
die Baracken verrammelt, Fenster und Türen verschlossen. Entweder herrschte
klirrende Kälte oder unerträgliche Hitze. Und nie ließ der Hunger nach.
Unter strengster Bewachung wurden die Frauen zur Arbeit in die Fabrik
gebracht. Auf dem Weg versuchten die Zwangsarbeiterinnen Gräser zu rupfen
und sie zu essen. Mehr als zwölf Stunden mussten sie schuften, meistens im
Stehen. Mehr als eine Wassersuppe und Brotersatz mit Sägemehl bekamen sie
nicht. Manchmal gelang es den Frauen, ein wenig Schweinefutter zu stehlen.
Die Arbeit mit der Leuchtmunition war sehr gefährlich. Anna Kolenko erinnert
sich an eine Explosion, bei der fünf Mädchen starben. Es gab eine ganze
Reihe von Todesfällen. Viele überlebten die völlige Isolation und die
grausamen Demütigungen nicht. Die Qualen der jungen Frauen hatten erst ein
Ende, als sie am 24. April 1945 von sowjetische Soldaten befreit wurden. Da
war Anna Kolenko gerade 21 Jahre alt.
Im Oktober 2003 lag auf dem Schreibtisch von Bürgermeister Klaus-Jürgen
Sasse ein Brief, der den Absender der 79-jährigen Anna Kolenko trug. Sie
würde gern noch einmal nach Kremmen kommen und besonders der jungen
Generation von ihren damaligen Erlebnissen berichten. Im Rathaus wurden alle
Hebel in Bewegung gesetzt, um diesem Wunsch nachzukommen.
Inzwischen hat sich mit Erika Schulz aus Hohenbruch, Reiner Tietz aus
Sommerfeld und Eckhard Koop aus Kremmen eine Arbeitsgruppe gebildet, die den
Besuch der drei Frauen vom 4. bis 11. Mai vorbereitet. Das Bürgerforum der
Lokalen Agenda hat sich eingeschaltet und Fördermittel beantragt. Die
Stiftung “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft” in Berlin wird 1500 Euro für
den Aufenthalt der drei Frauen in Kremmen bereitstellen. Im Stadthaushalt
sind 4000 Euro für den Besuch eingestellt.
Das Bürgerforum hat trotzdem ein Spendenkonto eingerichtet. Wer etwas für
die Frauen tun möchte, kann sich bei Reiner Tietz unter 033055/7 20 38
melden.