(MAZ, 4.3.) BRANDENBURG Die Motive wirken nahezu irritierend banal. Plattenbaufassaden,
umzäunte Baulücken, Bretterstapel auf Hinterhöfen, ein Parkhaus -
aufgenommen aus einer Perspektive, die weder Fragen stellt noch den allseits
bekannten Szenerien eine spannendere als die gewöhnliche Sicht abgewinnt.
Nichts wird fokussiert, Menschen sind kaum zu sehen, wirken dann seltsam
verloren und wie aus Versehen vom Auge der Kamera mit erfasst. Was also war
hier des Blickes durch den Sucher wert? Worauf will der Fotograf unsere
Aufmerksamkeit lenken?
Erst die sparsamen Notizen neben den 16 Farbtafeln lassen erkennen,
begreifen, schaudern. Ein Orts- und ein Straßenname. Zwei Jahreszahlen, die
Anfang und Ende markieren.
Letzteres kam 1938, überall. Wie eine Welle dringt das Wissen in die Bilder,
füllt aus, was als Lücke und Leere zu erfassen war, macht hier die
Gedenktafel an der Hauswand sichtbar, dort den Davidstern im Mosaikpflaster.
Die Ausstellung “Erinnertes Vergessen”, die derzeit im Foyer des
Brandenburger Theaters zu sehen ist, zeigt ehemalige Standorte jüdischer
Synagogen in Deutschland. Der Braunschweiger Architekt Ulrich Knufinke hat
die größtenteils in der so genannten Reichskristallnacht gebrandschatzten
Bet- und Gotteshäuser im Zuge historischer Recherchen aufgespürt, ihre
einstigen Grundrisse aufgemessen, die Stätten fotografisch dokumentiert.
Erfasst als “kein Bild von etwas, sondern von einem Fehlen, das nur mit dem
Wissen um das Fehlende gefüllt werden kann”, beschreibt Knufinke, was er
sein “fotografisches Dilemma” nennt. Die Bilder brauchten die Verknüpfung
zur eigenen Erinnerung wie der Knoten im Taschentuch. “Man macht sich sein
Bild vom einstigen Geschehen, bildet sich Erinnern ein.” In der Tat
entwickeln die Aufnahmen bei längerer Betrachtung eine immer deutlicher
wahrnehmbare Sprache, bilden den Rahmen für das eigene, verstehbare Bild,
welches plötzlich auch den Brückengang vom histori-schen Bezug ins Hier und
Jetzt eröffnet. Entsetzen verursacht nicht nur das historische Wis-sen um
das mörderische Tun an den Gebäuden, ihren Erbauern und Nutzern, an
jüdischer wie auch der nationalen Kultur. Die Bilder sind schmerzlich bis in
die Gegenwart, weil sie auch zeigen, wie Synagogen nicht nur nicht wieder
aufgebaut, sondern bis heute von der Stadtplanung systematisch ignoriert
beziehungsweise fremdgenutzt wurden. “Zu sehen, wie man nach der
frevelhaften Zerstörung in Deutschland zur Tagesordnung überging, muss
Betroffenheit auslösen”, sagt Peter Macke, Vorsitzender des
Stiftungsbeirates der Begeg-nungsstätte Schloss Gollwitz als Veranstalter
der Expositi-on. Die Vereinnahmung der Orte einstiger Kontemplation für
heutige profane Zwecke nennt Macke sakrilegisch, das so deutlich offenbarte
Sich-Abfinden ungeheuerlich.
Angesichts dieser Ungeheuerlichkeit, vor allem Jugendlichen eine Kultur der
authentischen Begegnung zu eröffnen, ist Ziel der Stiftung Begegnungsstätte
Gollwitz, die ab 2006 im dann sanierten Herrenhaus Wochenseminare für
jüdische und nichtjüdische Jugendliche anbieten wird.
Dazu passt als einziges Hoffnung transportierendes Foto das der
stehengebliebenen Mauer der Brandenburger Synanoge in der Großen
Münzenstraße, die heute den Schulhof einer Grundschule begrenzt. Die Kinder
fehlen, doch man kann ihr Lachen, ihr Spielen fast hören angesichts des
Basketballkorbs, der zu deutlich für Unabsichtlichkeiten den rechten
vorderen Bildrand be-grenzt.
Zur Ausstellung gibt es, pas-send zur ständigen inhaltlichen Wandlung und
Ergänzung, einen Lose-Blatt-Katalog mit einführendem Text und
Schwarz-Weiß-Aufnahmen.