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Die große Säuberung


Die bran­den­bur­gis­che Stadt Belzig will Kurort wer­den. Seit dem 1. Jan­u­ar wird gegen Spuck­en, Alko­hol­genuss und Rauchen in der Öffentlichkeit vorgegangen.

(markus ströh­lein) Er pustet den Zigaret­ten­rauch in die Luft und grinst. »Mir ist das egal. Ich stecke mir auch weit­er­hin mein Kip­pchen an. Die Zigaret­ten­s­tum­mel werfe ich in den Rinnstein und fer­tig.« Der Mann hat die Schul­tern hochge­zo­gen und tip­pelt fröstel­nd von einem Bein auf das andere. Unter der Win­ter­jacke wölbt sich ein beachtlich­er Bauch. Das Gesicht des Frieren­den ist wegen der Kälte schweinchen­rosa ver­färbt. Die Farbe, die seine Nase angenom­men hat, kann aber unmöglich allein von der tiefen Tem­per­atur her­vorgerufen wor­den sein. Diesen roten Ton erhält man nur nach kon­se­quentem und jahre­langem Kon­sum von Spir­i­tu­osen. »Das Trinken, das Rauchen und das Spuck­en wollen sie ver­bi­eten. Und das mit den Hun­de­haufen soll anders wer­den. Die da drin­nen wollen hart durch­greifen«, sagt er und deutet hin­ter sich auf das Rathaus. »Aber so weit ich weiß, soll das ganze erst ab 2007 gelten.« 

Da liegt der Mann falsch. In einem Glaskas­ten, der einige Meter von ihm ent­fer­nt an der Wand des Rathaus­es ange­bracht ist, kann man sich davon überzeu­gen. Neben anderen öffentlichen Bekan­nt­machun­gen hängt dort der Beschluss 267–19/05: »Die Stadtverord­nung beschließt die Ord­nungs­be­hördliche Verord­nung (Stad­tord­nung) zur Aufrechter­hal­tung der öffentlichen Sicher­heit und Ord­nung in der Stadt Belzig. Die Verord­nung tritt am 1.1.2006 in Kraft.« 

Das klingt, als müsse in der bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt der Aus­nah­mezu­s­tand ver­hängt wer­den. Das Geschehen rund um den Rathausvor­platz zeugt jedoch eher vom Gegen­teil. Die Stadt gehört um diese Zeit, am späten Vor­mit­tag, den Rent­nern. Sie betreiben vor pit­toresker Kulisse eine Art Sta­tio­nen­lauf, bei dem die Teil­nehmer in bish­er unbekan­nte Bere­iche der Langsamkeit vorstoßen. Er begin­nt meist mit einem Einkauf beim Met­zger. Von dort geht es mit bedächti­gen Schrit­ten weit­er zum Bäck­er oder in einen anderen kleinen Laden in der Nähe. Unter­wegs tre­f­fen sich ergraute Per­so­n­en, schüt­teln sich die Hände und wün­schen sich nachträglich noch das Beste für das neue Jahr. Hält man den Atem an, hat man manch­mal den Ein­druck, die Welt ste­he still. 

Sicher­heit und Ord­nung scheinen also nicht unbe­d­ingt gefährdet zu sein in dem Ort mit 8 000 Ein­wohn­ern. Was es mit der neuen Stadt­ordnung auf sich hat, erk­lärt Man­fred Wal­lich, der Leit­er des Ord­nungsamts in Belzig: »Wir haben mit dieser Verord­nung die Möglichkeit, die Ver­schmutzun­gen, die in unser­er Stadt verur­sacht wer­den, bess­er zu ahn­den. Ab sofort han­delt es sich dabei um Ord­nungswidrigkeit­en, die mit einem Bußgeld belegt wer­den kön­nen.« So kann es kün­ftig 20 Euro kosten, wenn man auf die Straße spuckt. Wer seinen Hund auf einem Kinder­spielplatz spazieren führt oder an falsch­er Stelle ein Häufchen machen lässt, muss, wenn er erwis­cht wird, zwis­chen 20 und 60 Euro entricht­en. Auf bes­timmten öffentlichen Plätzen zu rauchen, Alko­hol zu trinken oder seine Not­durft zu ver­richt­en, kann mit 50 Euro bestraft werden. 

»Uns geht es aber auf keinen Fall um generelle Ver­bote«, fährt Wal­lich fort. »Die Medi­en haben sich auf den Beschluss gestürzt. Belzig war plöt­zlich ein bran­den­bur­gis­ches Sin­ga­pur. Über­all war vom Spuck­ver­bot die Rede.« Der Mann vom Ord­nungsamt fühlt sich missver­standen. »Wir wollen das Spuck­en nicht völ­lig ver­bi­eten. Nur das Ekel erre­gende Spuck­en in der Öffentlichkeit soll unter­bun­den wer­den. Ein Bren­npunkt in der Stadt ist der Bus­bahn­hof. Dort kommt es häu­fig zu ein­er Konzen­tra­tion von Jugendlichen. Die ste­hen nach der Schule dort, rauchen, trinken und spuck­en den Platz voll. Da wollen wir in Zukun­ft in kol­le­gialer Art und Weise ein­schre­it­en, wenn es nötig ist, mit Bußgeldern. Aber von einem generellen Rauch‑, Trink- und Spuck­ver­bot kann nicht die Rede sein.« 

Das Medi­ene­cho auf den Beschluss, den die Stadtverord­neten­ver­samm­lung Ende Novem­ber gefasst hat, scheint eine große Wirkung bei Wal­lich hin­ter­lassen zu haben. Er ist sichtlich darum bemüht, den Ein­druck zu ver­mei­den, man wolle auf Belzigs Straßen hart durch­greifen. Man könne es gar nicht. Schließlich ver­füge das Ord­nungsamt nur über einen Außen­di­en­st­mi­tar­beit­er und zwei Politessen. Der Fernsehsender Sat.1 habe ange­fragt, ob er die Kon­trol­lkräfte nicht begleit­en könne. Doch da eine Politesse im Schwanger­schaft­surlaub sei, müsse sich der Sender bis zum Früh­ling gedulden. »Dann ist auch der Schnee und der ganze Win­ter­dreck weg. Das sieht dann bess­er aus.« 

Gut ausse­hen soll Belzig. Der Putz am Rathaus und an den umste­hen­den Häusern wirkt so frisch, als hät­ten die Maler erst vor kurzem die Gerüste abge­baut. Die Straßen sind akku­rat gepflastert und blitzsauber. Die Lat­er­nen sind neu. Doch die Plan­er haben sich alle Mühe gegeben, auch die kle­in­ste mod­erne Erschei­n­ung aus dem Stadt­bild zu ver­ban­nen. Alles ist auf alt getrimmt, von der Straßen­beleuch­tung bis zu den Buch­staben an den Fas­saden der Geschäfte. Wo irgend­wo in der Bau­masse Holz ver­steckt war, hat man es frei gekratzt. Fach­w­erk macht sich eben gut. Die über­all ange­bracht­en Weg­weis­er leit­en Suchende nicht ein­fach zum Ortskern, son­dern zur »his­torischen Altstadt«. 

Die Gast­stät­ten haben ihre Küche und ihren Ton angepasst und bieten Ländlich-Deftiges an. Das nach der in Belzig gele­ge­nen Burg Eisen­hardt benan­nte Restau­rant lockt mit einem »Kutsch­er-Teller«. Der örtliche Grieche hat sein Gericht des Tages nicht nach ein­er Insel in der Ägäis benan­nt. Es gibt den »Grill­teller Belzig«. Ein Geschäft, das Turn­schuhe und Freizeit­bek­lei­dung verkauft, hat sich für seinen Namen nicht etwa des Englis­chen bedi­ent. Es heißt »Sport-Sche­une«.

Das Info­café »Der Winkel« passt nicht so recht in die überdi­men­sion­ale his­torisierte Pup­pen­stube. Das Belziger Forum gegen Recht­sex­trem­is­mus und Gewalt betreibt den Laden, der sich in einem kleinen, nicht ren­ovierten Haus befind­et. Er ist ein Anlauf­punkt für die zahlre­ichen Flüchtlinge, die in der Stadt wohnen. Auch Schüler kom­men hier­her. Das Info­café ist eine Bas­tion der Rauch­er. An den bei­den Tis­chen gibt es nie­man­den, der nicht eine Zigarette in der Hand hielte. Der Qualm hat die Gar­di­nen, die Tapete, die Sofas und auch einige der Anwe­senden gel­blich verfärbt. 

Kees Berk­ouw­er sitzt an einem Tisch. Der ältere Mann mit den lan­gen grauen Haaren und der Basken­mütze schüt­telt den Kopf über die Ankündi­gung der Stadtver­wal­tung, in der Öffentlichkeit härter gegen Rauch­er, Trinker und Spuck­er vorzuge­hen. »Was für eine blöde Idee. Als gäbe es nichts Wichtigeres«, kom­men­tiert er die Pläne. Für ihn gibt es dringlichere Dinge. Seit zehn Jahren ist der gebür­tige Nieder­län­der ehre­namtlich­er Aus­län­der­beauf­tragter des Land­kreis­es Pots­dam-Mit­tel­mark. Seine Arbeit beste­ht haupt­säch­lich darin, die Abschiebung von Flüchtlin­gen zu ver­hin­dern. In seinem Amt hat er oft Kon­takt zu den Stad­to­beren. Für die neue Verord­nung hat er eine Erk­lärung parat: »Das ist eine Idee des Bürg­er­meis­ters gewe­sen. Er möchte aus Belzig unbe­d­ingt Bad Belzig machen. Da darf nichts im Stadt­bild stören.« 

Als ein Bohrteam im Jahr 1996 auf eine Quelle mit Ther­mal­wass­er stieß, bejubel­ten die Belziger den Fund beina­he so, als läge das größte Ölfeld der Welt unter ihrer Stadt. Bürg­er­meis­ter Peter Kiep fand damals epochale Worte: »Ich g
laube, das ist der wichtig­ste Tag nach dem Tag der Grün­dung unser­er Stadt Belzig vor 997 Jahren.« Sei­ther arbeit­et man im Rathaus eis­ern daran, die »verträumte Kle­in­stadt zu ein­er ansehn­lichen Kur- und Kreis­stadt zu entwick­eln«, wie in einem Stadt­führer zu lesen ist. Das Kreiskranken­haus wurde aus­ge­baut, der Ortskern saniert, ein Kur­park angelegt und ein Ther­mal­bad errichtet. 

»Steintherme Belzig« heißt das Bad. Es liegt zwei Kilo­me­ter außer­halb und wirkt mit seinen großen, schwarzen Kup­peln und den dampfend­en Schloten in der ver­lasse­nen Win­ter­land­schaft wie eine Raum­sta­tion. Geboten wer­den die Möglichkeit­en zur kör­per­lichen Ertüch­ti­gung und Entspan­nung, die man aus solchen Ein­rich­tun­gen ken­nt. Allerd­ings haben die Mach­er die banalen Dinge wie den Gang in die Sauna, die Mas­sage oder das Bad im Sole- oder Schwimm­beck­en unter großzügigem Verzicht auf orthografis­che Gepflo­gen­heit­en in einen eigen­tüm­lichen Well­ness­jar­gon ver­packt. Die Besuch­er kön­nen sich Tick­ets für ver­schiedene Bere­iche wie »Med­i­Fit«, »BadeWelt«, »Vital­bad« oder »Erleb­nis­Pas­sage« kaufen. 

Ältere Leute und Fam­i­lien mit kleinen Kindern stellen den Großteil der Gäste. Diese Kom­bi­na­tion hat ihre Tück­en. Ein Rent­ner sitzt auf einem Sofa, isst eine Stulle, um sich nach dem Schwim­men zu stärken, und beschw­ert sich bei sein­er Frau über Kinder, die die Frech­heit besessen haben, von der Seite ins Beck­en zu springen. 

Vielle­icht wer­den sich die Belziger Stadtverord­neten auch dieser jün­geren Prob­lem­gruppe irgend­wann annehmen. Die Unruh­es­tifter, denen man zurzeit zu Leibe rück­en möchte, tre­f­fen sich am Bus­bahn­hof. Auf dem grauen Platz ste­hen einige Warte­häuschen. Gegenüber befind­en sich zwei Super­märk­te und ein Imbiss. An einem Toi­let­ten­häus­chen haben Nach­wuchssprayer ihre Fer­tigkeit­en ausprobiert. 

Die Schule ist aus. Kinder und Jugendliche aus dem Gym­na­si­um und der Gesamtschule bevölk­ern den Bus­bahn­hof. Von hier aus fahren sie nach Hause in umliegende Ortschaften wie Brück, Baitz oder Ragösen. Einige Teenag­er rauchen. Andere genehmi­gen sich ein Feier­abend­bier. Und gespuckt wird auch. Manche scheinen tat­säch­lich an ein­er Über­funk­tion der Spe­ichel­drüsen zu lei­den, so oft beu­gen sie sich nach vorne und son­dern Flüs­sigkeit auf den Beton ab. 

Das ver­schan­delt den Platz nicht son­der­lich. Der ist ohne­hin hässlich und grau. Hier und da liegen Schnee­häufchen und ver­mis­chen sich langsam mit dem Dreck der Straße. Die Papier­reste der Silvester­böller weichen in der Feuchtigkeit zu ein­er schmieri­gen Masse auf. 

Den Kids ist es egal, dass der Ort unansehn­lich ist. Die Schule ist aus. Der Tag ist gerettet. Von den Diszi­plin­ierungs­maß­nah­men, die man im Rathaus aus­ge­heckt hat, haben sie nichts gehört. Ein Mäd­chen kommt sich ertappt vor: »Wenn ich hier nicht mehr rauchen soll, müssen die doch erst mal ein Ver­botss­child hier auf­stellen!« Nach­dem ich ihr ver­sichert habe, dass ich wed­er zum Ord­nungsamt gehöre, noch ein Bußgeld von ihr kassieren möchte, nimmt sie einen erle­ichterten Zug von ihrer Zigarette. Ein Junge neben ihr nippt von seinem Bier. Auf die Frage, ob er bere­it wäre, sich fotografieren zu lassen, winkt er ab: »Lieber nicht. Ich darf eigentlich noch keinen Alko­hol trinken. Wenn meine Mut­ter das erfährt, gibt es Ärger.« 

Dass Min­der­jährige rauchen und trinken, sorgt bei den Belzigern nicht für Aufre­gung. Die man­gel­nde Sauberkeit ist es. »Wie es am Bus­bahn­hof aussieht, ist eine Schande. Deswe­gen finde ich den Beschluss des Rathaus­es gut.« Die Mei­n­ung unter den vier älteren Leuten ist ein­hel­lig. Ein Mann pflichtet der Frau bei: »Ja, zum Bus­bahn­hof sollen sie die Politessen öfter mal schick­en. Ein großes Prob­lem sind aber auch die Hun­de­haufen.« Es fol­gt eine län­gere Aus­führung über die besten Meth­o­d­en, Hund­e­dreck zu beseit­i­gen, die mit dem Satz endet: »Der Schmutz passt nicht zu uns. Wir wollen Bad Belzig werden.« 

In der Straße, die zum Bahn­hof führt, haben die Anwohn­er ihren Beitrag zur Ver­schönerung der Stadt geleis­tet. In den Fen­stern hängt, ste­ht, glitzert und blinkt immer noch Wei­h­nachtss­chmuck in allen Vari­a­tio­nen. Zwei Nach­barn liefern sich einen Wettstre­it, wer den größeren Nussknack­er zur Schau stellt. Eine Bier­flasche, die am mor­gen noch auf dem Bürg­er­steig lag, ist ver­schwun­den. Ein ord­nungslieben­der Belziger war wachsam. 

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