(Berliner Zeitung, Andrea Beyerlein, 18.5.) POTSDAM. Brandenburgs Justiz gerät im beginnenden Wahlkampf zwischen die Fronten. Während Justizministerin Barbara Richstein (CDU) wegen der Zustände in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg/Havel unter Druck steht, mühen sich führende CDU-Politiker, Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg zu
demontieren. Partei-Vize Sven Petke legte Rautenberg, Mitglied der SPD, sogar den Rücktritt nahe: “Der kümmert sich mehr um Politik als um die Strafverfolgung.”
Diese Linie hatte erst am Freitag CDU-Chef Jörg Schönbohm vorgegeben. Offen verdächtigte er die Staatsanwaltschaft, Quelle von Indiskretionen über den jetzt publik gewordenen Waffen-Fund in der JVA Brandenburg zu sein. Dabei
ist die Zahl der potenziellen Quellen groß: Zu der im März entdeckten Schusswaffe sind bereits Häftlinge vernommen worden. Der Anwalt eines Beschuldigten hat Akteneinsicht genommen. Doch Schönbohm klagte: “In keinem
anderen Land gibt es eine solche Summe von Indiskretionen aus der Staatsanwaltschaft wie in Brandenburg.”
Da kam auch Schönbohms Ärger über die V‑Mann-Affäre wieder hoch, in der sein Verfassungsschutz eine denkbar schlechte Figur abgegeben hatte. Besonders erbost hatte es den Minister, dass Generalstaatsanwalt Rautenberg ihm Ende
2002 öffentlich widersprach, indem er darauf beharrte, dass auch V‑Leute keine Straftaten begehen dürften. Der Innenminister sieht das anders.
Seit der V‑Mann-Affäre reagiert die CDU allergisch auf den
Generalstaatsanwalt. Petke: “Ohne den Schutz der SPD wäre Rautenberg weg vom Fenster.”
Die Justizministerin wollte am Montag zu der Rücktrittsforderung nur so viel sagen: “Ich bin überrascht, wie groß die Ablehnung Rautenbergs bei den Abgeordneten ist.” Das gegenseitige Misstrauen geht so tief, dass zumindest in Justizkreisen schon gemutmaßt wird, die gegen Rautenberg erhobenen Vorwürfe in der Trennungsgeldaffäre seien lanciert worden. Bislang hat er vom Ministerium nach eigenen Angaben noch keinen Bescheid über die Rückforderung zu viel gezahlter Beihilfen bekommen.
Der Generalstaatsanwalt ist in Brandenburg politischer Beamter und wird vom Kabinett berufen und entlassen. Dort hat die SPD die Mehrheit. Und die steht klar zu Rautenberg: “Er hat unser volles Vertrauen”, sagte Fraktionschef
Gunter Fritsch. Freilich hatte auch der frühere SPD-Vorsitzende Steffen Reiche dem 1996 berufenen Rautenberg schon einmal empfohlen, sich einen neuen Job zu suchen. Damals waren viele in der SPD über die Ermittlungen
gegen Regine Hildebrandts Sozialministerium empört. Die CDU lobte seinerzeit die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft.
SPD stellt sich hinter Generalstaatsanwalt
Rautenberg weist Rücktrittsforderung der CDU ab
(LR, 18.5.) Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg wird sein Amt nicht aufgeben, wie es
CDU-Vize-Parteichef Sven Petke am Wochenende gefordert hat. “Ich bin Beamter
und kann das gar nicht”, sagte Rautenberg gestern der RUNDSCHAU. Nur das
Kabinett könne ihn entlassen. Doch Regierungschef Matthias Platzeck und die
SPD-Minister, die die Mehrheit stellen, denken überhaupt nicht daran.
Rautenberg, so erklärte die SPD gestern, “genießt unser volles Vertrauen”.
Und: Die CDU wolle mit ihrer Forderung nur vom Gefängnis-Skandal ablenken,
für den CDU-Justizministerin Barbara Richstein die Verantwortung trage.
So wird Rautenberg im Amt bleiben, zumindest bis zur Landtagswahl in vier
Monaten. Was danach kommt, hängt vom Ausgang der Wahlen ab. Intern machen
Hardliner in der CDU allerdings keinen Hehl daraus: “Rautenberg muss weg! Je
eher, desto besser!”
Das Verhältnis zwischen CDU-Landeschef Jörg Schönbohm und dem
Generalstaatsanwalt mit SPD-Parteibuch gilt schon seit längerem als gestört.
Schönbohm hat nicht vergessen, dass Rautenberg ihm in der V‑Mann-Affäre in
den Rücken fiel: V‑Leute des Verfassungsschutzes dürften grundsätzlich keine
Straftaten begehen, korrigierte der Generalstaatsanwalt damals öffentlich
den Innenminister. Damit nicht genug, ließ sich Rautenberg seinen Standpunkt
von den Generalstaatsanwälten anderer Bundesländer bestätigen und rieb
Schönbohm das gemeinsame Votum unter die Nase.
Zusätzlich belastet wurde das Verhältnis durch zahlreiche Indiskretionen
unter anderem in der V‑Mann-Affäre, für die Schönbohm die Staatsanwaltschaft
verantwortlich macht. Rautenberg bestreitet das. Auch Einzelheiten über die
Ermittlungen wegen eines Waffenfundes in der berüchtigten
Justizvollzugsanstalt Brandenburg seien entgegen den Vermutungen Schönbohms
nicht durch die Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gelangt.
Das Klima zwischen der Vize CDU-Chefin und Justizministerin Barbara
Richstein und Rautenberg ist von dem Dauer-Konflikt nicht unbeeinflusst
geblieben. Gestern reagierte Richstein auf die Rücktrittsforderungen Petkes,
der Rautenberg “schwerwiegende Indiskretionen” vorwirft, mit dem
distanzierten Satz: “Ich bin überrascht, wie groß die Ablehnung von
Rautenberg bei Landtagsabgeordneten ist.”
CDU-Politiker bestätigen “eine gewisse Verärgerung” über Rautenberg in der
Union. Bei manchen Abgeordneten scheine sich der Eindruck zu verfestigen,
dass sich Rautenberg gegenüber der Ministerin nicht loyal verhalte, sagt
etwa Fraktionsgeschäftsführer Dierk Homeyer. Andere CDU-Politiker erklären,
dass Rautenberg “Richstein lächerlich gemacht” habe. Ver-wiesen wird auf
eine Pressemitteilung des Generalstaatsanwalts vom 29. April. Darin zeigte
er sich “überrascht” vom Agieren der Ministerin in der Trennungsgeld-Affäre
und erinnerte sie “an die sich aus der Fürsorgepflicht des Dienstherren
ergebende rechtsstaatliche Verfahrensweise”. Richstein hatte zuvor
angekündigt, dass sie Rautenberg nunmehr zur Rückzahlung zuviel gezahlten
Trennungsgeldes bewegen wolle. Rautenberg will jedoch erst eine weitere
Überpr& uuml;fung durch den Rechnungshof abwarten und dringt hartnäckig auf
einen offiziellen Bescheid.
Inzwischen haben sich die Fronten weiter verfestigt: Im Umfeld Schönbohms
wird Rautenberg “Sabotage und Blockade” vorgeworfen. Und er versuche, die
Staatsanwaltschaft im Wahlkampf gegen die CDU aufzubringen. Umgekehrt hatte
Rautenberg die Befürchtung geäußert, dass die Staatsanwaltschaft in den
Wahlkampf hineingezogen werde. Rautenberg will die Eskalation nicht
kommentieren. Doch sieht er die Zeit gekommen, “wo sich das Kabinett damit
befassen muss”. Denn: “Die Angriffe müssen aufhören.”