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Die Rechten beherrschen das Stadtbild”

Spätestens seit Mitte der 90er- Jahre gilt Witt­stock an der Dosse als eines der übel­sten Zen­tren braunen Ter­rors und Organ­isierung in Bran­den­burg. Die Liste der recht­en Über­griffe, Demos, Pro­pa­gan­dade­lik­te, der ver­harm­losenden State­ments und der halb­herzi­gen Beteuerun­gen seit­ens der Stadt ist lang. Seit dem Mord an dem 24-jähri­gen Kajrat B. macht Witt­stock erneut Schlagzeilen. Wir sprachen über die Sit­u­a­tion in Witt­stock und den Mord an dem Rus­s­land­deutschen mit Dominique John von der Opfer­per­spek­tive Brandenburg. 

ak: Am 4. Mai wurde Kajrat B. und sein Fre­und Max Opfer eines ras­sis­tis­chen Angriffs. Bei­de sind rus­s­land­deutsche Aussiedler. Wie ist die Sit­u­a­tion der Rus­s­land­deutschen in Witt­stock und Umgebung? 

Dominique John: Die rus­s­land­deutsche Com­mu­ni­ty ste­ht in Witt­stock mas­siv unter Druck. Viele wollen weg. Es gibt keinen einzi­gen öffentlichen Ort, an dem sich Aussiedler angst­frei tre­f­fen kön­nen. Der einzige Ort, wo Rus­s­land­deutsche zusam­men­tr­e­f­fen, ist der oblig­a­torische Sprachkurs. Jede Fam­i­lie, zu der wir bish­er Kon­takt aufgenom­men haben, berichtete über ras­sis­tis­che Beschimp­fun­gen oder gar Angriffe auf der Straße, in den Wohn­blocks und auch in den Schulen. Aus Angst weigern sich Kinder zum Teil in die Schule zu gehen. Ein ganz großes Prob­lem ist auch die Sit­u­a­tion im Öffentlichen Nahverkehr, wo immer wieder Rus­s­land­deutsche angemacht wer­den. Die Lage ist so zuge­spitzt, dass es sog­ar Über­legun­gen bei der Polizei gibt, die Busse zu begleiten.
Die Fam­i­lie von Kajrat ist in einem Dorf bei Witt­stock unterge­bracht, in dem bere­its im let­zten Jahr eine rus­s­land­deutsche Aussiedler­fam­i­lie ange­grif­f­en wurde. Jugendliche hat­ten damals die fünf Brüder der Fam­i­lie auf dem Mark­t­platz des Dor­fes schw­er zusam­mengeschla­gen. Als wir Anfang des Jahres erfahren haben, dass in dem Dorf erneut zwei Aussiedler­fam­i­lien unterge­bracht wur­den, haben wir den Kon­takt zu diesen Fam­i­lien gesucht. Einige Wochen später hat sich dann der Brud­er von Kajrat bei uns gemeldet. Er war von Nazis angepö­belt wor­den. Die per Mobil­tele­fon hinzugerufene Polizei hat sich anschließend geweigert eine Anzeige aufzunehmen. Erst mit unser­er Unter­stützung hat die Polizei am 3. Mai dann doch eine Anzeige wegen Nöti­gung und Belei­di­gung angenom­men. Am näch­sten Abend passierte dann der Angriff auf Kajrat und seinen Fre­und in einem Club in Wittstock. 

Was ist dort passiert?

Es han­delt sich um einen Ver­anstal­tung­sort, wo pri­vat Feten ver­anstal­tet wer­den kön­nen. Als die bei­den dort auf­taucht­en, haben sie rel­a­tiv schnell gemerkt, dass sie am “falschen Ort” waren. Sie über­legten, wie sie aus der Sit­u­a­tion am besten her­auskom­men, und entsch­ieden sich dafür im Hin­ter­grund zu bleiben und abzuwarten, bis das Gros der Leute gegan­gen ist. Als die Fete am abklin­gen war, sahen sie den recht­en Zeit­punkt gekom­men. Auf dem Weg nach draußen wur­den sie jedoch plöt­zlich von hin­ten ange­grif­f­en. Es ist bekan­nt, dass min­destens drei Leuten auf sie einge­treten haben. Ein­er der Angreifer hat dann einen 25 Kilo­gramm schw­eren Feld­stein genom­men, ihn hochgestemmt und Kajrat auf die Brust gewor­fen. Nach fast drei­wöchigem Aufen­thalt auf der Inten­sivs­ta­tion ist Kajrat an seinen inneren Ver­let­zun­gen gestorben. 

Mit­tler­weile hat die Staat­san­waltschaft drei Per­so­n­en festgenom­men. Wer sind die Täter?

Die Staat­san­waltschaft hat drei Haft­be­fehle wegen des Ver­dachts des gemein­schaftlichen Totschlags erlassen. Sie richt­en sich, wie wir aus Pressemit­teilun­gen wis­sen, gegen einen Bun­deswehrsol­dat­en (20), einen Arbeit­slosen (21) und einen Mau­r­er-Lehrling (20). Der Sol­dat war bere­its kurz nach dem Angriff festgenom­men wor­den. Die bei­den anderen wur­den nach Zeu­ge­naus­sagen gefasst. Die Staat­san­waltschaft spricht davon, dass die drei bis­lang nicht bei Aufmärschen der Nazis oder ähn­lichem aufge­fall­en seien, auch gebe es keine Hin­weise, dass sie der organ­isierten Nazi-Szene ange­hören. Allerd­ings scheint auch die Staat­san­waltschaft Hin­weise auf einen ras­sis­tis­chen Hin­ter­grund der Tat zu haben, zumin­d­est ermit­telt sie auch in Rich­tung ein­er “frem­den­feindlichen Moti­va­tion” der Täter. Davon müssen auch wir im Moment aus­ge­hen und übri­gens ist dies auch die Überzeu­gung der Rus­s­land­deutschen in Wittstock.
Es gibt hier nicht nur eine straff organ­isierte Naziszene, der dreißig bis vierzig Leute zuge­ord­net wer­den und die in den let­zten Jahren zahlre­iche Demon­stra­tio­nen organ­isiert hat. Für das, was man als rechte kul­turelle Hege­monie beze­ich­net, ist Witt­stock ein anschaulich­es und extremes Beispiel. Eine linke, alter­na­tive oder wenig­stens aus­drück­lich nicht-rechte Jugend­kul­tur gibt es in der Stadt nicht. Die Recht­en beherrschen — selb­st für Bran­den­burg­er Ver­hält­nisse — in einem erschreck­enden Aus­maß das Stadtbild. 

Gab es irgendwelche Reak­tio­nen in Witt­stock auf den Mord?

Es gab am Anfang eine große Betrof­fen­heit. Dies gilt vor allem für die Per­so­n­en, die sich in einem Bünd­nis engagieren, das sich “Bünd­nis für ein Witt­stock ohne Gewalt” nen­nt. Dieser Zusam­men­hang existiert seit Novem­ber let­zten Jahres und es haben sich hier Leute zusam­men gefun­den, die sich mit der Prob­lematik von Recht­sex­trem­is­mus und der recht­en kul­turellen Hege­monie in Witt­stock auseinan­der set­zen wollen. Nach dem Mord an Kajrat begin­nt nun langsam auch das “Bünd­nis”, in dem Vertreter der Stadt, der Kirchen und Einzelper­so­n­en zusam­me­nar­beit­en, über die Sit­u­a­tion der Rus­s­land­deutschen nachzu­denken. Zuvor hat­te man hier die Rus­s­land­deutschen nicht als von ras­sis­tis­chen Angrif­f­en Betrof­fene wahrgenom­men. Dass hängt wohl auch damit zusam­men, dass Rus­s­land­deutsche als eine gesellschaftliche Gruppe ange­se­hen wer­den, um die sich — nach unserem Dafürhal­ten — fast so etwas wie ein Mythos rankt: Es scheint all­ge­mein angenom­men zu wer­den, dass Rus­s­land­deutsche gut organ­isiert, schlagfer­tig und vor allem in der Lage sind zurück­zuschla­gen. Es sei mal dahingestellt, wie diese Zuschrei­bun­gen zu Stande kom­men. Klar ist nur, dass die Hand­lun­gen der Akteure in der Stadt durch diese Bilder stark bee­in­flusst sind. Das gilt übri­gens auch für die Presse, in der immer wieder von Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen gewalt­bere­it­en Jugend­grup­pen gesprochen wird. Unsere Erfahrun­gen mit den Opfern dieser Ver­hält­nisse zeigen jedoch, dass eine solche Vorstel­lung die Real­ität vol­lkom­men verken­nt. Die Gewalt geht ein­deutig von Rechts aus. Und dies ver­suchen wir jet­zt den Akteuren in der Stadt zu vermitteln. 

Was kann die Opfer­per­spek­tive gegen diese falsche Zuschrei­bung tun?

Unser Ansatz ist ein poli­tis­ch­er Ansatz. Die Opfer­per­spek­tive betreut Men­schen, die Opfer recht­sex­tremer oder ras­sis­tis­ch­er Gewalt wur­den. Dabei ist unser Name Pro­gramm: Wir wollen in der öffentlichen Diskus­sion die Per­spek­tive der Opfer stärk­er in den Vorder­grund rück­en. Wir machen den Betrof­fe­nen prak­tis­che Ange­bote, die von Hil­fe in rechtlichen Fragestel­lun­gen und der Unter­stützung bei Behör­dengän­gen über die Ver­mit­tlung von psy­chother­a­peutis­ch­er Hil­fe bis hin zur Begleitung bei Gerichtsver­fahren reicht. Gle­ichzeit­ig bemühen wir uns aber auch, lokale Ini­tia­tiv­en gegen Rechts zu unter­stützen und zu vernetzen.

In Witt­stock haben wir ver­sucht, diesen Ansatz präven­tiv umzuset­zen, denn es war abse­hbar, dass es zu erneuten Angrif­f­en kom­men würde. Wir woll­ten nicht erst aktiv wer­den, wenn etwas passiert ist, son­dern schon vorher Kon­takt zu den Men­schen aufzubauen. Deshalb haben wir schon im Vor­feld Vertretern der Stadt und von gesellschaftlichen Grup­pen auf die Sit­u­a­tion der Rus­s­land­deutschen aufmerk­sam gemacht. Das Konzept ist lei­der nur ein Stück weit aufgegangen. 

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