Kommunalparlamente der Region gedenken in diesen Tagen des 60. Jahrestages
des Kriegsendes und der Befreiung von der Naziherrschaft. Im
Elbe-Elster-Kreis ist das heute der Fall. Zwei DVU-Abgeordnete hatten
versucht, das Thema der Feierstunde zu verändern. In geheimer Abstimmung
hatten sich fünf Abgeordnete anderer Fraktionen auf ihre Seite geschlagen.
Das sorgt für Unruhe.
Im Herbst hatte Frank Werner, CDU-Fraktionschef im Elbe-Elster-Kreis und
Landtagsabgeordneter, noch gelassen auf die Frage nach dem richtigen Umgang
mit der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) reagiert. «Die beiden
DVU-Leute im Kreistag sind ruhig und machen keine Probleme» , sagte Werner
damals. Diese Gelassenheit ist seit drei Wochen vorbei. Da stellte die DVU
im Elbe-Elster-Kreistag zum ersten Mal einen eigenen Antrag und ließ darüber
geheim abstimmen.
Anlass war ein von der SPD unterstützter Antrag der PDS, eine Feierstunde
zum «60. Jahrestag der Befreiung» zu begehen. Begründet wurde das auch mit
Bezug auf die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker
vor zehn Jahren, der den 8. Mai als Tag der Befreiung von der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bezeichnet hatte. Außerdem wurde
auf «rechte Aktivitäten, insbesondere von DVU und NPD» und das «Relativieren
von Auschwitz und Völkermord» verwiesen.
Während dieser Antrag im Kreisausschuss besprochen wurde, überraschte die
DVU zur nächsten Kreistagssitzung zwei Wochen später mit einem
Änderungsantrag als «Tischvorlage» : Es solle «aller Opfer von Krieg und
Vertreibung» anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges gedacht werden. In
der Begründung der DVU ist von Befreiung nur in Bezug auf KZ-Häftlinge,
alliierte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter die Rede. Die Deutschen kommen
darin vor allem als Opfer vor. Die Rechtsradikalen bekamen für ihren Antrag
fünf Stimmen aus anderen Parteien. Nur ein Abgeordneter der CDU, der mit der
DVU gestimmt hatte, offenbarte sich danach in geheimer Sitzung. Die anderen
vier schweigen beharrlich bis heute.
Hochburg Südbrandenburg
Der Südrand Brandenburgs gilt seit Jahren als Hochburg der DVU. In einigen
Orten im Elbe-Elster-Land erhielt sie bei der Landtagswahl im September 25
Prozent der Stimmen. «Die Abstimmung im Kreistag hat mich nicht überrascht,
hier in der Gegend gibt es viele, die mit der DVU gut können» , sagt Maria
gr. Darrelmann, parteilose Chefin der Fraktion Unabhängige
Wählergemeinschaft/Bündnis 90 im Elbe-Elster-Kreis. «Die wollten zeigen, es
denken auch andere so wie sie» , vermutete Landrat Klaus Richter (SPD). Wer
den PDS-Antrag nicht mittragen wollte, hätte sich der Stimme enthalten
können, sagt er: «Die Zustimmung für den anderen Antrag war bewusst.»
Versuch der Relativierung
Der Vorstoß im Elbe-Elster-Kreis war nicht das erste Mal, dass die DVU
versucht, das Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes durch Verbindung
mit Unrecht und Leid unter russischer Besatzung zu relativieren. Im Januar
erhielt die Rechtsaußenpartei in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
Hausverbot, weil sie bei einer Gedenkfeier anlässlich der Befreiung von
Auschwitz auch an die «Gemordeten des Nachkriegs-KZ» in Sachsenhausen
erinnern wollte. Ein Kranz der DVU-Landtagsfraktion, auf dem nur Namen
deutscher Nachkriegsopfer des russischen Internierungslagers in
Sachsenhausen standen, wurde entfernt.
Die Partei verteidigt auch die sächsischen NPD-Abgeordneten, die den
alliierten Bombenangriff auf Dresden als «Bomben-Holocaust» bezeichnet und
damit auf eine Ebene mit der systematischen Judenvernichtung durch das
Naziregime gestellt hatten. Bei einem Aufmarsch von Rechtsextremisten am 13.
Februar in Dresden gingen DVU- und NPD-Spitzenfunktionäre gemeinsam in der
ersten Reihe. Bei mehreren geheimen Abstimmungen im sächsischen Landtag
hatte die NPD in den vergangenen Monaten ebenfalls mehr Stimmen bekommen,
als sie Abgeordnete hat.
Ähnliches geschah vorigen Donnerstag im Brandenburger Landtag. Beim Versuch,
einen ihrer Abgeordneten in der Parlamentarischen Kontrollkommission für den
Verfassungsschutz unterzubringen, erhielt die DVU in geheimer Abstimmung
auch hier zwei Stimmen aus anderen Parteien.
Im Elbe-Elster-Kreis versicherten nach der Abstimmung über den DVU-Antrag
alle Fraktionen außer der CDU/FDP , dass die zusätzlichen Stimmen nicht aus
ihren Reihen gekommen seien. PDS-Fraktionschef Helmut Andrack beklagte
außerdem, dass bei der anschließenden offenen Abstimmung über den PDS-Antrag
auch diejenigen die Hand hoben, die vorher geheim für den Änderungsantrag
der Rechtsextremen gestimmt hatten: «Diese Feigheit macht schon betroffen.»
Norbert Schulze, einer der beiden DVU-Abgeordneten im Elbe-Elster-Kreis und
seit Herbst auch im Brandenburger Landtag, findet erst keine Zeit, mit der
RUNDSCHAU zu sprechen. Später sagt er in einem Telefonat, er habe bei dem
Antrag im Kreistag an die von russischen Soldaten vergewaltigten Frauen und
getöteten Kinder gedacht. Über die Zeit vor 1945 will er nicht so gern
reden: «Das sollte man den Historikern überlassen.» Weitere Nachfragen
blockt er ab, indem er ein weiteres Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt in
Aussicht stellt. «Ich habe jetzt einen Termin» sagt er dann und legt auf.
Kreistagsvorsitzender Bernd Heinke (CDU) sagt, er habe der DVU noch
versucht, ihren Antrag auszureden. Doch sein Hinweis darauf, dass man das,
was Hitler gemacht habe, nicht mit anderem Unrecht vermischen könne, habe
nichts bewirkt: «Die haben auf ihrem Antrag bestanden.» Dass sie dafür auch
fünf Stimmen aus anderen Parteien bekommen haben, ist für Heinke ein klarer
Tabubruch. «Die werden das bestimmt wieder probieren» , sagt er.
Das befürchtet auch CDU-Fraktionschef Frank Werner. «Die DVU-Leute sind doch
vor Lachen nicht in den Schlaf gekommen über diesen Erfolg» , ärgert er
sich. Derjenige aus den eigenen Reihen, der dabei war, habe das später damit
erklärt, dass ein Familienangehöriger von ihm in einem russischen Lager
gesessen habe. Noch mal, so habe der Mann seiner Fraktion versichert, würde
er jedoch nicht für einen DVU-Antrag stimmen.
Umgang mit Rechtsextremismus
Die DVU, so Werner, habe eine Überrumpelungstaktik genutzt und ihren Antrag
geschickt formuliert. Dass es auch Unrecht gegenüber Deutschen zum
Kriegsende gegeben hat, könne man ja nicht völlig ausblenden. «Ich will
nichts beschönigen, aber es war eine ungeschickte und unglückliche
Situation» , fasst er rückblickend zusammen. Doch noch mal dürfe es nicht
passieren, dass ein Antrag der DVU Stimmen aus anderen Parteien bekommt:
«Nächstes Mal kann keiner sagen, er sei nicht gewarnt gewesen.»
Auch Dieter Kestin, Chef der sechsköpfigen Fraktion
Landwirtschaft/Umwelt/Natur, rechnet damit, dass die DVU wieder einen
solchen Vorstoß unternimmt: «Das beunruhigt uns schon, aber wir werden uns
darauf einrichten müssen» . Die bisherige Ruhe sei trügerisch gewesen.
Die SPD hat inzwischen im Elbe-Elster-Kreistag eine umfangreiche
Vereinbarung zum Umgang mit Rechtsextremismus vorgelegt, die von allen
Fraktionen außer der CDU/FDP unterzeichnet wurde. Christdemokratenchef Frank
Werner kritisiert das Papier als zu umfangreich und sperrig. Die Fraktion
will nun eine eigene, deutlich kürzere Erklärung vorlegen. Eine Einigung ist
nicht in Sicht.