(Inforiot) Zu diesem Text ist inzwischen ein zweiter Teil erschienen, der weiteres Material zur rechten Szene in der Region Uckermark enthält.
Zum vereitelten Nazianschlag in München: Die Täter stammen aus alten Brandenburger Zusammenhängen
Nach den eher zufälligen Sprengstofffunden in München und den bisher erfolgten Ermittlungen und Verhaftungen ist klar, der Hauptverdächtige Martin Wiese (27) stammt ursprünglich aus Anklam in Mecklenburg/Vorpommern. Dort war er einige Zeit im Kameradschaftsbund Anklam aktiv, den es auch heute noch gibt. Vor etwa drei Jahren ging er nach München. Dort wohnte er mit Alexander M. zusammen, der aus dem Brandenburgischen Luckenwalde stammt. Bei diesem wurde auch der genannte Sprengstoff gefunden.
Sprengstoff und Zünder kamen — soviel scheint inzwischen klar — von drei Männern aus der Uckermark. Gleich in der ersten Verhaftungsrunde wurde Andreas J. (37) aus Menkin festgenommen, nach unseren Recherchen ein langjähriger Freund von Martin W. Inzwischen sind zwei weitere Lieferanten bekannt: Marcel K. (24) aus Brüssow und Stefan Z. (24) aus Wollschow. Beide sitzen entgegen anders lautender Berichte ebenfalls in Untersuchungshaft.
Als wir die ersten Informationen zu diesem Fall hörten, wurden wir aus unterschiedlichen Gründen aufmerksam:
· Auffällig ist die räumliche Nähe der Herkunft aller genannten Verdächtigen. Brüssow, Menkin und Wollschow liegen in unmittelbarer Nachbarschaft.
· Aus früheren Recherchen ist uns diese Region im Norden der Uckermark als ein Gebiet bekannt, das zwar kaum als ein Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten öffentlich wurde, es aber in geradezu symbolischer Art und Weise ist.
· Viele Ereignisse, Gewalttaten und Strukturen deuten aus eine sehr lange zurückreichende und intensive Zusammenarbeit von RechtsextremistInnen aus dem Norden Brandenburgs und aus Mecklenburg/ Vorpommern hin.
Unserer Meinung nach ist die Spur in die Uckermark nicht zufällig. RechtsextremistÍnnen aus der Region wollten im Westen eigentlich nur das konsequent fortsetzen, was sie hier fast schon alltäglich getan haben. Für die Verbindung zwischen RechtsextremistInnen aus Mecklenburg/Vorpommern, auch aus Anklam und der Uckermark gibt es eine Menge Indizien:
· Die gesamte Region um die Kleinstadt Brüssow war viele Jahre, zum Teil schon in DDR- Zeiten ein Zentrum rechtsextremer Aktivitäten. Davon zeugen viele Gewalttaten, von denen eine Auswahl aus den letzten Jahren unten aufgeführt sind. Dabei war die schlimmste Zeit sicher eher Mitte der 90er Jahre. Damals mussten als Zugezogene in Klausthal, Hammelstall und Wallmow fast jedes Wochenende Überfälle mit bürgerkriegsähnlicher Zuständen erleben. Bei Stadt- und Dorffesten waren Massenschlägereien an der Tagesordnung und an der Grenze zu Mecklenburg/Vorpommern fanden Nazikonzerte mit internationaler Beteiligung statt.
· Die Grenzregion zwischen Brandenburg und Mecklenburg/Vorpommern war und ist ein klassischer Rückzugsraum für rechtsextreme Aktivistenn. Je nach Präsenz der Polizei fanden Konzerte, Diskotheken, Wehrsportlager und Schulungen mal in diesem, mal in jenem Bundesland statt. Auch die wenigen bekannt gewordenen Treffen in Bagemühl, Brüssow und Dedelow sprechen für Verbindungen zwischen Nazis aus Brandenburg und Mecklenburg/Vorpommern.
· Gerade die Dörfer an der unmittelbaren Grenze waren Jahre lang bekannt für rechte Konzerte und Treffen überregionaler Art. In Menkin selbst ist der Gasthof “An der Chaussse” viele Jahre Ort von Konzerte mit zum Teil Hunderten von Nazis aus allen Teilen Deutschlands und nach unseren Recherchen auch aus England und Skandinavien gewesen. 1996 bis 98 gaben sich dort und in anderen Dörfern bekannte Bands der Szene die Klinke in die Hand.
· Wir wissen, dass die RechtsextremistInnen aus Mecklenburg/Vorpommern, so der Kameradschaftsbund Anklam, die Kameradschaft Usedom und die Kameradschaft aus Ueckermünde schon sehr lange intensive Kontakte nach Brandenburg, speziell in die Uckermark haben. Bei vielen Demonstrationen, auch in jüngster Zeit sind sie gemeinsam aufgetreten. Interessant ist dabei auch der gemeinsame inhaltliche Schwerpunkt “Wehrmachtausstellung”, den Martin Wiese in Süddeutschland und die genannten Kameradschaften in Mecklenburg/Vorpommern und der Märkische Heimatschutz im Norden aktiv umgesetzt haben. Die Demonstrationen in Wolgast sind dafür ein beredtes Beispiel.
· Das Alter der Verdächtigen passt. Es geht nicht um irgendwelche irregeleiteten Jugendlichen. Ganz offensichtlich sind alle genau in der Zeit sozialisiert und möglicherweise in die rechtsextreme Szene integriert worden, als hier deren Hochzeit war. Die Kontakte, Verbindungen und ideologischen Vorstellungen haben sie dann mitgenommen — auch in den Westen.
Um zu den geplanten Sprengstoffanschlägen zu kommen, gibt es eine ganze Reihe weiterer interessanter Anhaltspunkte:
· Schon vor zwei Jahren haben uns unsere Interviewpartner aus der Region von Prahlereien bekannter rechtsextremer Gewalttäter berichtet, sie würden Waffen und Sprengstoff sammeln und besitzen.
· In den Landkreisen nördlich der Uckermark gibt es eine ganze Abfolge (ehemaliger) Truppenübungsplätze erst der NVA und der Roten Armee, heute der Bundeswehr. Genau in deren Einzugsgebiet haben sich einige rechtsextreme Gruppierungen eingerichtet. Welche Rolle spielt dabei zum Beispiel der Reservistenverband “Olle Krümper” in Eggesin, wo jede Mange polizeilich bekannte Rechtsextremisten aktiv sind?
· Bei den wenigen Einsätzen der Polizei bei rechtsextremen Gewalttaten in der Region gab es auch Waffenfunde. Was ist eigentlich daraus geworden?
Um das Ganze kurz zusammen zu fassen: Wir denken, dass die Spur nicht zufällig in die Uckermark führt. Es handelt sich um eine Region, die über viele Jahre eine nahezu idealer Raum für rechtsextreme Aktivitäten war — niemand hat sich darum gekümmert, niemand hat das öffentlich gemacht, niemand hat etwas dagegen getan. Wir denken, dass sich Nazis aus Anklam, Pasewalk, Ückermünde, Löcknitz und anderen Orten der angrenzenden Landkreise Mecklenburg/Vorpommern oft in der Region aufgehalten haben und schon lange vielfältige Kontakte bestanden. Wir denken, dass Wiese und andere ihre Denk- und Verhaltensweisen in den Westen mitgenommen haben. Frei nach dem Motto: Wir können eigentlich alles machen, selbst schlimmste Gewalttaten, uns passiert sowieso nichts und wir haben dabei auch noch die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung.
So schlimm die jetzt aufgedeckten Terrorpläne in München auch sind wir kennen den Alltagsterror hier im Osten sehr gut- und es sind die gleichen Täter! Schön, das jetzt mal darüber gesprochen wird.
Einige Beispiele
Klockow — 20.09.1999
Jugendliche Rechtsextremisten schlagen jugendlichen Belastungszeugen einer Strafsache mit rechtsextremem Hintergrund zusammen. (UK 29. und 30.09.1999)
Dedelow — 26.02.2000
Die Polizei löst ein Treffen von über 100 Rechtsextremisten aus Brandenburg und Mecklenburg/Vorpommern auf. Dabei kommt es zu “Sieg Heil”-Rufen, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Gegen die Festnahmen protestierten 20 Personen vor der Polizeiwache in Prenzlau. (MOZ 28.02.2000)
Brüssow — 25./26.06.2000
Am Gerüst der evangelischen Kirche wird die Reichskriegflagge gehißt. (Augenzeugen)
Trampe bei Brüssow — September 2000
Beim “Pflaumenfest” des Dorfes werden ein Dutzend vermeintliche Linke von &uum
l;ber 50 rechten Jugendlichen aus allen Orten der Umgebung attackiert, geschlagen und gejagt. (Augenzeugen)
Brüssow — 01.10.2000
Die Polizei löst ein Straßenfest auf, nachdem rund 80 vorwiegend rechtsextrem orientierte Jugendliche randaliert und andere Besucher, darunter vermeintliche Linke tätlich angegriffen hatten. (MOZ 04.10.2000)
Bagemühl — 07.10.2000
Rund 50 Rechtsextremisten aus Mecklenburg Vorpommern und der Uckermark prügeln sich vor der Gaststätte “Zur Linde”. (Berl.Z. 10.10.2000)
Brüssow — November 2000
Zwei Autos mit “Glatzen” aus Wallmow und Brüssow machen Jagd auf “Linke”. Dabei wird ein Auto zerstört und ein Privathaus angegriffen. (Augenzeugen)
Bagemühl — 26.05.2001
Zum letzten Mal Disco im örtlichen Jugendclub. Obwohl schon länger einer der großen Treffs der Szene aus der ganzen Region, ist erst der Versuch, einen anderen Besucher aufzuhängen, Grund für die Schließung. Der Haupttäter, ein Schläger aus der rechtsextremen Szene erhält zwei Jahre Haft. (Augenzeugen)
Klockow — 01.02.2003
Vier Rechtsextremisten aus Prenzlau und Mecklenburg/Vorpommern überfallen den Jugendklub in Klockow und verletzen mehrere Gäste. Die Polizei nimmt die Täter in Gewahrsam. (MOZ 03.02.2003)
(Inforiot) Dieser Text wurde uns von der Recherchegruppe von Pfeffer und Salz aus Angermünde zur Verfügung gestellt. Von Pfeffer und Salz stammen zwei Recherchebroschüren, die sich mit dem Thema Rechtsextremismus in der Uckermark auseinandersetzen. Zur Connection München-Uckermark erschienen in den letzten Tagen auch mehrere Zeitungsartikel.