40.000 bis 50.000 Menschen starben vor 58 Jahren in der letzten großen Kesselschlacht des Zweiten Weltkrieges
(Die Welt, Berlin, 23.10.2003, Klaus Broszinsky) Halbe — Jetzt, wenige Wochen vor dem Volkstrauertag am 16. November, rückt der sonst
so ruhige Soldatenfriedhof in Halbe wieder ins Rampenlicht: Rechtsextremisten wollen
einen “Heldengedenktag”, während Antifa-Gruppen dagegen demonstrieren und
“sowjetische Befreier” ehren wollen. Dazwischen: Angehörige, Freunde und ehemalige
Kameraden der in Halbe Begrabenen.
58 Jahre ist es her: In den Apriltagen 1945 bildeten die Sowjets im Raum
Halbe/Teupitz einen Kessel, in dem nicht nur die Truppen der deutschen 9. Armee und
andere Einheiten eingeschlossen waren, sondern auch tausende Zivilisten und
Flüchtlinge. Sie wollten nach Westen. Das Trommelfeuer mit Katjuschas und Granaten,
der rasche Panzervorstoß, deutsches Abwehrfeuer und ein Teilausbruch der
eingekesselten Truppen kosteten wahrscheinlich 40 000 bis 50 000 Menschen das Leben
— noch heute werden in den Wäldern Überreste der Toten gefunden. Sie finden auf dem
Soldatenfriedhof im nahen Halbe ihre letzte Ruhestätte. Mehr als 22 000 Tote aus
jener Kesselschlacht liegen dort begraben, davon etwa 12 000 als unbekannt. Dazu
noch die Leichen von Zwangsarbeitern und die jener 4500 Deutschen aus dem
sowjetischen NKWD-Lager Ketschendorf. Bei den Autobahnarbeiten werden immer wieder
Gebeine gefunden …
Die 81-jährige Waltraud Müller ist von Bonn nach Halbe gekommen. Mit ihrer
Großcousine Erika Findeisen besucht sie die letzte Ruhestätte ihres ersten Mannes
Werner Pelzing (Jahrgang 1917). April 1945 steht als Todesdatum auf der Grabplatte,
auf der noch zwei andere Namen zu lesen sind. “In der Nacht zum 20. April 1945 rief
er mich noch an und sagte: Du musst laufen, die Russen kommen. Lauf, so weit dich
die Füße tragen”, erinnert sie sich. Werner Pelzing war damals Pionier und konnte
sie noch in Sachsen anrufen, wohin sie von Köln aus mit ihrem damals 16 Monate alten
Sohn Jürgen evakuiert worden war. “Ich habe dir noch einen Brief geschrieben”,
zitiert Waltraud Müller ihren Mann. Als sie ihn nach dem Warum fragte, habe er
gesagt, er glaube, in russische Gefangenschaft zu kommen. Der Brief hat sie nie
erreicht. Nach jenem letzten Telefongespräch hatte sie sich mit ihrem kleinen Sohn
im Kinderwagen zu Fuß nach Köln aufgemacht: Im Juni 1945 kam sie dort an und suchte
den überlebenden Vorgesetzten ihres Mannes auf, den ehemaligen Oberleutnant
Kleeberg. Der hatte ihn noch bei Halbe gesehen. Eine Suchanzeige in einer Berliner
Tageszeitung brachte erst Jahre später eine Spur: Werner Pelzing war beim Sprung
über die Autobahn am 28. April verwundet worden und am 4. Mai in der Waldsiedlung
Radeland in der Nähe von Baruth seinen Verletzungen erlegen. Mit zwei anderen hatte
man ihn im Garten beigesetzt.
Wie Tausende suchte die junge Frau Gewissheit. Noch 1947 waren die Toten nicht
umgebettet: “Überall auf dem Fußweg von Berlin waren so Hügel mit einem Stahlhelm
drauf oder einem Holzkreuz.” Später fand Werner Pelzing seine letzte Ruhe auf dem
Halber Soldatenfriedhof, der 1951 auf Initiative des Pfarrers Ernst Teichmann
eingerichtet worden war. Angehörige, Freunde, Überlebende haben seitdem einen Ort
für ihre Trauer.