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Die stillen Neonazis vom Lande

(MAZ, 10.5.) POTSDAM/BERLIN Dass etwa 6000 bürg­er­liche und linke Demon­stran­ten am Sonntag
einen Auf­marsch der recht­sex­tremen NPD in Berlin ver­hin­derten, bedeutet
keine gravierende Schwächung der Neon­azis. “Gegen sie hat die Gesellschaft
noch lange nicht gewon­nen, denn recht­sex­treme Gedanken ver­bre­it­en sich
längst bis in ihre Mitte”, warnte Bran­den­burgs SPD-Fraktionsvorsitzender
Gün­ter Baaske — “und das nicht dumpf, glatzköp­fig und in Springerstiefeln,
son­dern aal­glatt und mit Krawatte.” 

In zahlre­ichen ländlichen Regio­nen Bran­den­burgs vol­lzieht sich dies
schle­ichend. “Es ist ein stiller Recht­sex­trem­is­mus”, sagt Ray Kokoschko vom
Mobilen Beratung­steam (MBT). Redege­wandte, nicht unsym­pa­thisch wirkende
Führungskad­er der NPD ziehen aufs Dorf und “geben dort den net­ten Menschen
von nebe­nan”. Sie treten bei Faschings­festen auf, engagieren sich sozial in
Jugend­klubs und Ortsvere­inen der Frei­willi­gen Feuer­wehr. Dabei treten die
Pro­tag­o­nis­ten der recht­sex­tremen Partei nicht in ihrer bekannten
aggres­siv-mar­tialis­chen Art auf, son­dern argu­men­tieren soziale
Bren­npunk­t­the­men aus dem Blick­winkel der Bürg­er. Die Hemm­schwellen, die
viele Dorf­be­wohn­er gegenüber recht­sex­tremen Organ­i­sa­tio­nen in der Regel
haben, sollen auf diese Weise fallen. 

Der Erfolg dieser Strate­gie hat sich beson­ders ekla­tant in Sach­sen gezeigt.
Mehr als zehn Jahre hät­ten sich NPD-Anhänger dort als leut­selige Bürg­er in
den Kom­munen “ein­genis­tet”, erin­nert MBT-Mitar­beit­er Kokoschko. Das mit
knapp zehn Prozent über­raschend gute Abschnei­den der säch­sis­chen NPD bei der
Land­tagswahl 2004 hat­te eine lange Vor­bere­itungsphase. Für Bran­den­burg lasse
sich ähn­lich­es nach­weisen. Auch im Märkischen lägen die Wahlerfolge
recht­sex­tremer Parteien dort merk­lich höher, wo bieder erscheinende Neonazis
aufs flache Land gezo­gen sind. 

Wie SPD-Frak­tion­schef Baaske (“ein guter Tag für die wehrhafte Demokratie”)
würdigt auch der Poli­tologe und Recht­sex­trem­is­mus­forsch­er Dietmar
Sturzbech­er die Wirkung des Berlin­er Beispiels. “Aber solche Aktio­nen haben
ihre Gren­zen, man kann nicht jeden Tag Gegen­demon­stra­tio­nen durch­führen.” Da
sich zudem Neon­azis nicht durch beson­ders ratio­nales Verhalten
ausze­ich­neten, sei zu erwarten, dass sie nach dem Rückschlag von Sonntag
nicht frus­tri­ert den ide­ol­o­gis­chen Rück­zug antreten werden. 

Unab­hängig von bisweilen erfol­gre­ichen Gegen­demon­stra­tio­nen von Demokraten
fordert Sturzbeck­er einen langfristi­gen Lösungsansatz: “Das
zivilge­sellschaftliche Engage­ment muss in den Schu­lall­t­ag inte­gri­ert werden
und auch im Kleinen funktionieren.” 

Wie beschw­er­lich der Weg zu ein­er couragierten Zivilgeschaft ist, die sich
gegen Neon­azis engagiert, zeigte sich deut­lich am Volk­strauertag 2004 in
Halbe. 2500 Demokrat­en wür­den sich den erwarteten 800 Neon­azis in den Weg
stellen, hofften die Ini­tia­toren der Gegenkundge­bung. Am Ende kamen 1600
Recht­sex­trem­is­ten und 400 Demokrat­en — die Ent­täuschung war groß. 

Den­noch ste­ht zivilge­sellschaftlich­es Engage­ment in Bran­den­burg nicht am
Anfang. Es habe sich inzwis­chen in etlichen Kom­munen etabliert, betont
MBT-Mitar­bei­t­erin Andrea Nien­huisen. Vor­bild­hafte Aktiv­itäten gebe es in
Fürsten­walde, Halbe und im Kreis Märkisch-Oder­land. “Ich habe den Eindruck”,
sagt Nien­huisen, “dass die Men­schen wach werden.”

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