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Die Welt zu Gast bei Freunden

Am frühen Mor­gen des Oster­son­ntag wurde der Wasser­bau-Inge­nieur Ermyas M. an ein­er Bushal­testelle in Pots­dam aus ras­sis­tis­chen Motiv­en fast tot­geschla­gen. Die has­ser­füll­ten Satzfet­zen der Täter auf der Mail­box sein­er Ehe­frau, die der 37-Jährige kurz zuvor angerufen hat­te, sind ein­deutig. Dort ist zu hören, wie die Schläger ihr Opfer als “Nig­ger” und “Scheißnig­ger” beze­ich­nen. Nicht nur, dass dieser Angriff ein großes Echo her­vor­rief, hebt ihn aus der Vielzahl von recht­en Gewalt­tat­en in Deutsch­land heraus.

Dass der Angriff auf Ermyas M. solche Wellen schlug, hat mehrere Gründe. Es hat mit der kurz bevorste­hen­den Fußball-Welt­meis­ter­schaft und den Eigen­tüm­lichkeit­en des Pressewe­sens (Ostern ist eine nachricht­e­n­arme Zeit) eben­so zu tun, wie mit regionalen Begeben­heit­en in der bran­den­bur­gis­chen Lan­deshaupt­stadt und der Tat­sache, dass der Angriff ein Opfer traf, das genau dem propagierten Leit­bild staatlich­er Ein­wan­derungspoli­tik entspricht.
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“Die Welt zu Gast bei Fre­un­den” heißt der offizielle Slo­gan der Fußball-WM. Dieser Slo­gan war schon immer ver­logen. Die staatliche Abschiebe- und Ein­wan­derungspoli­tik, der alltägliche Ras­sis­mus und das Aus­maß rechter Gewalt sowie die zunehmende Frem­den­feindlichkeit sprechen eine deut­lich andere Sprache. Gle­ich­wohl galt und gilt es den Schein zu wahren; nicht auszu­denken, welchen Schaden das “Anse­hen Deutsch­lands” nehmen würde, soll­ten während des Fußball-Turniers aus­ländis­che Fans zu Opfern rechter Schläger wer­den. “Den Schaden”, gab u.a. die Welt die Parole aus, “haben nicht nur das Opfer, das in ein­er Pots­damer Klinik um sein Leben ringt, und die um ihren Ruf ban­gende Stadt. Getrof­fen ist, gut 50 Tage vor Beginn der Fußball-Welt­meis­ter­schaft, das gesamte Land.” (19.4.06)

In vie­len Kom­mentaren befasste man sich mit dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem ras­sis­tis­che Gewalt wächst. “Ras­sis­tis­ches und frem­den­feindlich­es Denken bre­it­et sich im Stillen aus: an Stammtis­chen, im Vere­in, in Jugend­cliquen”, so etwa die Lausitzer Rund­schau. Nach­den­klichkeit über­wog. “Recht­sex­trem­is­mus und Aus­län­der­hass, gepaart mit Gewalt­bere­itschaft, sind ein alltäglich­es Phänomen in Deutsch­land, auch wenn es nur noch in Extrem­fällen wie dem von Pots­dam eine Schlagzeile wert ist”, stellt etwa die Süd­deutsche Zeitung — dur­chaus selb­stkri­tisch — fest. (24.4.06)

Das “Anse­hen Deutsch­lands” ist in Gefahr

Kon­se­quent über­nahm Bun­de­san­walt Kay Nehm die Ermit­tlun­gen, die Fes­t­nahme eines Tatverdächti­gen wurde drama­tisch insze­niert und bei­de Tatverdächti­gen im Hub­schrauber — wie in RAF-Hochzeit­en — nach Karl­sruhe geflo­gen. Ganz offen­sichtlich ging es darum, Zeichen zu set­zen: Deutsch­land lässt rechte Schläger nicht gewähren. Die Repub­lik atmete erle­ichtert auf.

Doch dann kam die Wende. Die Presse erg­ing sich in krim­i­nal­is­tis­chen Details, Speku­la­tio­nen über den Tather­gang und die Motivla­gen von Tätern und Opfer. Die Folge: Die Tat ist aus ihrem Kon­text her­aus­gelöst und ent­poli­tisiert. Genüsslich wird die “Schuld­frage” disku­tiert — war das betrunk­ene Opfer am Ende nicht sel­ber schuld?

Deutsch­land kann aufat­men: “Wieder ein­mal geht es um Ras­sis­mus, den Ter­ror von rechts, die Frem­den­feindlichkeit in Bran­den­burg, den neuen Län­dern, im ganzen Land”, so jeden­falls die Welt am 24. April. “Und wieder ein­mal liegt das ganze Land auf der Couch. Und das, obwohl ein ras­sis­tis­ch­er Hin­ter­grund der Tat noch gar nicht fest­ste­ht, als die Deu­tungss­chlacht­en längst im Gang sind.” Ein “Stre­it zwis­chen Betrunk­e­nen mit tragis­chem Aus­gang” habe “einen Auf­schrei der Anständi­gen in Deutsch­land aus(ge)löst und die meis­ten sein­er Entschei­dungsträger in Ver­wirrun­gen und Mut­maßun­gen (ge)stürzt”, so die Welt fünf Tage später. (29.4.06) Zur nationalen Frage erk­lärte auch die Frank­furter All­ge­meine Zeitung die Tat in Pots­dam — allerd­ings mit ein­er eigen­tüm­lichen Wen­dung: “Ein Ver­brechen in Pots­dam hat gezeigt, was für ein zer­brech­lich­es Gebilde die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land offen­bar ist”, so die FAZ bere­its — beze­ich­nen­der­weise, wenn wohl auch zufäl­lig — an “Führers” Geburt­stag. “Ein sta­biles, selb­st­be­wusstes Gemein­we­sen sieht anders aus”, so das Faz­it der FAZ. (20.4.06)

Jet­zt schlug die Stunde von Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm und Bun­desin­nen­min­is­ter Wolf­gang Schäu­ble. Schäu­ble erk­lärte: “Wir wis­sen die Motive nicht … Wir soll­ten ein wenig vor­sichtiger sein.” Und legte noch mit ein­er Äußerung nach, die man nur als Ermu­ti­gung zur Het­ze gegen Aus­län­der inter­pretieren kann: “Es wer­den auch blonde, blauäugige Men­schen Opfer von Gewalt­tat­en, zum Teil sog­ar von Tätern, die möglicher­weise nicht die deutsche Staat­sange­hörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.”

Mit ähn­lichen Argu­menten griff Schön­bohm Gen­er­al­bun­de­san­walt Nehm an, weil er die Ermit­tlun­gen im Fall Ermyas M. an sich gezo­gen hat­te. Schön­bohm warf ihm vor, er habe “aus der Sache ein Poli­tikum gemacht” und das Land Bran­den­burg “stig­ma­tisiert”. (FAS, 23.4.06) Die Über­nahme der Ermit­tlun­gen durch den Gen­er­al­bun­de­san­walt sei nicht erforder­lich gewe­sen, es müsse sich erst noch her­ausstellen, ob es den Zusam­men­hang zwis­chen ein­er Gewalt­straftat und ein­er frem­den­feindlichen Straftat wirk­lich gebe.

Tat­säch­lich kann die Bun­de­san­waltschaft als Staat­san­waltschaft des Bun­des nur bes­timmte Ermit­tlungsver­fahren an sich ziehen. Der Bun­des­gericht­shof hat allerd­ings in ein­er Entschei­dung aus dem Jahr 2000 die — auch im Pots­damer Fall angewen­de­ten — Kri­te­rien bestätigt, nach denen sich der Gen­er­al­bun­de­san­walt als zuständig ein­stufte, wenn das Erschei­n­ungs­bild der Bun­desre­pub­lik beein­trächtigt werde oder der Fall Sig­nal­wirkung für poten­zielle Gewalt­täter haben könnte.

Wie gehabt: Aus Opfer wer­den Täter gemacht

Zudem ist zur “Stig­ma­tisierung” Bran­den­burgs kein Gen­er­al­bun­de­san­walt erforder­lich. Die Sta­tis­tiken sprechen eine klare Sprache. Laut den jüng­sten Angaben des Ver­fas­sungss­chutzes nimmt Bran­den­burg, bezo­gen auf die Ein­wohn­erzahl, bei rechts motivierten Straftat­en den bun­desweit­en Spitzen­platz ein. Die Zahl recht­sex­trem­istis­ch­er Straf- und Gewalt­tat­en ist laut Bun­desin­nen­min­is­teri­um 2005 bun­desweit gegenüber dem Vor­jahr um 26,8 Prozent angestiegen. Danach erhöht­en sich die recht­en Straftat­en all­ge­mein von 12.051 (2004) auf 15.914, die darin enthal­te­nen Gewalt­de­lik­te stiegen um 24,3 Prozent von 776 auf 1.034. Das Aus­maß rechter Gewalt ist jedoch um ein Vielfach­es höher. Die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt weisen immer wieder darauf hin, dass rechte Straf- und Gewalt­tat­en über­haupt nicht in Polizeis­ta­tis­tiken auf­tauchen, weil sie von den Behör­den nicht als solche ein­ge­ord­net werden.

Ver­tuschen, ver­drän­gen, verharmlosen

Alleine in den neuen Bun­deslän­dern und in Berlin erlangten die Opfer­ber­atungsstellen 2005 Ken­nt­nis von ins­ge­samt 614 rechtsmo­tivierten Gewalt­tat­en; das sind 63 Angriffe mehr als im Vor­jahr. Die meis­ten Fälle wur­den in Sach­sen (154) gezählt, gefol­gt von Sach­sen-Anhalt (129) und Bran­den­burg (128). In nahezu 90 Prozent der Fälle han­delte es sich um Kör­per­ver­let­zungs­de­lik­te. In 300 Fällen richtete sich die Gewalt gegen junge Men­schen aus linken und alter­na­tiv­en Milieus. In 182 lag eine ras­sis­tis­che Tat­mo­ti­va­tion vor. Ver­gle­ich­bare Zahlen liegen für West­deutsch­land nicht vor. Das liegt schon alleine daran, dass ähn­liche Ein­rich­tun­gen hier nicht existieren.

Die Zukun­ft der Beratungsstellen im Osten ist jedoch ungewiss. Finanziert wer­den sie aus dem Bun­de­spro­gramm CIVITAS. Es läuft zum Jahre­sende aus. Inzwis­chen hat der Koali­tion­sauss­chuss der schwarz-roten Bun­desregierung beschlossen, dass die Mit­tel für Präven­tion gegen rechts auch 2007 bei 19 Mio. Euro bleiben. Auf Druck der SPD wur­den zudem die Pläne fall­en gelassen
, zusät­zlich zum Schw­er­punkt Recht­sex­trem­is­mus aus dem­sel­ben Topf Pro­jek­te gegen islamistis­chen und “Link­sex­trem­is­mus” zu fördern. Für die so genan­nten Struk­tur­pro­jek­te — Opfer­ber­atung und Mobile Beratung gegen Rechts — wird es nach den jet­zi­gen Plä­nen allerd­ings kein Geld mehr geben.

Die Bun­desregierung werde eine “angemessene” Antwort auf die beson­deren Her­aus­forderun­gen durch den Recht­sex­trem­is­mus find­en, sagte die Kan­z­lerin nach dem Angriff in Pots­dam. Bis­lang heißt diese Antwort Ver­tuschen, Ver­drän­gen, Verharmlosen.

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