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Zonen-Nazi im Glück

Heyes Reise­war­nung hat für Empörung gesorgt. Doch die amtlichen Sta­tis­tiken und die Erfahrun­gen anti­ras­sis­tis­ch­er Vere­ine bele­gen, dass der Osten nach wie vor eine gefährliche Zone ist.

Wie wäre es mit Kanu fahren auf den Uck­er­märkischen Seen? Mit dem Rad ent­lang der Oder? Vielle­icht Klet­tern in der Säch­sis­chen Schweiz oder doch lieber Baden auf Rügen? Eben­falls reizvoll: ein kul­turgeschichtlich inter­es­san­ter Aus­flug nach Berlin-Marzahn? Doch wer eine zu dun­kle Haut­farbe hat, eine auf­fal­l­ende Behin­derung aufweist oder allzu sehr »links« oder »schwul« aussieht, sollte sich gründlich über­legen, ob es nicht sicherere Reiseal­ter­na­tiv­en gibt.

Wer indes im Osten lebt und aus welchen Grün­den auch immer nicht wegziehen kann, weiß sehr gut, zu welch­er Tages- und Nachtzeit er welche Orte mei­den sollte. Die Gefahr, zum Opfer ras­sis­tis­ch­er oder neon­azis­tis­ch­er Gewalt zu wer­den, ist seit Jahren in den neuen Bun­deslän­dern größer als in den alten.

Der ehe­ma­lige Regierungssprech­er Uwe-Karsten Heye, heute Vor­sitzen­der des Vere­ins »Gesicht zeigen – Aktion weltof­fenes Deutsch­land«, tat also nichts weit­er, als eine sattsam bekan­nte deutsche Real­ität zu beschreiben. »Es gibt kleinere und mit­tlere Städte in Bran­den­burg und ander­swo«, sagte er im Deutsch­landra­dio, »wo ich keinem rat­en würde, der eine andere Haut­farbe hat, hinzuge­hen. Er würde sie möglicher­weise lebend nicht wieder ver­lassen.« So etwas hören die meis­ten Ver­ant­wortlichen nicht gerne, erst recht nicht so kurz vor der Fußballweltmeisterschaft.

Jeden­falls schien Bran­den­burgs Min­is­ter­präsi­dent Matthias Platzeck (SPD) die Wörter »ander­swo« und »möglicher­weise« über­hört zu haben, als er Heye vor­warf, »eine ganze Region zu verunglimpfen«. Die Exis­tenz von No-go-Areas sei »durch nichts belegt«, ergänzte Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU).

Einen der etlichen Beweise liefer­ten am Woch­enende zwei Män­ner im Ost­ber­lin­er Stadt­teil Licht­en­berg. Am Fre­itagabend schlu­gen sie einen Berlin­er Abge­ord­neten der Linkspartei, Giyaset­tin Sayan, nieder, er musste mit schw­eren Kopfver­let­zun­gen in ein Kranken­haus gebracht wer­den. Zuvor hat­ten sie ihn als »Scheißaus­län­der« und »Scheißtürken« beschimpft.

Mit­tler­weile sagt Platzeck, dass ihm nur die »Schwarz-Weiß-Debat­te« Sorge bere­ite, er aber nichts »abwiegeln oder verniedlichen« wolle. Ver­spätet scheint ihm aufge­fall­en zu sein, dass Heye dur­chaus von anti­ras­sis­tis­chen Aktiv­itäten in Bran­den­burg gesprochen hat­te. Vielle­icht mag Platzeck sich nicht zu den­jeni­gen Poli­tik­ern zählen lassen, denen Heye vor­wirft, diese Dinge »klein zu reden« und »am Ende den Opfern auch noch die Schuld zu geben«. Schön­bohm hinge­gen spricht weit­er­hin von »neb­ulösen Vor­wür­fen«. Wenn Heye neue Erken­nt­nisse habe, solle er sie bitteschön mitteilen.

Dabei muss der Min­is­ter nicht auf Heyes Antwort warten, um zu erfahren, wie es auf bran­den­bur­gis­chen Bahn­hofsvor­plätzen, in Diskotheken, Jugend­clubs und an Tank­stellen aussieht. Selb­st ein Blick in den Ver­fas­sungss­chutzbericht kön­nte ihm weit­er­helfen. »Sub­kul­turell geprägte recht­sex­trem­istis­che Jugend­cliquen gibt es in vie­len Städten und Gemein­den des Lan­des Bran­den­burg«, heißt es darin, es fol­gt eine, wie die Ver­fas­sungss­chützer anmerken, keineswegs voll­ständi­ge Liste von 17 Städten und Gemeinden.

Noch vor weni­gen Wochen wusste es Schön­bohm noch bess­er. Es gebe in Bran­den­burg »Gegen­den, wo man sich nachts lieber nicht alleine aufhal­ten soll«, sagte er in den Pots­damer Neuesten Nachricht­en vom 21. April und wusste sog­ar von eige­nen Erfahrun­gen zu erzählen: »Ich ging vor einiger Zeit abends im Dunkeln allein durch eine fast men­schen­leere märkische Stadt, da kamen mir vier Kahlgeschorene in Bomber­jack­en und Springer­stiefeln ent­ge­gen. Ich bin auf die andere Straßen­seite gewechselt.«

Auch die behördlichen Sta­tis­tiken sprechen gegen die Gedächt­nistrübung des Innen­min­is­ters, die ihn plöt­zlich befall­en hat. Das Lan­desamt für Ver­fas­sungss­chutz reg­istri­ert, dass in Ost­deutsch­land mit durch­schnit­tlich 2,07 Gewalt­tat­en pro 100 000 Ein­wohn­er mehr als dreimal so viele wie im West­en verübt wer­den. Bran­den­burg führt diese Liste mit einem Wert von 4,09 an, gefol­gt von Sach­sen-Anhalt (2,81), Berlin (1,65) und Sach­sen (1,46).

Auch die Recherchen der Opfer­ber­atungsstellen offen­baren die Aus­maße der recht­sex­tremen Gewalt. In den Jahren von 2003 bis 2005 reg­istri­erten sie in Bran­den­burg 380 und in Sach­sen 441 recht­sex­treme tätliche Angriffe. Allerd­ings leben in Bran­den­burg nur etwa halb so viele Men­schen wie in Sach­sen. Die Gefahr, von Recht­sex­trem­is­ten an­gegriffen zu wer­den, ist in Bran­den­burg zehn­mal größer als im Bun­des­durch­schnitt, berichtete unlängst der Vere­in Opferperspektive.

Über das Aus­maß der Ein­schüchterung sagen die Zahlen wenig. Den Begriff »No-go-Areas« hält Dominique John, ein Mitar­beit­er des Vere­ins, den­noch für unglück­lich. Stattdessen schlägt er vor, von »Angsträu­men« zu sprechen, von Orten also, »an denen sich Aus­län­der, Fremde oder Flüchtlinge vor recht­sex­tremen Attack­en fürchten«.

Es sei ihm nicht darum gegan­gen, Bran­den­burg zu stig­ma­tisieren, vielmehr habe er auf das Bagatel­lisieren in der Poli­tik hin­weisen wollen, sagt Heye. Pro Jahr durch­schnit­tlich 17 Todes­opfer von rechts­extremer Gewalt hat der Vere­in »Gesicht zeigen« seit der Wende gezählt. Der amtlichen Zäh­lung zufolge gab es im ver­gan­genen Jahr bun­desweit 15 914 recht­sex­treme Straftat­en, 3 358 mehr als im Vor­jahr. Den­noch spricht der Bun­desin­nen­min­is­ter Wolf­gang Schäu­ble (CDU) lieber von ein­er all­ge­mein gewach­se­nen poli­tis­chen Krim­i­nal­ität, hebt den Anstieg recht­sex­tremer und »linksra­dikaler« Gewalt­tat­en her­vor und betont, dass »frem­den­feindliche Straftat­en« weniger gewor­den seien.

Zu der über­wiegen­den Zahl der Gewalt­tat­en, das bele­gen Unter­suchun­gen, kommt es spon­tan. Und es bedarf keines Parteibuch­es, um recht­sex­treme Straftat­en zu bege­hen. »Rassis­tische Vorstel­lun­gen genü­gen, um zuzuschla­gen«, sagte Olga Schell von der »Opfer­per­spek­tive« der Jun­gle World.

Einen weit­eren Aspekt gibt es, von dem alle Opfer­ber­atungsstellen übere­in­stim­mend bericht­en, näm­lich eine zunehmende Enthem­mung bei den Angrif­f­en. Nicht nur im Osten, eben­so im West­en schla­gen die Täter bru­taler zu. Vor allem auf dem Land, wis­sen Antifa-Ini­­tia­tiv­en aus Nieder­sach­sen und Schles­wig-Hol­stein, greifen Recht­sex­trem­is­ten ver­mehrt Jugendliche an.

Die ras­sis­tis­chen Ressen­ti­ments in der »Mitte der Gesellschaft« begün­sti­gen offen­sichtlich diese Entwick­lung. Die Studie »Grup­pen­be­zo­gene Men­schen­feindlichkeit« des »Insti­tuts für inter­diszi­plinäre Kon­flik­t­forschung« zeigt, das 61,1 Prozent der 3 000 Befragten meinen, in Deutsch­land lebten »zu viele Aus­län­der«. Die Täter fühlen sich in ihrem Glauben bestärkt, das in die Tat umzuset­zen, was die Mehrheit denkt. Die hohe Zahl der Straftat­en scheint in Bran­den­burg und Sach­sen mit dem Ergeb­nis der Land­tagswahlen zu kor­re­spondieren. Bere­its zum zweit­en Mal sitzt hier die DVU im Land­tag, dort die NPD.

Vere­inzelt bekommt Heye Zus­pruch. Seine War­nung war nötig, sagt etwa der Vor­sitzende des Innenausschus­ses des Bun­destages, Sebas­t­ian Edathy (SPD). Es gehöre »zur Rolle eines guten Gast­ge­bers bei der WM, auf diese Gefahr hinzuweisen«. Seinen Frak­tionsvor­sitzen­den Peter Stru
ck muss er erst noch überzeu­gen. Der näm­lich hält Heyes Äußerung für »über­haupt nicht hilfreich«. 

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