(MAZ, Dirk Klauke) WITTSTOCK “Wir haben kein Problem mit Rechtsradikalen in der Schule”, berichtet Sabine
Steinbach. Die Leiterin der Dr.-Wilhelm-Polthier-Gesamtschule weiß aber,
dass der Rechtsradikalismus auch in Wittstock eine neue Qualität erreicht
hat. Neonazis sind nicht mehr vorwiegend als Bomberjacken- und
Springerstiefelträger zu erkennen. Mit dem Tragen bestimmter Markenware oder
von Aufnähern bekennen sich Jugendliche zu ihrer braunen Gesinnung.
Die Hausordnung der Schule verbietet zwar “verbale und äußerlich sicht- und
erkennbare Provokationen hinsichtlich rechtsradikalem und
ausländerfeindlichem Hintergrund” und “Beleidigung, Volksverhetzung oder
Einschüchterung Andersdenkender und rechtradikale Propaganda”.
Um rechtsradikale Sympathisanten rechtzeitig entlarven und sich mit ihnen
auseinander setzen zu können, hatte die Direktorin am Montagnachmittag ihre 36
Pädagogen und eine Schulsozialarbeiterin zur Weiterbildungsveranstaltung der
besonderen Art geladen. Rede und Antwort standen Vertreter der Neuruppiner
Sonderkommission Tomeg/Mega (Täterorientierte Maßnahmen gegen rechtsextreme
Gewalt/Mobile Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit), des
Mobilen Beratungsteams Neuruppin der Regionalen Arbeitsstellen für
Ausländerfragen, Schule und Jugendarbeit (RAA) und der Wittstocker
Polizeiwache.
RAA-Mitarbeiter Nicola Scuteri erklärte mit Bildwerferfolien, wie
rechtsgerichtete Jugendliche zu erkennen und Neonazi-Strukturen in einer
Kleinstadt aufgebaut sind. Mit Zahlenkombinationen werden Buchstaben des
Alphabetes ersetzt: 88 für HH (Heil Hitler) oder 14 für AH (Adolf Hitler).
Marken wie Lonsdale, Alpha Industries oder auch die Wassersportmarke HH
(Helly Hansen) werden gern von Rechtsradikalen getragen. Eine besonders
unrühmliche Rolle spielt die Markenfirma Consdaple. “Bei halboffener Jacke
sind nur noch die Buchstaben nsdap zu erkennen”, berichtete Nicola
Scuteri. “Das ist dann eine strafbare Handlung” ergänzte Neuruppins
Tomeg-Leiter Steffen Decker.
Strafbar ist das Tragen von Bekleidung mit dem Königs Wusterhausener
Markenzeichen “Thor Steinar”. “Wenn Sie so etwas sehen, rufen Sie bitte die
Polizei an”, bat Decker die Pädagogen.
Bei Rechten beliebte Symbole wie der Thor(s)hammer sind nicht verboten. Das
Tragen des Keltenkreuzes kann nur im Kontext mit der verbotenen
“Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit” untersagt
werden.
Musik sei die Einstiegsdroge in den Rechtsradikalismus, sagte
RAA-Mitarbeiterin Gabriele Schlamann. Sie spielte eine harmlos und melodisch
klingende CD von einer “Annett” vor: Darin beklagt die Sängerin, dass die
deutsche Mutter eines Sohnes keine Sozialhilfe bekomme, während die
ausländische Nachbarin mit sieben Gören kräftig absahne.
Wachenleiter Arno Rosenbruch zufolge ist die Wittstocker rechtsextreme Szene
zahlenmäßig von 2003 zu 2004 gewachsen, die Zahl der Straftaten allerdings
sei zurückgegangen. Beliebter Treffpunkt ist die Total-Tankstelle. Hier habe
die Polizei einigen Jugendlichen Aufenthaltsverbote erteilt. In kleineren
Orten um Wittstock kreuzten immer wieder Rechtsextreme auf, um
Veranstaltungen zu stören.
Arno Rosenbruch bat die Pädagogen, sich schnell an die Polizei zu wenden,
wenn Anzeichen für rechtsextremes Gedankengut in der Schule erkennbar sei,
“auch wenn Sie sich nicht sicher sind”.
Der Ostprignitz-Ruppiner Tomeg-Chef Steffen Decker berichtete vom immensen
Einsatz der Polizei, um die rechte Szene im Schutzbereich zu kontrollieren.
Der Schwerpunkt lag für die Tomeg-Leute bis 2003 in Wittstock, jetzt seien
seine Mitarbeiter auch für Neuruppin zuständig. Eigentlich müssten sich viel
mehr Menschen dafür einsetzen, Rechtsradikalen in Wittstock eine Abfuhr zu
erteilen.
Die Rekrutierung von Neonazis erfolge auch im Wittstocker Gymnasium, sagte
Steffen Decker. Die Logistik der Rechten sei sehr ausgereift. Die
Wittstocker Szene habe Kontakte zu Gleichgesinnten in Hamburg, Bremen,
Malchow, Pritzwalk, Oberhavel und Rathenow. Da das Einstiegsalter bei “13
plus” liege, appellierte auch Steffen Decker an die Pädagogen, sich nicht zu
scheuen, ihn anzurufen (03391/ 35 41 85).