(BM)Hohe Haftstrafen nach Brandanschlag auf Obdachlosen — Brandenburger
Innenministerium besorgt über jugendliche Gewalt
Frankfurt/Oder — Sie hatten ihm nur “eins auswischen” wollen. Unter den
Folgen wird Günter W. sein Leben lang zu leiden haben.
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Eigentlich waren Stefan K. (23) und sein Kumpan Steven G. (19) bei ihrem
nächtlichen Streifzug durch das märkische Beeskow auf Geld aus. Dabei
stießen sie in jener Juninacht des vergangenen Jahres auf Günter W., wegen
seiner langen Haare und seines Bartes “Jesus” genannt, der auf einer
Parkbank schlief. Weil sie kein Geld bei ihm fanden, sondern nur zwei Dosen
Bier, steckten die beiden jungen Männer die Kunststoffjacke des Schlafenden
an. Aus Verärgerung, wie der Jüngere jetzt beim Prozeß eingestand. Sie
glaubten, ihr Opfer würde schon aufwachen und rannten weg. Günter W. rang
monatelang mit dem Tod. 40 Prozent der Hautoberfläche wurden verbrannt.
Heute lebt er in einer betreuten Wohnung. “Was hat der Mann ihnen getan?”,
wollte Richter Andreas Dielitz von den Angeklagten wissen. Eine schlüssige
Antwort erhielt er nicht. Beide Peiniger müssen nun für siebeneinhalb bzw.
viereinhalb Jahre ins Gefängnis. “Diese Roheit sprengt alle Grenzen”, sagte
der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung.
Brutalität und sinnlose Gewalt, ausgeübt von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, ist in Brandenburg kein Einzelfall. Anfang März verurteilte das
Oberlandesgericht in Potsdam eine jugendliche rechtsextremistische Bande
wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung.
Der 20jährige Rädelsführer bekam viereinhalb Jahre Jugendhaft. Elf weitere
Angeklagte erhielten im ersten Brandenburger Terrorprozeß Bewährungsstrafen
zwischen acht Monaten und zwei Jahren. Die Jugendbande hatte 2003 ein
“Freikorps” gegründet, um mit Brandanschlägen Ausländer zu vertreiben. Sie
zündeten neun ausländische Bistros an.
Für das brandenburgische Innenministerium ist die Gewaltbereitschaft Anlaß
zur Sorge. “Man hat den Eindruck, daß es kaum noch eine Hemmschwelle gibt”,
sagt Wolfgang Brand, Sprecher von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Er
sieht einen Trend, nachdem Konflikte zunehmend mit Gewalt gelöst würden.
“Das bedeutet, daß die Kontrahenten andere Formen der Konfliktlösung einfach
nicht gelernt haben”, sagt er. In Brandenburg machen Straftäter unter 21
Jahren seit Jahren etwa die Hälfte der festgestellten Tatverdächtigen bei
Delikten der Gewaltkriminalität wie Mord, Vergewaltigung, Raub,
Körperverletzung, Entführung und Geiselnahme aus. Bei einer Zunahme der
festgestellten Fälle geht die Zahl der Täter leicht zurück: Weniger
Straftäter begehen also mehr Straftaten. Das Innenministerium hat, teils
gemeinsam mit anderen Ministerien, Initiativen ergriffen, um den Gewalttaten
Jugendlicher schon im Vorfeld Einhalt zu gebieten. In allen Schutzbereichen
des Landes gibt es Jugendkommissariate, Schulen halten Kontakt mit den
örtlichen Polizeibeamten.
Doch immer wieder sorgen spektakuläre Fälle für Schlagzeilen. Vor drei
Jahren quälten fünf junge Männer einen Obdachlosen aus Blankenfelde in einer
Gartenlaube zu Tode. Einen Aufschrei des Entsetzens löste der Mord an dem
Sonderschüler Marinus Sch. aus Potzlow aus. Die drei Täter im Alter von 17
bis 22 waren dem 16jährigen Opfer mit Springerstiefeln auf den Kopf
gesprungen, hatten ihm einen Betonklotz auf den Schädel geworfen und die
Leiche schließlich in einer Jauchegrube verscharrt. Die Richter griffen hart
durch und verhängten in der Regel mehrjährige Haftstrafen. So muß zum
Beispiel einer der Mörder von Marinus für 15 Jahre ins Gefängnis, die beiden
Mittäter achteinhalb bzw. drei Jahre.
Nach Einschätzung von Dietmar Sturzbecher, Leiter des brandenburgischen
Instituts für angewandte Familien‑, Kindheits- und Jugendforschung (IFK),
gibt es “einen gewissen Bodensatz” von gewaltbereiten Jugendlichen und
jungen Erwachsenen. Der liegt nach der Untersuchung seines Instituts bei
fünf Prozent aller Jungen zwischen zwölf und 18 Jahren und bei 0,5 Prozent
der Mädchen in diesem Alter. “Das sind diejenigen, die sich mehrfach in der
Woche heftig prügeln und ihren Spaß dabei haben”, sagt Sturzbecher. Dieser
Anteil sei in den vergangenen Jahren aber relativ stabil geblieben. Dem
gegenüber stehe ein “wachsender Anteil von Jugendlichen, die sich strikt
gegen Gewalt wehren.” Sturzbecher sieht gleichwohl einen klaren Zusammenhang
zwischen Gewaltbereitschaft und Rechtsextremismus; letzterer wirke
“offensichtlich enthemmend”.
Gelassener reagiert Thomas Melzer, Sprecher der brandenburgischen
Justizministerin Beate Blechinger. Der CDU-Politiker war elf Jahre lang
Jugendrichter in Frankfurt/Oder und Schwedt. Einen Trend zu zunehmender
Gewaltbereitschaft konnte er in seiner jahrelangen Praxis nicht verzeichnen.
“Es gab brutale und schwerwiegende Fälle am Anfang wie am Ende”, sagt
Melzer. Seiner Erfahrung nach übten Jugendliche Gewalt zumeist unter
Gleichaltrigen aus — eine Art Kräftemessen oder ein Kampf um die Macht.
“Viele Jugendliche durchleben eine Phase, in der sie glauben, nichts zu
verlieren zu haben — auch durch Anwendung von Gewalt nicht”. Freundin, Frau,
Kind oder die geregelte Arbeit führten jedoch mit oft erstaunlicher
Schnelligkeit so manchen früheren Übeltäter ins bürgerliche Leben. Melzer:
“Wo etwas wächst, wächst auch die Befürchtung, es wieder verlieren zu
können.
Sie zündeten einen Menschen an — aus Ärger
Hohe Haftstrafen für zwei Männer wegen Mordversuchs
(Berliner Zeitung)FRANKFURT (ODER). “Eigentlich reichen alle Strafen der Welt nicht aus, um
das, was Sie getan haben, wieder gutzumachen.” Es sind die letzten Worte,
die der Vorsitzende Richter Andreas Dielitz am Dienstag vor dem Landgericht
in Frankfurt (Oder) in seiner knapp einstündigen Urteilsbegründung spricht.
Zuvor hatte er zwei junge Männer wegen gemeinschaftlich begangenen
versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung zu hohen Haftstrafen
verurteilt. Der 19-jährige Steven G. erhielt eine Jugendstrafe von vier
Jahren und zehn Monaten, der 23-jährige Stefan K. muss für sieben Jahre und
sechs Monate ins Gefängnis.
Die beiden damaligen Freunde hatten im Juni 2004 nach einem langen
Fußballabend vor dem Fernseher versucht, in Beeskow einen Mann bei
lebendigem Leibe zu verbrennen. Das Opfer: der Obdachlose Jürgen W. Der
38-Jährige schlief in jener Nacht wie so oft auf einer Parkbank. Er war
volltrunken, konnte auf nichts mehr reagieren, wie Dielitz in seiner
Urteilsbegründung sagt. “Sie kannten den Mann, wussten, dass er dort öfter
schläft, wussten, dass er dem Alkohol zuspracht. Sie fanden, dieser Mann war
nichts wert”, sagt der Richter. Es war versuchter Mord aus niederen
Beweggründen.
Nach Angaben des Gerichts durchsuchten Stefan K. und Steven G. den
Schlafenden. Denn, so sei deren Auffassung gewesen, wer Bier der Marke Kindl
neben der Bank zu stehen habe, der müsse doch etwas Geld besitzen. Doch die
beiden Freunde fanden nur Schlüssel, einen Personalausweis und Zigaretten.
Sie beschimpften Jürgen W. als “Penner”, urinierten sogar auf ihn. “Damit
haben sie den Mann noch erniedrigt”, sagt Richter Dielitz.
Doch was dann folgte, sei, so Dielitz, an Brutalität und Roheit kaum zu
überbieten: Erst wollte Stefan K. den Schlafenden mit einem Schraubendreher
“abstechen”. Dann aber steckten beide den Anorak des Schlafenden, den dieser
sich über den Kopf gezogen hatte, an zwei Stellen an. Sie sahen noch ein
wenig zu, wie sich das Feuer ausbreitete und ran
nten schließlich weg. Aus
150 Meter Entfernung schauten sie noch einmal zurück und sahen, wie die
Flammen etwa einen Meter hoch schlugen.
“Dass Sie den Mann nur ärgern wollten, hat das Gericht Ihnen nicht
abgenommen”, sagt Dielitz. Denn wer einen Volltrunkenen, der nicht mehr
reagiert, ansteckt, der kann nicht damit rechnen, dass sich der Mann selbst
aus seiner misslichen Lagen befreien und löschen kann. Dass Jürgen W.
überlebte, ist laut Dielitz nur einer jungen Frau zu verdanken. Sie hielt
kurz nach der Tat gegen 0.30 Uhr mit ihrem Auto an, weil sie die Flammen
sah. Sie löschte das Feuer und erlitt dabei selbst Verletzungen.
“Hochachtung vor dieser Frau”, sagt der Richter. Zu dieser Zeit sei auch
Stefan K. zurück zum Tatort gekommen. Der 23-Jährige, der die Tat vor
Gericht bestritten hatte, sagte im Beisein der jungen Frau: “Hej, du
brennst, haste dich angesteckt mit deiner Zigarette.” Dielitz hält dem
jungen Täter vor: “Das war äußerst verwerflich. Ihnen war es egal, was mit
dem Mann passiert.”
Jürgen W. kam mit schwersten Verbrennungen ins Unfallkrankenhaus Marzahn. 35
Prozent seiner Hautoberfläche — an Armen, Oberkörper und Kopf — waren
verbrannt. Der Mann musste sich zehn chirurgischen Operationen unterziehen.
Er lag wochenlang im Koma. “Es ist verdammt knapp gewesen”, sagt Richter
Dielitz. Die Tat sei der Vollendung sehr nahe gewesen.
Jürgen W. lebt jetzt in einer anderen Stadt. Doch die Nacht wird er nicht
vergessen, er wird sein Leben lang entstellt bleiben.
Mehrjährige Haftstrafen für Brandanschlag auf Obdachlosen
(MOZ)Beeskow (ddp) Für den Brandanschlag auf einen Obdachlosen in Beeskow sind
mehrjährige Gefängnisstrafen verhängt worden. Das Landgericht Frankfurt
(Oder) verurteilte den 19-jährigen Steven G. am Dienstag zu vier Jahren und
zehn Monaten Jugendhaft. Der 23 Jahre alte Stefan K. muss siebeneinhalb
Jahre hinter Gitter. Beide wurden des gemeinschaftlichen versuchten Mordes
und der schweren Körperverletzung schuldig gesprochen.
Die beiden Männer haben nach Überzeugung der Kammer am 16. Juni 2004 einen
hilflosen Obdachlosen auf einer Parkbank aus niederen Beweggründen beraubt
und anschließend angezündet. Der damals 35-Jährige habe nur dank der
Zivilcourage einer Passantin und intensivmedizinischer Betreuung in einem
Krankenhaus überlebt. 35 Prozent seiner Hautoberfläche seien verbrannt,
sagte der Vorsitzende Richter. Die Angeklagten hätten den Tod, dem das Opfer
nur knapp entgangen sei, billigend in Kauf genommen.
Die Staatsanwältin äußerte in einer ersten Reaktion, das Urteil sei der Tat
und der Schuld angemessen. Sie hatte sechs sowie neun Jahre Haft gefordert.
Auch der Anwalt des 19-Jährigen sagte, sein Mandant sollte das Urteil
annehmen. Die Strafe liege nur wenig über den von ihm geforderten vier
Jahren. Dagegen will der Verteidiger des 23-Jährigen prüfen, ob er
Rechtsmittel einlegt. Er hatte auf Freispruch plädiert.