Frau Walz, 25 Jahre lang haben Sie Überlebende aus dem Frauen-KZ Ravensbrück
interviewt. Auf welche Weise hat dieser Weg begonnen?
Walz: . Damals war ich eine junge Filmemacherin ohne politische Heimat.
Weder konnte ich mich mit Parteien, noch Politikern oder anderen
Organisationen identifizieren. Gleichwohl hatte ich politische Interessen
auf der einen Seite sowie ein künstlerisches auf der anderen. Ich wollte
Filme machen mit der damals noch sehr jungen Videotechnik.
Hatten Sie da schon die Idee, einen Film über Ravensbrück zu drehen?
Walz: Ich wurde das erste Mal 1979 zu einem Treffen der “Lagergemeinschaft
Ravensbrück” mitgenommen. Die Lagergemeinschaft ist ein Zusammenschluss von
überlebenden Frauen, die sich organisiert hatten und jährliche Treffen
veranstalteten. Und auf einmal kam alles zusammen. Mein Wunsch, politische
Filme zu machen und die Begegnungen in Ravensbrück. Hinzu kam, dass die
Frauen selbst ein Interesse daran hatten, ihre Erinnerungen festzuhalten.
Somit war also das Projekt geboren?
Walz: Es ist natürlich ein Prozess gewesen, aber das Prinzip war ganz
einfach. Die Frauen wollten ihre Geschichte erzählen und ich habe ihnen dann
angeboten, ihnen zuzuhören und sie aufzunehmen. Und dennoch gab es dann
einen Unterschied zwischen der eigenen, selbst erlebten Erinnerung, die mit
Schmerz verbunden ist, und der historischen Auseinandersetzung.
Heißt das im Umkehrschluss, dass die intellektuelle Reflektion nichts mit
der persönlichen zu tun hat?
Walz: Diejenigen Frauen, die ich kennen gelernt habe, waren es nicht
gewöhnt, von sich zu sprechen. Über den Nationalsozialismus, ja, über die
Gefahren von Neonazismus auch, aber in diesen Schilderungen ist noch nicht
unbedingt der Mensch anwesend, sondern eine Gruppe, hinter der man sich erst
einmal verstecken kann. Dies gehört zu den ganz natürlichen
Schutzmechanismen von Opfern.
Ihr Film spiegelt eine große Intimität wieder. Dieses Vertrauen haben Sie
offensichtlich und letztendlich auch bekommen.
Walz: Ich habe es meist bekommen, das stimmt, und ich habe die Frauen dafür
auch immer bewundert. In den ersten Jahren meiner Arbeit hatte ich oft das
Gefühl, dass ich nicht alles erzählt bekomme. Ich wusste, dass es Bereiche
gab, in die ich keinen Zugang hatte. Oft aus dem einfachen Grund, weil die
Befragten selbst nie darüber gesprochen haben. Aber im Laufe der Jahre haben
sich natürlich auch Beziehungen zwischen mir und den Frauen entwickelt.
Alles in allem war die Arbeit an dem Film ein langer und manchmal auch
schwieriger Weg.
Kann man sagen, dass die “Lagergemeinschaft” eine politische Organisation
ist?
Walz: Ich würde es so nennen: die Gemeinschaft hat ein politisches
Interesse. Nämlich das Ziel, die Erinnerung an die Zeit der Verfolgung und
Haft festzuhalten. Dabei spielt es keine Rolle, aus welchem Grund die Frauen
verhaftet wurden, denn die “Lagergemeinschaft Ravensbrück” ist ein
Zusammenschluss aller Häftlinge. Ganz gleich, ob politisch Verfolgte,
Jüdinnen oder Sinti und Roma.
Sprechen politische Häftlinge anders über ihre Erinnerungen als
beispielsweise Jüdinnen, die aus rassistischen Gründen inhaftiert waren?
Walz: Meiner Ansicht nach gibt es diesen Unterschied in der Tat. Es ist
etwas völlig anderes, zu wissen, aus welchem Grund man im Lager ist. Man
weiß, dass man wissentlich oppositionell gehandelt hat und man kennt die
Strafe. Wobei viele der Frauen, die im Ausland politischen Widerstand
geleistet haben, Repressalien ohnehin gewohnt waren. Sie kannten die
Polizeistationen und Verhöre, einige waren auch schon mal für ein, zwei Tage
in Haft. Ravensbrück war allerdings auch für diese Frauen eine ganz neue
Dimension.
Können diese so genannten “schuldigen” Frauen ihre Erlebnisse besser
verarbeiten, im Gegensatz zu den Jüdinnen?
Walz: Sie können es anders. Der Grad der Demütigung einer Sinti, die
beispielsweise mit ihrem Kind aufgrund ihrer Identität verschleppt wird, ist
ein ungleich größerer als der einer Widerstandskämpferin. Dennoch ist das
Leid, das die “Schuldigen” erleben, ja haargenau das gleiche, nur mit dem
Unterschied, dass sie den Grund ihrer Haft kennen.
Und in wieweit spielen nationale oder kulturelle Unterschiede in den
Schilderungen der Frauen eine Rolle?
Walz: Sie spielen eine sehr große Rolle, weil der Umgang mit KZ-Häftlingen
in den Ländern unterschiedlich war. Schauen Sie, die französischen
Widerstandskämpferinnen haben militärische Ränge bekommen, sie wurden als
Offizier des Widerstands geehrt. Während die Frauen aus der Sowjetunion
nicht über ihre Vergangenheit sprechen konnten, weil man in Russland
beispielsweise als Landesverräterin galt, wenn man in die Hände des Gegners
kam.
Bedeutet es dann, dass die Fähigkeit über Erlebtes zu sprechen, immer auch
mit der Entwicklung des eigenen Landes in Bezug auf seine
Geschichtsverarbeitung verknüpft ist?
Walz: Erinnerung findet immer im Hier und Heute statt und sie ist mit der
gesellschaftlichen Akzeptanz verbunden. Als man in Westdeutschland anfing,
Opfer als Zeitzeugen in die Schulen einzuladen, hat dieses gesellschaftlich
viel bewirkt, oder denken Sie an die amerikanische Serie “Holocaust”. Und
auch mein Film, sowie das Buch waren und sind mit der politischen und
gesellschaftlichen Gegenwart meines Landes verbunden.
Hätten Sie diesen Film, so wie er ist, schon vor 20 Jahren machen können?
Walz: Ganz eindeutig nein. Allein schon aus dem Grund, weil ich vor 25
Jahren nicht die Möglichkeit gehabt hätte, nach Ost€pa zu reisen, um dort
Überlebende zu finden und zu befragen. Aber nun, nach 60 Jahren Befreiung
des KZ Ravensbrück ist es nun endlich Zeit, einen umfassenden Film über
dieses Lager zu haben. Mittlerweile sind auch schon zahlreiche Frauen, die
ich interviewt habe, gestorben. Diese Erinnerungen sind wertvoll und sie
sind auch nötig.
Sie haben starke und stolze Frauen getroffen. Auch fällt es auf, dass in
Ihrem Film keine Tränen fließen. Was haben Sie von diesen Frauen gelernt?
Walz: Ich habe die Frauen genauso wie Sie erlebt, als stark und stolz und
vor allem als sehr schön. Sie glauben gar nicht, wie viele vor den Aufnahmen
noch einmal die Lippen nachgezogen oder Schmuck angelegt haben. Eine Frau
sagte mir sogar, dass sie auf keinen Fall weinend gezeigt werden wolle, für
den Fall, dass der Postbote den Film sehen könne und wie würde denn das
aussehen? Diese Frauen haben mir die Angst vor dem Alter genommen.
Und was haben Sie aus Ihrem eigenen Film mitgenommen, außer den Berichten
über die Zustände im Lager?
Walz: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, was ich tatsächlich gelernt
habe und nie für möglich gehalten hätte, ist die Tatsache, was der Mensch in
der Lage ist, alles auszuhalten. Und am Ende behält das Leben seine
Kontinuität und geht weiter. Ist das nicht ermutigend?
Heute im RBB: “Die Frauen von Ravensbrück”, 22.45 Uhr
Loretta Walz: “Und dann kommst dahin an einen schönen Sommertag”, Die Frauen
von Ravensbrück, Verlag Antje Kunstmann, 24,50 Euro