Kurdisch-türkische Familie aus dem Asylbewerberheim
Hohenleipisch geholt und
per Charterflugzeug ausgeflogen
(LR, 21.1.) Einen dramatischen Verlauf nahm gestern der inzwischen über fünf Jahre
währende Versuch, eine fünfköpfige kurdisch-türkische Familie abzuschieben.
Unter hoher Geheimhaltungsstufe und mit starkem Aufgebot an Polizei und
Rettungskräften wurde die Familie in den späten Nachmittagsstunden aus dem
Asylbewerberheim in Hohenleipisch (Elbe-Elster-Kreis) abgeholt. Noch am
gestrigen Abend sollte sie mit einer eigens für sie bereitgestellten
Chartermaschine ausgeflogen werden.
Dramatisch war das Abschiebeverfahren vor allem geworden, nachdem der
Ehemann angedeutet haben soll, im Fall seiner Abschiebung sich und seiner
Familie Gewalt anzutun. Die Polizei hatte den Mann deshalb gestern zunächst
in Gewahrsam genommen und einer Richterin im Amtsgericht Bad Liebenwerda
vorgeführt.
Kirchenasyl in Tröbitz
Für Aufsehen hatte der Fall der 1996 aus der Osttürkei nach Deutschland
gekommenen Familie Halime und Gazi Filiz mit ihren drei Kindern schon länger
gesorgt (die RUNDSCHAU berichtete). Als im Jahr 2002 das
Oberverwaltungsgericht in Frankfurt (Oder) entschied, dass kein Asylgrund
vorliege, drohte der Familie die Abschiebung. Aufsehen und Empörung gab es
schließlich, als die Eltern und ihre drei Kinder im April des vergangenen
Jahres aus dem Kirchen asyl in Tröbitz geholt und zeitweise getrennt wurden.
Die Eltern wurden in Abschiebehaft nach Eisenhüttenstadt gebracht. Die
damals eineinhalb, drei und fünf Jahre alten Kinder kamen in ein Heim nach
Fürstenwalde. Erst heftiger öffentlicher Protest brachte den Landkreis zum
Einlenken. Noch am gleichen Abend saßen Eltern und Kinder schließlich wieder
im Asylbewerberheim Hohenleipisch an einem Tisch. Festgelegt wurde, dass die
Familie so lange bleiben dürfe, bis ein medizinisches Gutachten vorliegt.
Dabei sollte ermittelt werden, ob der Gesundheitszustand der Familie eine
Ausweisung in die Türkei zulässt. Schon im November vergangenen Jahres lag
das Gutachten, angefertigt von einer Berliner Ärztin, vor. Dennoch wollte
der Landkreis damals nicht gleich entscheiden, sondern ließ den zuständigen
Ordnungsdezernenten Dr. Erhard Haase erklären: «Wir setzen uns da nicht
unter Druck.»
Hintergrund: Das Gutachten war mit medizinischen Fachbegriffen gespickt -
der Amtsarzt des Kreises sollte es «übersetzen» , um der Verwaltung eine
«Entscheidungshilfe» zu geben. Dann wollte der Landrat nach «Recht und
Gesetz» entscheiden. Diese Entscheidung, so Dr. Eberhard Haase, sei nun
«nach Prüfung aller Umstände» mit der «Feststellung der Ausreisepflicht»
gefallen. In dem psychiatrischen Gutachten — die Ehefrau litt unter
Depressionen — sei man zur Auffassung gelangt, dass «eine Traumatisierung
nicht vorliegt» . Anerkannt werden allerdings die enormen «psychischen
Belastungen der Ausreisepflichtigen» , so Dr. Haase.
Nicht informiert
Die Familie war von der endgültigen Abschiebung am gestrigen Tag vorher
nicht informiert worden. «Wir mussten nach den Äußerungen von Gazi Filiz
befürchten, dass der Vater sich und der Familie etwas antut und haben
deshalb um Amtshilfe bei der Polizei gebeten» , so Dr. Haase. Gleichfalls
habe man die enorme psychische Belastung beachtet. «In der Chartermaschine
wird medizinisches Personal mitfliegen und auch am Zielort werden sie
ärztlich betreut» , so der Ordnungsdezernet.
Nach der Gewahrsamsnahme war Gazi Filiz nochmals der Richterin vorgeführt
worden. Um 19 Uhr fiel die Entscheidung. Der Transport durch die Polizei
wurde durch das Gericht genehmigt. Damit wurde auch Gazi Filiz zum Flugplatz
gefahren. Seine Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt mit den Kindern bereits auf
dem Weg dorthin.
Ihnen hinterher fuhren auch der Tröbitzer Pfarrer Stefan Branig und sein Bad
Liebenwerdaer Kollege Thomas Meißner. Beide erreichte die RUNDSCHAU am
Funktelefon, als sie bei Duben die Autobahn befuhren. Die Pfarrer zeigten
sich enttäuscht, dass die Bemühungen um ein Bleiberecht augenscheinlich
nicht zum Erfolg geführt hatten. «Wir telefonieren gerade mit den
zuständigen Anwälten in der Kirche, um doch noch einen Abschiebestopp zu
erzwingen» , erklärte Meißner. Für Pfarrer Branig “ist das menschlich eine
Katastrophe, und von langer Hand vorbereitet”, was da gestern passierte.
Branig glaubt, dass es nun wohl für den Landkreis an der Zeit gewesen sei,
die Abschiebung durchzusetzen.
In Hohenleipisch war es in den vergangenen Wochen zu tumultartigen
Auseinandersetzungen gekommen, weil einige Asylbewerber anstelle der
Berechtigungsscheine für den Bekleidungskauf Bargeld eingefordert hatten.
Pfarrer Branig verwies im RUNDSCHAU-Gespräch erneut darauf, dass der Familie
in ihrer Heimat Schaden zugefügt werden könnte. In Mardin, einer Stadt in
der Ost-Türkei in Grenznähe zum Irak, würden noch strenge Rituale gelten.
Die Ehe von Halime und Gazi Filiz sei, so Branig, nicht von den Eltern
gewünscht und auch nicht vor dem dortigen Geistlichen geschlossen worden.
Branig will von einem Fall wissen, wo ein Paar in der gleichen Situation
gesteinigt worden sein soll. «Sie müssen sich mal in das Paar
hineinversetzen: Die Eheleute sind in Familienschande gegangen und kommen
nun wieder, ohne in Deutschland etwas erreicht zu haben. Also wieder in
Schande» , erklärte Branig tief erregt.
Bei vielen, die gestern irgendwie mit dem Fall beschäftigt waren, erntete
das nunmehr fast sechsjährige Abschiebeverfahren nur noch Kopfschütteln. Man
zeigte Ver ständnis für die Lage der Familie, mahnte aber auch die Kosten
an, die durch das jahrelange Hickhack aufgelaufen waren. Allein das für
gestern eigens gebuchte Charterflugzeug soll über 50 000 Euro gekostet haben.
Geheime Kommandosache
Fünfköpfige Kurdenfamilie aus Brandenburg per Charterflugzeug in die Türkei abgeschoben
(Tagesspiegel, Peter Jähnel) Herzberg. Die jahrelange Odyssee einer fünfköpfigen kurdischen Familie aus
dem Asylbewerberheim Hohenleipisch (Elbe- Elster-Kreis) durch deutsche
Gerichtsinstanzen ist zu Ende: Sie wurde am Mittwoch in die Türkei
abgeschoben. Die Polizei habe die Eltern und ihre drei kleinen Kinder am
Dienstag aus dem Heim geholt, sagte der Ordnungsdezernent Erhard Haase von
der Kreisverwaltung in Herzberg. Er bestätigte damit einen Bericht der
“Lausitzer Rundschau”. Ein Charterflugzeug brachte die Kurden vom Flugplatz
Bremen in ihre Heimat.
Die Aktion lief wie eine geheime Kommandosache ab. Weil der 34- jährige Mann
gedroht hatte, im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas
antun zu wollen, nahm ihn die Polizei unmittelbar davor in Gewahrsam.
Während des Fluges in die Türkei wurde die Familie mit ihren Kindern im
Alter von zwei bis sechs Jahren von Beamten des Bundesgrenzschutzes sowie
von Ärzten begleitet. “Wir haben bei dem Abschiebeverfahren nach Recht und
Gesetz gehandelt”, betonte Haase. Für eine mögliche medizinische Behandlung
der Familie sei auch in der Heimat gesorgt.
Pfarrer Stefan Branig aus Tröbitz (Elbe-Elster) bedauerte den Ausgang des
seit 1997 laufenden Asylverfahrens: “Wir haben versucht, alles zu tun, um
der Familie zu helfen.” Dann fügte er hinzu: “Der Mann war in der Region der
osttürkischen Stadt Stadt Mardin unweit der Grenze zum Irak Dorfschützer
gewesen, um die Bevölkerung vor Anschlägen der kurdischen PKK-Organisation
zu bewahren.” Er müsse nun damit rechnen, nach seiner unfreiwilligen
Rückkehr verhaftet und verh&
ouml;rt zu werden. “Die türkischen Behörden werden
sich fragen, warum Deutschland diesen Mann unbedingt loswerden wollte.”
Die Kurdenfamilie sollte bereits im Februar 2003 abgeschoben werden,
flüchtete jedoch ins Kirchenasyl nach Tröbitz (Elbe-Elster).
Von dort holte sie eine Gerichtsvollzieherin Mitte April unter Polizeischutz
heraus. Bei dem Vorfall wurden die Kinder zeitweise von ihren Eltern
getrennt. Sie kamen jedoch nach öffentlichen Protesten am selben Tag wieder
zu ihnen zurück.
Das Paar war im November 1996 nach Deutschland gekommen und hatte im Oktober
1997 den ersten Asylantrag gestellt. Als die drei Kinder geboren wurden,
beantragten sie auch für diese Asyl. Alle Anträge wurden jedoch abgelehnt,
Klagen dagegen blieben erfolglos. Im September 2002 fiel dazu die letzte
Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder). Seitdem lief das
Abschiebeverfahren.
Nach Beratungen mit der Kirche gab der Landkreis Mitte 2003 ein
psychiatrisches Gutachten bei einer Berliner Ärztin in Auftrag. Diese habe
bei der 24 Jahre alten Frau der Kurdenfamilie keine Depression festgestellt,
allerdings eine große psychische Belastung wegen der bevorstehenden
Ausreise, erläuterte Haase.
Die Anwältin der Familie versuchte dann noch am Dienstag beim
Verwaltungsgericht Cottbus, per Eilantrag die Abschiebung zu verhindern. Das
Gericht lehnte das ab. Damit musste die kurdische Familie ihre letzte
Hoffnung begraben, in Deutschland ein zweites Zuhause zu finden.