NEURUPPIN/TARMOW „Er ist rausgekommen. Da haben wir ihn geschnappt, ihm eine gescheuert und wieder losgelassen.“ Ähnlich wie der während der Gerichtsverhandlung zumeist grinsende Hans Erich S. sah in der gestrigen Verhandlung vor der Jugendschöffenkammer des Neuruppiner Amtsgerichts auch Nico N. das, was sich an einem Abend im Oktober 2003 in Tarmow zugetragen hat: „Ich habe ihn geschubst.“ Franco P., der Dritte im rechtsextremen Bunde, erinnerte sich daran, dem Schüler André M. „eine geknallt zu haben. Vielleicht habe ich ihn auch ein bisschen gestupst.“ Das Stupsen erfolgte, wie sich später herausstellte, mit Stahlkappen bewehrten Springerstiefeln. Das Trio tischte dem Gericht weitere Lügen auf. Man wollte André M. bestrafen, weil dieser Kinder im Dorf geohrfeigt habe.
Richter Veith Burghardt hörte sich die beschönigenden Reden der Angeklagten ein Weilchen an. Dann verordnete er fünf Minuten Pause. Nicht zur Erholung, sondern zum Nachdenken: „Ich habe mir ihre Märchenstunde etwas gemütlich angehört. Jetzt ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Sie haben noch einmal die Möglichkeit, mit einem Geständnis eine Menge zu reißen. Ansonsten ziehe ich alle Register.“ Die Anwälte nutzten die Chance, ihren Mandanten ins Gewissen zu reden. Und so kamen die drei jungen Männer mit ihren folgenden Aussagen der Wahrheit und damit der Anklageschrift deutlich näher.
An jenem Oktoberabend langweilte man sich in der Bushaltestelle. Gegenüber dieser, dass wussten die Jugendlichen, wohnte André M. Was sie auch meinten zu wissen: Da dieser eine Punkfrisur trug und damit als links galt, passte er nicht in das Weltbild der drei, die ihre Zimmer mit Aschenbecher schmückten, auf denen Hakenkreuze und Hitler-Konterfeis zu sehen waren. Ein zufällig an der Haltestelle vorbeikommender Junge wurde angewiesen, den Punk aus dem Haus zu locken. Aus einem Hinterhalt heraus griffen ihn Erich S., Franco P. und Nico N. an, stießen ihn nieder und traten ihn mit Springerstiefeln und Stahlkappenschuhen, bis sich ihr Opfer in Sicherheit bringen konnte. Sie verfolgten ihn bis zu dessen Wohnhaus und beschimpften ihn sowie seine Mutter als Judenschweine, die aus Tarmow zu verschwinden hätten. Richter Burghardt ging mit den Rechtsradikalen hart ins Gericht: „Drei Glatzen glauben, jemanden vorschreiben zu dürfen, wie er sich zu verhalten und wo er sich aufzuhalten hat.“ Nur Nico N., der einst zum Einflusskreis des sogenannten Opa Lange, einem Neuruppiner Rechtsradikalen, gehörte, hat sich für das Gericht glaubhaft von dieser Szene getrennt.
Nico N. und Franco P. kamen zudem an einem weiteren Oktoberabend 2003 „irgendwie auf die Idee“, den Jüdischen Friedhof in Fehrbellin mit Nazi-Parolen zu schänden. Hans Erich S. will dabei nur rumgestanden haben. „Ich muss das wohl aus meiner Gesinnung heraus gemacht haben“, verkündete Franco P. Diese Gesinnung die er nach eigenem Bekunden bis heute nicht abgelegt hat, ließ ihn im März 2004 mit anderen Tätern nochmals nach Fehrbellin kommen, um wiederum den Jüdischen Friedhof zu besudeln. Die gesondert verfolgten Mittäter sollen anschließend nach Neuruppin gefahren sein, um den dortigen Jerusalemhain ebenfalls mit Nazi-Parolen zu schänden. Was die Nazis einst über die Tore von Konzentrationslagern schrieben, sprühte das Duo ans Jerusalem-Denkmal: „Arbeit macht frei“ und „Jedem das Seine“.
Richter Burghardt statuierte gestern ein Exempel. Statt der vom Staatsanwalt geforderten Verwarnungen und Arbeitsstunden sowie für Franco P. zwei Wochen Jugendarrest, verhängte er Bewährungsstrafen zwischen sechs und neun Monaten. Burghardts Schlusswort: „Es liegt an Ihnen, wie Sie Ihre Zukunft gestalten. Das war´s.“