Sechs Kleinkriminelle am Bahnhofsvorplatz gefasst, mehr Delikte in den Seitenstraßen
ERKNER Zwischen Erkner und Grünheide einer Polizeistreife zu begegnen, ist heute unwahrscheinlicher als noch vor drei Wochen. Seit die Erkneraner Polizei Vorreiter beim Pilotprojekt “Videoüberwachung öffentlicher Plätze” ist, sitzt die halbe Wachbelegung vor dem Bildschirm. Nicht, dass
die Ordnungshüter fernsehsüchtig wären. “Man ist schon froh, wenn es vorbei ist”, gesteht Polizeihauptmeister Frank Wiesenberger mit rotgeränderten Augen. Natürlich, Erkner hat
einen schönen Bahnhofsvorplatz. Fünfeinhalb Millionen Mark haben sich Stadt und Land die Sanierung kosten lassen. Bloß: Wenn man acht oder gar zwölf Stunden auf den Monitor starrt, kann man auch den schönsten Bahnhofsvorplatz nicht mehr
sehen.
Frank Wiesenberger ist der “Video-Operator” vom Dienst. Drei Bildschirme hat er vor sich, einen Joystick, mit dem er die Kameras am Bahnhof drehen, schwenken und zoomen lassen kann und zwei Alarm-Schalter, um beim Verdacht einer Straftat die Videoaufzeichnung zu starten. Immerhin: Sechs Straftäter konnten dank der modernen Technik bislang überführt werden, darunter zwei Jugendliche, die die Bushaltestelle mit einem
Filzstift bekrakeln wollten und “ein angetrunkener Radfahrer, der Schlangenlinien vor einem Bus fuhr”, berichtet Wachdienstführer Andreas Frommholz.
Seit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) die Anlage vor drei Wochen feierlich in Betrieb nahm, sind die Straftaten auf dem Bahnhofsvorplatz deutlich zurückgegangen. Eine schöne Sache, findet Frommholz, nur: “Schon jetzt registrieren wir mehr Delikte in den Seitenstraßen, wo keine Kameras hängen.” Zudem binde die Videoüberwachung in einer ohnehin schon angespannten Personalsituation Polizeibeamte an einen Ort, von dem sich die Kriminalität gerade weg verlagere. Dabei hat die Polizeiwache Erkner noch mehr zu tun als den Bahnhofsvorplatz zu bewachen, der vielen Kunden des
Aldi-Marktes als Parkplatz dient.
Sechs Gemeinden in einem rund zehn mal zehn Kilometer großen
Gebiet am Südostrand der Hauptstadt, 33 000 Menschen, und 15 Kilometer dreispurige Autobahn — das ist der Wachbereich Erkner. “Eigentlich müsste ich drei Streifenwagen besetzen”, erzählt Frommholz, “aber ich hab nur Leute für zwei.” Von den beiden muss sich seit drei Wochen einer ständig in der Nähe des Bahnhofsvorplatzes aufhalten. Denn ohne Polizeibeamte,
die kurzfristig eingreifen können, hätte die Videoüberwachung ja keinen Sinn.
Und das wäre fatal, nach all den Anstrengungen, die nötig waren, das Projekt auf den Weg zu bringen. Nicht nur den Widerstand des großen Koalitionspartners SPD musste der Innenminister aufweichen. Es war gar nicht so einfach, geeignete Kriminalitätsschwerpunkte in Brandenburg zu finden. Im sächsischen Leipzig hatte die 1996 eingeführte Videoüberwachung des Hauptbahnhofs positive Resultate gebracht, Taschendiebstähle und Autoeinbrüche sollen fast um die Hälfte zurückgegangen sein. Doch einen Leipziger oder Hamburger Hauptbahnhof, mit einer Drogenszene, einer lokal konzentrierten Gewalt- und Beschaffungskriminalität, gibt es im Flächenland Brandenburg nicht. Also musste man mit Kriminalitätsschwerpunkten zweiter Wahl vorlieb nehmen — wie dem Bahnhofsvorplatz Erkner. Hier wurde zwar noch niemand von drogensüchtigen Desperados überfallen, aber in der Vergangenheit gab es überdurchschnittlich häufig Fahrradklau.
Schließlich steht hier auch der größte Fahrradständer der Stadt.
“Mit weniger Aufwand mehr Sicherheit schaffen” lautet das
Credo der überwachungs-Befürworter von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) bis hin zum Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie. Doch die ersten Feldversuche nähren Zweifel. “Die ganze Argumentation ist
einfach Unfug”, meint Andreas Schuster, Landeschef der
Gewerkschaft der Polizei (GdP). “Mit zwei Streifenpolizisten kann man an einem Ort wie dem Bahnhofsvorplatz den gleichen oder gar einen besseren Effekt erzielen”, sagt Schuster, “und die haben gegenüber einer Videokamera den Vorteil, dass die
Bürger sie ansprechen können.” Die überwachungsanlage verursache nicht nur Kosten für Installation, Wartung und
Gebühren für die Datenleitungen, auch die Personalkosten seien höher: “Eine Anlage wie die in Erkner bindet je Schicht mindestens drei Beamte.”
Drei weitere überwachungsanlagen sollen im Rahmen des
Brandenburger Pilotprojekts in wenigen Wochen folgen: in
Potsdam, Rathenow und Bernau. Mit 70 000 Euro soll die
Installation der Kameras zu Buche schlagen, danach fallen
nach Information des Innenministeriums jährlich laufende Kosten von 255 000 Euro an. Nicht enthalten in der Rechnung sind die Dienstbezüge der 20 Beamten, die vor den Monitoren sitzen werden.
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