Cottbuser SPD wirft der Oberbürgermeisterin Karin Rätzel heimliche Kontakte
zum Hamburger Rechtspopulisten vor
(Tagesspiegel, 1.9.) Cottbus. Es sollte ein unaufgeregter Wahlparteitag werden: Die Cottbuser
Sozialdemokraten wollten am Sonnabend ihre Kandidaten für die Kommunalwahl
in Brandenburgs zweitgrößter Stadt bestimmen. Doch dann meldete sich der
Stadtverordnete Volker Thummerer zu Wort, sagte einige Sätze zur Arbeit der
SPD-Fraktion — und schwenkte dann drei Seiten Papier durch die Luft. ”
Oberbürgermeisterin Karin Rätzel ist Sympathisantin der Schill- Partei!”
rief er. “Jetzt wissen wir endlich, mit wem wir es zu tun haben. Es wird
Zeit, Frau Rätzel zur Verantwortung zu ziehen!”
Die meisten Genossen reagierten empört auf die vermeintliche Enthüllung. Das
habe man ja schon immer geahnt, jetzt wisse man auch, wie die
Oberbürgermeisterin ihren Wahlkampf finanziert habe, und warum die
Schill-Partei bei der anstehenden Wahl im Oktober in Cottbus antreten wolle.
“Frau Rätzel hat die Schill-Partei nach Cottbus geholt”, rief ein Genosse
erregt.
Das Verhältnis der Cottbuser SPD zu Karin Rätzel ist gestört, seit diese aus
der Partei austrat, weil einige Genossen sich aktiv an ihrer Abwahl als
Finanzdezernentin der Stadt vor einigen Jahren beteiligt hatten. 2002 dann
trat Rätzel bei der Oberbürgermeister-Wahl als parteilose Einzelkandidatin
gegen die etablierten Parteien an — und gewann.
Volker Thummerer gehört seit Beginn ihrer Amtszeit zu Rätzels größten
Widersachern. “Ich wollte den Bürgern und meiner Partei klar machen, mit wem
wir es bei Frau Rätzel zu tun haben”, sagte er dem Tagesspiegel. “Auch, weil
es einige Genossen gibt, die sie wieder in die SPD holen möchten.
Bei seinen Papieren handelt sich um eine E‑Mail vom 5. Oktober 2001, in der
Rätzel der Schill-Partei zum Wahlerfolg in Hamburg gratuliert. “Wir würden
gern das Interesse ihrer Partei erwecken”, schreibt sie und verweist auf
ihre Pläne, als Unabhängige bei der Oberbürgermeisterwahl anzutreten. Die
Antwort kommt am 14. Oktober 2001 ebenfalls per Mail: Man dankt für den
Glückwunsch und teilt die Kriterien mit, die Kandidaten der Schill-Partei
erfüllen müssen. Der dritte Schriftsatz ist ein Fax, das Rätzel am 6.
November 2001 an einen Mitstreiter schickte: “Höre gerade, dass Schill
verkündet hat, auch in Brandenburg anzutreten”, heißt es darin. “Nun lehren
wir Stolpe und Co. das Fürchten.”
Die Oberbürgermeisterin reagierte am Sonntag gelassen auf die Vorwürfe: “Es
ist richtig, dass ich mich damals für das Wahlprogramm der Schill-Partei
interessiert habe”, sagte sie dem Tagesspiegel. “Ich weiß nicht, was daran
verwerflich gewesen wäre. Die Schill-Partei steht auf dem Boden des
Grundgesetzes. Aber ich habe diese Kontakte nicht weiter verfolgt. Hätte ich
mit Schill zusammengearbeitet, hätte ich es damals gesagt und würde es auch
heute sagen.” Auch mit ihrer Wahlkampffinanzierung habe die Schill-Partei
nichts zu tun.
Fragt sich nur, woher Volker Thummerer die persönlichen Schriftstücke hat.
“Das war ein ehemaliger Mitstreiter”, sagt Frau Rätzel, “aus einer Zeit, als
ich noch nicht Oberbürgermeisterin war. Das ist auch keine große
Verschwörung — nur menschlicher Kleingeist.”
Karin Rätzel sympathisierte mit Schill-Partei
Kontaktsuche kurz vor OB-Wahl 2002: «Interesse für unsere Stadt wecken»
(LR, 1.9.) Karin Rätzel wollte sich «beim Putzen nicht stören lassen» . Es sei «kein
Verbrechen» geschehen, sagte die Cottbuser Oberbürgermeisterin gestern,
nachdem ihre Kontaktsuche zur Schill-Partei bekannt geworden war.
«Das ist eine demokratisch legitimierte Partei, die in einer Koalition mit
einer großen Volkspartei arbeitet.»
Laut den Unterlagen, die der Stadtverordnete Volker Thummerer am Sonnabend
auf einem Parteitag des SPD-Unterbezirkes Cottbus veröffentlichte, hat sich
Karin Rätzel im Oktober 2001 an die Schill-Partei gewandt und einen
«herzlichen Glückwunsch» zum Wahlerfolg übermittelt. Karin Rätzel schreibt
in einer E‑Mail mit dem Betreff: «Kontaktaufnahme» weiter: «Besonders
beeindruckt hat uns die Artikulation des Bürgerwillens, Normen und Regeln
des friedlichen Zusammenlebens der Bürgerschaft einer Stadt nicht nur
benannt zu bekommen, sondern auch in der täglichen Arbeit der Politiker
umgesetzt zu sehen.» In Cottbus wolle man «die Stadt nicht weiter in den
Fängen der jetzigen Machtstrukturen belassen» . Vor der Direktwahl des
Oberbürgermeisters im Februar 2002, schreibt Rätzel weiter, würde man «sehr
gern das Interesse Ihrer Partei für unsere Stadt wecken».
In einem Fax vom 6. November 2001 an einen unbekannten Adressaten schreibt
Rätzel in Bezug auf die Schill-Partei: «Nebenbei habe ich in den Nachrichten
gehört, dass Schill verkündet hat, auch in Brandenburg bei den nächsten
Wahlen antreten zu wollen. Nun lehren wir Stolpe und Co. das Fürchten…»
Thummerer wandte sich mit der Veröffentlichung gegen innerhalb der SPD
geäußerte Ansichten, Karin Rätzel eine Rückkehr in die Partei zu
ermöglichen. Rätzel hatte die SPD nach ihrer Abwahl als Beigeordnete im
Winter 2000 verlassen. Rätzel sagte gestern: «Ich bedauere das politische
Versagen der Cottbuser SPD. Das schadet der Stadt und der Partei.» Sie wolle
sich aus dem Wahlkampf heraushalten. Sie kehre auch nicht zur SPD zurück:
«Ich arbeite mit allen demokratischen Parteien zu Sachthemen zusammen.»
Informationsquelle sei offenbar ein «früherer guter Bekannter» , der «seine
Wünsche nach meinem Einzug ins Rathaus nicht erfüllt sieht» und jetzt
«kleine Rache» übe.
Der Cottbuser SPD-Chef Frank Szymanski sagte: «Diese Informationen werden zu
belegen sein. Danach werden wir unser Verhältnis zur Oberbürgermeisterin
prüfen.» Deutlicher wurde seine Stellvertreterin, die Landtagsabgeordnete
Heidemarie Konzack: «Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie versuchte an die
Macht zu kommen, in dem sie sich mit dem Teufel verbündete.»
Die Schill-Partei hatte vor gut zwei Wochen Unterlagen zur Kommunalwahl in
Cottbus am 26. Oktober angefordert.