Kein freundlicher Empfang für Kanzler Schröder in Wittenberge — “Wir sind das Volk” riefen die DemonstrantInnen, die gegen Hartz IV protestierten
(INFORIOT, 24.8.) Als Bundeskanzler Gerhard Schröder am Montag den sanierten Bahnhof in Wittenberge einweihte, wurde er von wütenden DemonstrantInnen empfangen. Die rund 600 Protestierenden machten ihrem Ärger über den Hartz-IV-Sozialabbau unter anderem mit Eierwürfen auf den Kanzler Luft. Die Eier verfehlten ihr Ziel und trafen Journalisten und einen Polizisten. Angeblich habe es auch einen Steinwurf auf die Regierungs-Limousinen gegeben. Die DemonstratInnen reifen nach Presseberichten “Wir wollen Arbeit” und “Wir sind das Volk”. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck wurde ausgepfiffen, als er sich bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Fürstenwalde Hartz-IV-GegnerInnen gegenüber sah.
Generall lässt sich festhalten, dass sich im Vergleich zur Vorwoche die Montagsproteste im Land Brandenburg stabilsiert haben. Gingen am 16. August rund 10.000 in 17 Städten auf die Straße so waren es diesmal mindestens 12.000 in 21 Städten. Bundesweit stiegen die Zahlen laut der Netzplatform Indymedia auf 120.000 in 140 Städten.
Zur “Ersten Eberswalder Montagsdemo” in Eberswalde hatten unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Volkssolidarität und Attac aufgerufen. Unter dem Motto “Hartz IV muss weg” forderten 1000 TeilnehmerInnen die Rücknahme von Hartz IV und eine sozial gerechte Politik. “Hartz IV ist ein Irrweg. Die Gesetze sind unsozial und menschenfeindlich”, sagte einer der Redner. In Kyritz, wo ebenfalls erstmals demonstriert wurde, wurde darauf hingewiesen, dass allein im Landkreis Ostprignitz-Ruppin zirka 10.000 BürgerInnen von Hartz IV betroffen sein werden — weil sie zu lange arbeitlos sind und Sozialhilfe beziehen. “Wir werden hier politisch verarscht”, sagte Andreas Kahnert von der IG Metall in Königs Wusterhausen. “Das ist keine Reform, das ist Sozialabbau in allen Klassen der Republik”, rief er unter dem Beifall der Zuhörer. Eine weitere Rednerin erklärte, Hartz IV beweise, dass “den Parteien die Bevölkerung offenbar gleichgültig geworden ist.” Ralf Schulz von Attac warnte, Hartz IV sei “erst der Anfang” und forderte zum Widerstand gegen “diese Politik” auf. “Sie haben unser Land verkauft und unsere Ehre. Wir sind Menschen!”, so Schulz. In Potsdam kamen mit 700 Leuten etwas mehr Menschen zusammen als in der Vorwoche. Die VeranstalterInnn kündigten an, in der kommenden Woche vor die SPD-Zentrale zu ziehen, In den Wochen geht es dann zu den Zentralen von CDU und den Grünen.
Konkret liegen folgende Zahlen für Brandenburger Orte vor: Brandenburg/Havel (400 TeilnehmerInnen), Eisenhüttenstadt (600), Gransee (300), Königs Wusterhausen (350), Kyritz (300), Neuruppin (180), Oranienburg (700), Perleberg (100), Potsdam (700), Pritzwalk (500), Senftenberg (2000), Spremberg (1000), Teltow (100), Wittenberge (600), Wittstock (300), Jüterbog (200), Eberswalde (1000), Frankfurt/Oder (1200), Finsterwalde (300), Forst (600), Cottbus (2000). Bislang ist wie in der Vorwoche nichts über die Teilnahme von organisierten Rechtsextremen bei den Protesten im Land bekannt geworden. In Oranienburg war vergangenen Montag jedoch die Schillpartei vertreten. Übrigens fällt auf, dass in einigen Städten die TeilnehmerInnen-Zahlen eher rückläufig scheinen — die höhere Gesamtsumme kommt durch die neu dazugekommenen Proteste in anderen Orten zustande.
Update 25.8.:
Auch in Bernau gab es eine Demonstration gegen Hartz IV. Nach Angaben lokaler Antifas beteiligten sich an der schlecht besuchten Aktion neben der Schillpartei auch stadtbekannte Neonazis. Am Protest in Fürstenwalde nahmen ebenfalls Neonazis teil, traten aber nicht offen als solche in Erscheinung. So ist es jedenfalls auf rechten Webseiten zu lesen.
Proteste gegen Hartz IV jetzt in 25 Orten
Mehr Demonstranten in Brandenburg
(Berliner Zeitung, 25.8.) POTSDAM. In 25 brandenburgischen Orten sind am Montag insgesamt 17 000 Menschen gegen die Hartz IV-Arbeitsmarktreform auf die Straße gegangen, teilte die Polizei am Dienstag mit. Im Gegensatz zum Bundestrend stieg damit in Brandenburg die Zahl der Demonstranten im Vergleich zur Vorwoche noch einmal um rund 7 000 Personen an. Die größte Demonstration fand mit 2 500 Teilnehmern wieder in Senftenberg statt. In Potsdam fanden sich 700 Menschen ein, in Brandenburg/Havel 400 Personen, und in Königs Wusterhausen waren 350 Demonstranten unterwegs. Eine Hochburg der Anti-Hartz-Proteste war schon vor dem Kanzlerbesuch in Wittenberge die strukturschwache Prignitz. Dort folgten in mehreren Städten insgesamt 1 500 Teilnehmer den Aufrufen. Vertreter der Familienpartei, die die Demonstration in Potsdam angemeldet hatten, kündigten für den nächsten Montag einen Protestmarsch zur SPD-Landeszentrale in der Friedrich-Ebert-Straße an.
Der Potsdamer Verfassungsschutz warnte jetzt davor, dass Rechtsextremisten die Proteststimmung ausnutzen, um fremdenfeindliche Parolen zu verbreiten. So hatte auch die rechtsextreme DVU zur Montagsdemonstration in Senftenberg aufgerufen. Resonanz fand sie aber offenbar nicht.