60 Jahre nach Kriegsende sind unzählige Vermögensfragen noch ungeklärt
POTSDAM Es ist ein Millionen-Spiel, bei dem es um Immobilien in Ostdeutschland geht. 61 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind unzählige Eigentumsfragen nach wie vor ungeklärt. Nachfahren von verfolgten Juden fordern noch heute Vermögenswerte ein, die während des Dritten Reiches enteignet wurden.
Ein Hauptgrund für das langwierige Verfahren ist, dass die DDR bei der Wiedergutmachung unglücklich agierte. Die Jewish Claims Conference (JCC) verhandelte in den 80ern mit DDR-Staatschef Erich Honecker. Die Gespräche wurden jedoch abgebrochen, als Ostberlin den Vertretern der Holocaust-Opfer die mickrige Entschädigungs-Pauschale von einer Million Ost-Mark anbot. Damit war die Wiedergutmachung im Osten gescheitert und wurde erst nach dem Mauerfall wieder aufgenommen.
Die Angelegenheit wird in diesem Jahr für Wirbel sorgen. Noch bis zum 8. September 2006 können die letzten Entschädigungsansprüche angemeldet werden. Bei der JCC wird mit Hochdruck daran gearbeitet, jüdisches Eigentum in den neuen Ländern aufzuspüren und zu prüfen, ob Entschädigungen oder Rückübertragungen gefordert werden. Wie aktuell das ist, zeigen die erfolgreich durchgesetzten Ansprüche der Wertheim-Dynastie. Die jüdische Familie besaß vor der “Arisierung” durch die Nazis Grundstücke, die heute zum Berliner Regierungsbezirk gehören. Im September 2005 einigten sich Bund und JCC auf eine Entschädigung für diese Grundstücke in Höhe von 17,3 Millionen Euro. Auch in Brandenburg gibt es zahlreiche Immobilien, die jüdischen Familien gehörten. Dazu zählt in prominenter Potsdamer Lage nahe des Landtages das alte Brauereigelände mit rund 4700 Quadratmetern Grundfläche. Es ist heute weitgehend ungenutzt. Der Komplex gehörte mit 40-jähriger DDR-Pause zur Berliner Kindl Brauerei, die mittlerweile vom Radeberger Konzern geschluckt worden ist. Ein Teil des Gebäudes könnte bald den Nachfahren des enteigneten Wirtschaftskapitäns Max Steinthal gehören.
Bis zur “Arisierung” des Unternehmens besaß Steinthal einen beträchtlichen Teil der Unternehmensaktien der Kindl- Brauerei. Steinthal war als Mitbegründer der Deutschen Bank eine treibende Kraft des deutschen Wirtschaftslebens. 1940 starb er in einem Berliner Hotel. Sein Vermögen konfiszierte der Staat. Nun fordern die Nachfahren die enteigneten Vermögenswerte in den neuen Bundesländern zurück und haben die Berliner Historikerin Monika Tatzkow beauftragt, Steinthals Beteiligungen nachzuweisen. Dazu gehört auch das historische Gelände am Potsdamer Brauhausberg.
Nach Meinung Tatzkows ist der Fall Steinthal nur die Spitze des Eisberges. Auf den Bund werde eine nicht zu beziffernde Zahl an Entschädigungsforderungen zukommen. Bei Brandenburger Gerichten werden derzeit rund 3000 Fälle offener Vermögensfragen verhandelt, die sich vervielfachen könnten. Es geht dabei vor allem um jüdische Firmenbeteiligungen, die noch nicht entschädigt wurden. “Bruchteilsrestitution” nennt das der Jurist. Laut dem Berliner Rechtsanwalt Gunnar Schnabel, der jüdische Opfer vertritt, sei die Bruchteilsrestitution ein “riesiges Arbeitsfeld”. Die Familie Warburg etwa habe Entschädigungsansprüche von mehreren Millionen Euro.
Die Bankiersfamilie Warburg war bis zur Enteignung durch die Nazis an Konzernen wie IG-Farben und AEG beteiligt. Diesen Firmen wiederum gehörten wertvolle Immobilien, die heute in den neuen Ländern liegen. Auf Anfrage bei dem Hamburger Bankhaus reagiert man reserviert. “Wir möchten dazu keine Auskunft geben”, sagt Pressesprecher Michael Clasen.
Es herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob jüdische Ansprüche noch durchgesetzt werden können oder nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwei der pauschalen Anträge der Jewish Claims Conference für nichtig erklärt. Der Gesetzgeber reagierte im Sommer 2005. Alle Fraktionen des Bundestages räumten der JCC per Gesetz die Möglichkeit ein, noch bis Herbst 2006 Ansprüche einzureichen. “Der deutsche Staat will sich nicht an jüdischem Eigentum bereichern, sonst würde sich die Politik des Dritten Reiches am Ende für den deutschen Fiskus auszahlen”, sagte ein Beamter im Bundesfinanzministerium.
Eigentümer von Häusern oder Wohnungen müssen sich deshalb nicht auf die Suche nach einer neue Bleibe machen. Im Einigungsvertrag wurde der “redliche Erwerb” geschützt. Im Westen hat es diese Spezialregelung nicht gegeben. Enteignetes Eigentum wurde an die jüdischen Besitzer zurückgegeben. In der alten Bundesrepublik war die finanzielle Wiedergutmachung Ende der 60er Jahre weitgehend abgeschlossen.
Die Alt-Eigentümer werden per Annonce im Bundesanzeiger und über Internet unter www.barov.bund.de gesucht. Meldet sich binnen eines Jahres niemand, wird der Grund verkauft. Der Erlös geht an den Entschädigungsfonds des Bundes für die Opfer des Nazi-Terrors. In dem Fonds befinden sich derzeit rund 6,5 Milliarden Euro.
ULRICH CRÜWELL