Petersdorf — Der Anblick des mächtigen, etwa 300 Jahre alten Baumstammes
hatte Hartmut Lange fast umgehauen. Unbeachtet und in vier Teile zersägt,
lagen die Reste der Linde auf einer Schutthalde nahe Müncheberg (Landkreis
Oder-Spree). Lange hat den 1,5 Meter dicken Stamm vor dem Vermodern bewahrt.
Die Einzelteile zu stattlicher Höhe aufeinander gestapelt, soll Holz bald zu
einem neuen Anziehungspunkt im Oderbruch werden.
Bis dahin macht sich der 62-jährige Künstler auf dem Hof der Landgalerie
Mark Brandenburg e.V. in Petersdorf mit Bildhauereisen, Motorsäge und
Fäustel an dem abgeschälten Baum zu schaffen. In Schwindel erregender Höhe
“klebt” Lange an dem Stamm und hämmert, was das Zeug hält. Auf dem Relief
sind Gestalten erkennbar, die sich verschlungen nach oben strecken. Wenn der
Bildhauer Ende des Sommers sein Monumentalwerk beendet hat, soll es als
Seelen-Stele auf einem Feld zwischen Reitweiner Sporn und Seelower Höhen
aufgestellt werden.
Erinnern soll das Kunstwerk an die Opfer während der Schlacht um die
Seelower Höhen im April 1945. Die Rote Armee war bei Reitwein über die Oder
gesetzt, kämpfte erbittert um den Vormarsch nach Berlin. 35 000 Rotarmisten
und 15 000 Wehrmachtssoldaten ließen dabei ihr Leben. Die Opfer unter
Zivilisten sind bis heute ungezählt. Der Künstler, erst Anfang der 90er aus
dem Schwäbischen nach Brandenburg übersiedelt, sprach mit Bewohnern der
Oder-Region, dem im Zweiten Weltkrieg am schwersten zerstörten Landstrich
Deutschlands. Er war überrascht angesichts der dabei aufbrechenden
Emotionen.
“Um politische Schuldzuweisungen geht es den meisten nicht, sondern um die
eigenen Erlebnisse, die man jahrzehntelang verschweigen musste.” Schließlich
war eine reale Geschichtsaufarbeitung in der DDR verpönt.
Doch der Krieg ist nach Überzeugung Langes noch heute eine Wunde in der
Seele der Menschen, die der Künstler nun sichtbar macht. Sein eigenwilliges
Projekt ist kein Auftragswerk, sondern Eigeninitiative und ein Geschenk an
die Gedenkstätte auf den Seelower Höhen. “Ich will keine staatlich
geschützte Kriegsgräberfürsorge, sondern ein Erinnerungszeichen an die
ungezählten Toten, unabhängig von irgendwelchen Institutionen.” Im Museum
stößt er damit auf offene Ohren. Gedenkstättenleiter Gerd-Ulrich Herrmann
wird von Besuchern oft nach einem zentralen Platz für das Erinnern an alle
Opfer der denkwürdigen Kriegsschlacht gefragt. “So ein Denkmal ist wichtig
für Geschichtsaufarbeitung und Versöhnung”, glaubt er.
Ein Besuch der Gedenkstätte auf den Seelower Höhen hatte bei dem
Wahlbrandenburger auch eigene Wunden wieder aufgerissen. “Meine Familie floh
in den Kriegswirren aus dem zentralpolnischen Thorn über Berlin nach
Süddeutschland.” Lange war damals vier Jahre alt — jetzt kehrten die
Erinnerungen zurück. Der 62-jährige Künstler ist überzeugt, mit seiner
Arbeit an der Stele ein verdrängtes Trauma aufzuarbeiten. “Ich entdecke
meine Biografie, identifiziere mich vor allem mit den zivilen Opfern.”